Der Fachkräftemangel in deutschen Kliniken und medizinischen Einrichtungen wirkt sich sowohl auf Arbeitgeber als auch auf Arbeitnehmer aus. Während er für Arbeitgeber eine oft erschwerte Suche nach neuen Angestellten mit sich bringt, ermöglicht er Absolventen die Wahl ihres künftigen Arbeitsplatzes unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Vorstellungen und Wünsche. Umso bedeutsamer ist es für Arbeitgeber also, sich den Anforderungen der zukünftigen Generation zu widmen und von ihnen zu lernen. Doch was ist jungen Ärzten wirklich wichtig?
Work-Life-Balance: Ein zentraler Aspekt
Mediziner verschreiben sich ihrem Beruf häufig nicht allein aus finanziellem Interesse, sondern aus ideellen Beweggründen. Ein hohes Pensum an Wochenarbeitsstunden gilt dabei häufig als notwendiges Übel. Dass Familienleben und Partnerschaft für Ärzte aber dennoch eine besondere Bedeutung haben, beweist die von der apoBank durchgeführte Untersuchung „Inside Heilberuf“. Aus dieser geht hervor, dass 91 Prozent der befragten Vertreter verschiedener Heilberufe den Bereichen Partnerschaft und Familienleben oberste Priorität einräumen.
Hiermit verbunden ist für Arbeitgeber das Signal, dass sich Arbeitnehmer zunehmend eine angemessene Work-Life-Balance wünschen. Doch dabei geht es nicht mehr nur darum vor häufigen Überstunden zu schützen. Vielmehr soll auch der potenzielle Wunsch nach Teilzeit erfüllt werden. Dieser wird heute immer öfter laut, passt allerdings nur schwerlich zur Realität, der Mediziner im Vollzeit-Alltag gegenüberstehen.
Keine Zeit für Menschlichkeit? Ein Problem für viele
Abgesehen von der im Vertrag festgehaltenen Arbeitszeit spielt auch deren Gestaltung eine essenzielle Rolle. Dies offenbaren Ergebnisse der Befragungen von Studenten und Absolventen seitens der Landesärztekammer Hessen. Hier gaben 54,8 Prozent an, den Beruf aufgrund des Umgangs mit Menschen ergriffen zu haben. Und 32,8 Prozent nannten den Wunsch, Menschen zu helfen.
In der Arbeitszeitgestaltung zeigt sich jedoch, dass immer weniger Zeit für den menschlichen Kontakt bleibt. Junge Mediziner fordern daher im Rahmen einer Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) eine Verringerung des Aufwands, welcher für die Dokumentation notwendig ist – rund 88 Prozent sprachen sich dafür aus. In der bereits erwähnten Studie „Inside Heilberuf“ ist ein ähnlicher Trend sichtbar: 65 Prozent der Befragten nannten die Bürokratie als eine der großen Herausforderungen im Gesundheitssystem, die es zu bewältigen gilt.
Auch im bundesweiten Berufsmonitoring wird das noch einmal deutlich. Die Befragung ist repräsentativ und wird von der Bundesvereinigung der Medizinstudierenden, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Medizinischen Fakultätentag und der Universität Trier durchgeführt. Im dritten Monitoring 2018 gaben die Teilnehmer häufig an, dass bürokratische Aspekte die Ausübung des Berufs beeinträchtigen.
Arbeitgeber sollten sich deshalb mit Möglichkeiten des Bürokratieabbaus beschäftigen. Hierzu gehören:
- Einhaltung von Arbeitszeiten durch effektivere Kommunikation
- Digitalisierung administrativer Aufgaben
- Delegation an Fachpersonal nicht-ärztlicher Herkunft
Aufgaben an Mitarbeiter außerhalb der Ärzteschaft zu übertragen, erachteten 68,2 Prozent der Befragten im Monitoring als Chance, freie Kapazitäten für die Patientenversorgung zu schaffen. Um eine Delegation ohne Qualitätsverluste in der Ausführung der Aufgaben zu ermöglichen, müssen entsprechende Schritte frühzeitig durchdacht und vorbereitet werden (z.B. Ausarbeitung von Leitfäden oder Checklisten zur besseren Nachvollziehbarkeit).
Gesundheitsrisiko Arztberuf: Schutz vor Angriffen und Überlastung nötig
Abgesehen von Arbeitsstress durch Zeitmangel, Überstunden und eine Verlagerung des Aufwandes weg vom Patientenbett hin an den Schreibtisch, gibt es weitere wichtige Aspekte. So sieht die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege die Gesundheit der Ärzte sowie Ärztinnen in Kliniken gefährdet. Als mögliche Folgen derzeitiger Bedingungen am Arbeitsplatz nennen die Verantwortlichen unter anderem:
- Psychosoziale Überlastung
- Depressionen
- Suchterkrankungen
- Burnout
Ein großer Kritikpunkt der BGW-Studie ist diesbezüglich die Verdichtung der Aufgaben, welche zu langen Arbeitszeiten führt.
Nicht vergessen sollten Arbeitgeber darüber hinaus, dass Ärzte, Pfleger und sonstiges Personal in Kliniken immer öfter auch seitens der Patienten unter Druck stehen. Im bundesweiten Monitoring gaben 70 Prozent der Befragten an, bereits verbalen Aggressionen ausgesetzt gewesen zu sein, 34 Prozent sprachen ebenfalls von körperlichen Angriffen.
An dieser Stelle sind Arbeitgeber gefragt, auch die Sicherheitsstrategien zu überdenken und gegebenenfalls zu überarbeiten. Maßnahmen, die in Betracht kommen, sind zum Beispiel:
- Beauftragung eines Sicherheitsdienstes
- Erlernung von Deeskalations- und Kommunikationstechniken
- Einübung von körperlichen Abwehr- und Befreiungstechniken
- Optimierung der Praxisorganisation (kürzere Wartezeiten)
Für die Identifikation mit dem Arbeitgeber sowie dem Berufsbild ist das Gefühl von Sicherheit schließlich entscheidend. Wer sich im Stich gelassen fühlt oder die eigenen Bedürfnisse nicht berücksichtigt sieht, dessen Bindung an den Arbeitgeber schwindet.
Fazit: Mehr Sinn und Zeit, weniger Stress und Bürokratie
Zusammenfassend wird deutlich, dass sich junge Mediziner und Medizinerinnen von Arbeitgebern vor allem eines wünschen: die Möglichkeit, den eigenen Beruf am Patienten auszuüben und hierfür ausreichend Zeit zu finden. Eine der Hauptaufgaben für die Zukunft dürfte folglich sein, die Ärzteschaft in Sachen Bürokratie und Zusatzaufgaben zu entlasten. So beispielsweise durch verschlankte Prozesse, zunehmende Digitalisierung oder die Delegation an nicht-ärztliches Fachpersonal.
Dies könnte in der Folge zu einer verbesserten Einhaltung vereinbarter Arbeitszeiten führen und würde sich förderlich auf die Work-Life-Balance auswirken. Wer als Arbeitgeber darüber hinaus in das Sicherheitsgefühl seiner Mitarbeiter investiert und beispielsweise Schutzmechanismen fördert, schenkt ein gutes Gefühl.
Nicht zu vergessen ist dabei auch, dass sich Ärzte und Ärztinnen oftmals Möglichkeiten für persönliche Weiterbildung wünschen. Ob im Rahmen der eigenen Fachrichtung oder für eine noch effektivere Teilnahme am Klinikgeschehen: es lohnt sich für Arbeitgeber, nicht nur den Status Quo aufrechtzuerhalten, sondern auch in die Entwicklung der Angestellten zu investieren. Dies wiederum steht in klarer Verbindung zu Optimierungen im Bereich der Arbeitszeit. Denn wer ständig erschöpft ist und dadurch nahezu kein Privatleben mehr hat, wird kaum Energie und Zeit für Weiterbildung aufbringen können.