Alle Medizinstudenten/-innen fragen sich irgendwann, welcher Fachbereich am besten zu ihnen passt. Kein Wunder, schließlich gibt es fast unendliche Möglichkeiten der Spezialisierung, und alle Fachbereiche haben ihre ganz eigenen Reize. Als erste grobe Entscheidungshilfe assistieren daher primär folgende Fragen: Eigene Praxis oder Angestelltenverhältnis? Teamarbeiter/in oder Einzelgänger/in? Feinmotorisch versierte/r Spezialist/in oder eher Mann/Frau für alles mit Allgemeinüberblick?
In seinen weiteren Überlegungen sollte man aber auch noch weitere Bereiche in den Entscheidungsvorgang miteinbeziehen. Man sollte bei seinen Überlegungen z.B. nicht nur persönliche medizinische Interessensgebiete und Fachrichtungen berücksichtigen, sondern auch individuelle Charakterzüge wie z.B. Stressresistenzlevel, bevorzugtes Arbeitstempo etc.
Um diesen Entscheidungsprozess zu vereinfachen, haben wir hier alle Fachrichtungen übersichtlich zusammengefasst sowie die wichtigsten Fragestellungen mit aufgenommen.
34 Fachrichtungen im Überblick
Für die Auswahl der richtigen Fachrichtung ist es zunächst wichtig, alle Fachrichtungen und deren grundlegende Aufgabenbereiche zu kennen. Die folgende alphabetische Aufstellung listet alle von der Bundesärztekammer angegebenen 34 Fachrichtungen und ihre grundlegenden Aufgaben:
- Allgemeinmedizin: Überwiegend „Hausarzttätigkeit“
- Anästhesiologie: Notfallmedizin, Schmerzmedizin, Beatmung und Überwachung während operativer Eingriffe, Intensivmedizin
- Anatomie: Lehre und Forschung vom anatomischen Aufbau des menschlichen Körpers
- Arbeitsmedizin: Gesundheitsberatung, Begutachtung arbeits- und umweltbedingter Risikofaktoren
- Augenheilkunde: Medizinische Behandlung für alle Krankheiten des Sehorgans
- Biochemie: Spezialisierung auf molekulare Stoffwechselprozesse von Zellen und Organen
- Chirurgie: Operative Behandlung und Nachsorge von Verletzungen oder angeborenen Fehlbildungen usw.
- Frauenheilkunde und Geburtshilfe: Behandlung von geschlechtsspezifischen Erkrankungen, Fortpflanzungsmedizin, Schwangerschaftsbetreuung, Geburten
- Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO): Konservative und operative Behandlung von Erkrankungen und Fehlbildungen im Hals-Nasen-Ohrenbereich
- Haut- und Geschlechtskrankheiten (Dermatologie): Konservative und operative Behandlung von immunologischen, allergischen und anderen Krankheiten der Haut sowie ggf. von Geschlechtsorganen
- Humangenetik: Erkennung und Behandlung genetisch bedingter Erkrankungen
- Hygiene und Umweltmedizin: Unterstützung und Beratung von Ärzten/-innen, Institutionen oder der Gesellschaft bezüglich Infektionsprävention und Umwelthygiene
- Innere Medizin: Erkennung und Behandlung der Erkrankungen der inneren Organe (Herz, Lunge, Niere, Magen-Darm-Trakt usw.)
- Kinder- und Jugendmedizin: „Hausärztliche“ Behandlung von Säuglingen, Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen.
- Kinder- und Jugendpsychiatrie: Erkennung und Behandlung von körperlichen, psychischen und psychosomatischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen
- Laboratoriumsmedizin: Analyse von Körperflüssigkeiten, Ausscheidungs- und Sekretionsprodukten und Beratung der behandelnden Ärzte/-innen
- Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie: Labordiagnostik von Mikroorganismen, Viren und anderen Erkrankungen, Bekämpfung der Infektionen, Beratungstätigkeit
- Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie: Konservative und operative Behandlung von Verletzungen, Fehlbildungen und Tumoren im Mund-Kiefer-Bereich
- Neurochirurgie: Konservative und operative Behandlung von Verletzungsfolgen bzw. Fehlbildungen des Nervensystems (Hirn-OP, Bandscheiben/Wirbelsäulen-OP)
- Neurologie: Erkennung und Behandlung von Erkrankungen des peripheren und vegetativen Nervensystems einschließlich Muskulatur
- Nuklearmedizin: Spezialisierung im Umgang mit radioaktiven Substanzen und Behandlung mit kernphysikalischem Verfahren, Strahlenschutz
- Öffentliches Gesundheitswesen: Gesundheitsaufsicht, Prävention und Bekämpfung von Erkrankungen, Erhalt der öffentlichen Hygiene
- Pathologie: Erkennung von Krankheiten durch mikroskopische Beurteilung oder Obduktion
- Pharmakologie (Klinische Pharmakologie und Pharmakologie und Toxikologie): Erforschung verschiedener Arzneimittelwirkungen, Beratung der Kliniker/innen bei der Anwendung von Medikamenten
- Phoniatrie und Pädaudiologie: Fachgebiet zur Behandlung von peripheren und zentralen Störungen der Hör-, Sprech- und Sprachfunktion
- Physikalische und Rehabilitative Medizin: Prävention, Rehabilitation und interdisziplinäre Behandlung mittels manuellen und naturheilkundlichen Therapiemaßnahmen
- Physiologie: Lehre der Funktionen des menschlichen Körpers vom Molekül bis zum Organismus
- Psychiatrie und Psychotherapie: Erkennung und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen
- Psychosomatische Medizin: Spezialisierung auf die Erkennung und Behandlung psychosomatischer Erkrankungen (Erkrankungen, an denen körperlich-seelische Wechselwirkungen beteiligt sind)
- Radiologie: Diagnostik mittels bildgebender Verfahren und interventionelle, minimal-invasive Verfahren zur Therapie verschiedener Erkrankungen
- Rechtsmedizin: Anwendung medizinischer Kenntnisse zur Bearbeitung rechtlicher Fragestellung
- Strahlenmedizin: Gebiet der Strahlentherapie zur Behandlung gutartiger und bösartiger Erkrankungen sowie medikamentöse und physikalische Verfahren
- Transfusionsmedizin: Spezialisierung auf die Behandlung von Patienten/-innen mit z.B. Blutkonserven, Stammzellspende, Transfusionen usw.
- Urologie: Erkennung und Behandlung von Erkrankungen, Funktionsstörung, Verletzungen usw. des männlichen Urogenitalsystems und der weiblichen Harnorgane
Fachbereich: Das sind die beliebtesten in Deutschland
Für die Auswahl mitentscheidend ist ggf. auch, in welchen Fachbereichen es bereits viele Ärzte/-innen gibt bzw. welche Fachrichtungen die beliebtesten in Deutschland sind. Hierbei kann die folgende Tabelle helfen, in der wir eine Liste aller Fachärzte/-innen bezogen auf ihre Anzahl im jeweiligen medizinischen Fachgebiet in Deutschland zusammengestellt haben. Dabei sind wir nach den Angaben der Bundesärztekammer von einer Gesamtanzahl berufstätiger Ärzte/-innen in Deutschland von insgesamt 409.121 (Stand: 2021) ausgegangen.
Facharztrichtung | Anzahl berufstätiger Ärzte/-innen in Deutschland |
Ärzte/-innen ohne Fachbereichsbezeichnung | 121.017 |
Innere Medizin | 58.155 |
Allgemeinmedizin | 44.158 |
Chirurgie | 39.463 |
Anästhesiologie | 26.274 |
Gynäkologie | 19.151 |
Kinder- u. Jugendmedizin | 15.732 |
Psychiatrie und Psychotherapie | 12.053 |
Radiologie | 9.313 |
Neurologie | 8.355 |
Augenheilkunde | 7.901 |
Hals- Nasen- Ohrenheilkunde | 6.487 |
Urologie | 6.347 |
Haut- und Geschlechtskrankheiten | 6.223 |
Quelle: Bundesärztekammer
Zwei Arten von Fragen für die Auswahl der Facharztrichtung
Jede Fachbereich-Spezialisierung hat ihre Vorzüge und Nachteile. Für eine erste Grobeinschätzung empfiehlt es sich immer, mit Experten/-innen, Professoren/-innen und Kommilitonen/-innen zu sprechen oder entsprechende medizinische Kongresse (z-B. Karriere-Kongresse) zu besuchen. Diese kennen einen speziell im medizinischen Bereich oftmals besser als z.B. Familienangehörige oder Freunde/-innen und wissen daher, für welchen Fachbereich man geeignet oder in welchem medizinischen Feld man vollkommen verloren wäre.
Neben solchen grundsätzlichen Erwägungen und Einschätzungen anderer sollte man sich selbst jedoch primär zwei Arten von Fragen stellen: allgemeine und konkrete.
Allgemeine Fragen
Zunächst sollte man sich fragen, ob man überhaupt kurativ arbeiten möchte. Ist man sich sicher, dass man praktizierende/r Arzt/Ärztin werden möchte, sollte man sich die Folgefrage stellen, ob man ein patientennahes Fach in der direkten Patientenversorgung oder ein eher patientenfernes Fach (z.B. Radiologie, Arbeitsmedizin etc.) wählen will. Entscheidet man sich für einen patientennahen Fachbereich, folgt die Frage, ob man konservativ (z.B. Allgemeinmedizin) oder chirurgisch (z.B. Thoraxchirurgie oder Augenheilkunde) arbeiten möchte.
Konkrete Fragen
Hat man diese allgemeinen Fragen beantwortet, ist die Auswahl der Fächer bereits erheblich eingegrenzt. Dann kann man sich eingehender mit den Weiterbildungsordnungen der jeweiligen Lieblingsfächer beschäftigen: Welche Inhalte werden verlangt? Wo kann die Weiterbildung absolviert werden? Passt das Fach zu der persönlichen Art zu arbeiten? Auf welche Vorlieben muss man jeweils verzichten bzw. was muss man sich noch aneignen?
Nicht zuletzt sollte man sich außerdem auch über die Aspekte Verdienst und Karriere im Klaren sein. Natürlich ist es wichtig zu wissen, wie die Verdienstmöglichkeiten sind und ob es beispielsweise die Möglichkeit der Promotion gibt. Aber viel wichtiger ist, dass man sich für das Fach persönlich interessiert und man wirklich Lust darauf hat, die nächsten 40 Berufsjahre darin zu arbeiten.
15 Fragen für die Fachbereich-Wahl
Über 50 Fachärzte/innen haben in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Angewandte Personalpsychologie der Universität Bamberg einige Testfragen entwickelt, die bei der Wahl helfen können. Mit ihnen kann man je nach individuellen Interessen, Erwartungen und Kompetenzen ermitteln, welche Fachrichtung bzw. welcher Facharztbereich am besten zu einem passt.
Im Folgenden gilt es daher, die einzelnen Bereiche individuell zu bewerten. Dabei sollte man so ehrlich wie möglich mit sich selbst sein und die Fragen nicht danach beantworten, welche Möglichkeit z.B. das meiste gesellschaftliche Ansehen, den meisten Respekt im Freundes- oder Familienkreis oder das meiste Geld bringt. Hier geht es um eine gnadenlos ehrliche Selbsteinschätzung der eigenen Interessen, Erwartungen und Eigenschaften.
1. Arbeitsort
- Möchte man in einer Klinik oder in einer Praxis arbeiten?
- Sind Hausbesuche eine willkommene Abwechslung oder möchte man lieber keine Hausbesuche bei seinen Patienten/-innen machen?
2. Patienten/-innen
- Möchte man lieber mit älteren Menschen oder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten?
- Ist einem direkter Patientenkontakt wichtig?
- Möchte man seine Patienten/-innen über längere Zeit begleiten oder schätzt man die Abwechslung, ständig neue Patienten/-innen nur kurz (z.B. für eine Diagnose oder einen Eingriff) zu sehen?
3. Arbeitsalltag
- Arbeitet man gerne mit technischen Geräten bzw. am Bildschirm?
- Möchte man den Großteil seiner Arbeitszeit direkt mit Patienten/-innen arbeiten?
- Ist eine enge Kooperation mit Kollegen/-innen und Pflegepersonal wichtig?
- Will man die gleichen Patienten/-innen immer wieder sehen oder ständig neue?
- Arbeitet man gerne in klaren hierarchischen Strukturen?
4. Erwartungen
- Möchte man möglichst wenig mit technischen Geräten zu tun haben?
- Möchte man lieber allein als im Team arbeiten?
- Möchte man niemandem über- oder untergeordnet sein?
- Möchte man im niedergelassenen Bereich arbeiten?
5. Arbeitszeit
- Machen einem Überstunden nichts aus oder sind feste Arbeitszeiten wichtig?
- Leistet man (un-)gern Nachtdienst?
- Möchte man am Wochenende frei haben?
6. Karriere und Einkommen
- Möchte man zu den Spitzenverdienern/-innen unter den Ärzten/-innen gehören?
- Möchte man nach der Weiterbildung sehr gute Bewerbungschancen haben?
7. Persönlichkeit
- Ist man handwerklich geschickt?
- Liegen einem grobmotorische Tätigkeiten mehr als Feinmotorik?
- Fallen einem Tätigkeiten, die ein hohes Maß an Geschicklichkeit erfordern, leicht?
- Verwaltet, dokumentiert und organisiert man gerne?
8. Kompetenzen
- Kann man gut beobachten und komplexe medizinische Zusammenhänge erkennen?
- Fällt es einem leicht, interdisziplinäre Perspektiven einzubeziehen?
- Liegt einem „Detektivarbeit“ wie z. B. in der Diagnostik, Indikationsstellung oder Befundung?
9. Arbeitsstil
- Eignet man sich lieber einen breiten Überblick an und legt weniger Wert auf Details, oder kennt man sich lieber in einem Gebiet bis ins Detail aus als in einem größeren Bereich nur oberflächlich?
- Ist man jemand, der sofort wissen will, wo das Problem liegt, oder tüftelt und analysiert man lieber?
- Möchte man Probleme schnell lösen oder ist man eher reflektiert und handelt bedacht?
10. Grenzen
- Schreckt man vor Körperkontakt mit Patienten/-innen zurück?
- Ekelt man sich schnell, z.B. vor Körperflüssigkeiten, Hautwucherungen, Genitalien, Körpergeruch?
- Ist man schnell frustriert, wenn nur wenig Aussicht auf Heilung besteht?
- Ist einem Papierkram lästig?
11. Anforderungen
- Kommt man mit psychischen Belastungen klar?
- Sind körperliche Belastungen kein Problem?
- Machen einem unangenehme Eindrücke (z.B. trauernde Angehörige, aufgeregte Eltern etc.) nichts aus?
- Kann man auch ohne sofort oder überhaupt jemals sichtbare Erfolge in der Arbeit auskommen oder braucht man unbedingt eine positives Ergebnis?
12. Fachinteressen
- Interessiert man sich für die Betreuung palliativmedizinisch zu versorgender Patienten/-innen?
- Liegt einem eher die Arzneimitteltherapie?
- Interessiert einen das Erkennen und Behandeln gebietsbezogener Tumore?
- Hat man einen Hang für psychosomatische und psychosoziale Zusammenhänge?
13. Beliebte Tätigkeiten
- Interessiert man sich für die Indikation, Probengewinnung und -behandlung für Laboruntersuchungen?
- Liegt einem eher die Indikationsstellung zur weiterführenden oder interdisziplinären Diagnostik und Behandlung?
- Interessiert einen die interdisziplinäre Koordination und Kooperation?
- Hat man einen Hang für die Erkennung und Behandlung akuter Notfälle?
14. Persönliche Motivation
- Möchte man in erster Linie helfen, Krankheiten vorzubeugen oder will man lieber bestehende Krankheiten, Störungen oder Verletzungen behandeln?
- Will man unbedingt Heilungserfolge erzielen oder kann man dem palliativmedizinischen Ansatz etwas abgewinnen?
15. Behandlungsverfahren
- Arbeitet man gern invasiv und führt z.B. operative Eingriffe durch?
- Wirkt man gerne im Gespräch, z.B. durch Beratung und Aufklärung auf Patienten/-innen ein?
- Greift man bei Diagnostik und Therapie gern auf technische Geräte wie z. B. Ultraschall zurück?
- Möchte man besonders vielfältige Methodenkenntnisse für die Patientenversorgung kennen und nutzen?