
Unabhängige medizinische Forschung gilt als wesentlicher Baustein des medizinischen Fortschritts, der für alle Menschen mehr Gesundheit und Lebensqualität schaffen soll. Die Verbindungen zwischen Forschern und Pharmakonzernen sind jedoch nicht immer so transparent, wie dies wünschenswert wäre.
Denn Einflussnahme aus der Industrie gefährden die Unabhängigkeit der Medizinforschung. Hier lauern mächtige Interessenskonflikte zwischen der Fachwelt, die sich der Unabhängigkeit verpflichtet sieht, und Unternehmen, die in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgen. Dieser Beitrag gibt Einblick in das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Medizinern und Pharmakonzernen und erläutert, warum dies problematisch für die Forschung ist.
Ärzte als Unternehmer in der freien Wirtschaft
Ärzte, die sich mit einer eigenen Praxis niederlassen setzen sich in ihrem Tagesgeschäft überwiegend direkt für ihre Patienten ein. Bei hochrangigen Ärzten sieht die Lage nicht selten etwas anders aus, denn diese Mediziner agieren häufig eher in der Rolle eines Unternehmers. Sie beraten Pharmakonzerne im internationalen Rahmen neben ihrer Tätigkeit in der Forschung oder aber gründen gleich ein eigenes Beratungsunternehmen.
Dass Forschung unabhängig ablaufen muss, ist auch in der Medizin Standard. Dennoch ist die Trennung zwischen freier Forschung und enger Assoziation mit einem Pharmaunternehmen nicht immer klar nachvollziehbar. Aus diesem Grund wird von Medizinern, die in Fachzeitschriften publizieren, erwartet, ihre Beziehungen zu Unternehmen in der freien Wirtschaft anzugeben.
Wie werden Ärzte von der Pharmaindustrie umworben?
Um in einem Fachartikel vorteilhaft über ein Produkt zu berichten, muss der Mediziner eine Gegenleistung erhalten. Diese Einflussnahme der Pharmaindustrie auf die Forschung kann auf ganz unterschiedliche Weise zutage treten. Finanzielle Zuwendungen, wie beispielsweise Honorare in fünfstelliger Höhe sind ein üblicher Weg.
Aber auch Anstellungen mit hohen Gehältern oder sonstige Vergünstigungen, die den Betreffenden auf der Karriereleiter voranbringen, sind beliebte Zuwendungen. Mit dieser finanziellen Zuwendung wird von den Ärzten erwartet, eine vorteilhafte Bewertung des entsprechenden Produkts zu erhalten. Ärzte entsprechen dem zumeist und nicht selten entwickeln sich zwischen Medizinern und Unternehmen langjährige Partnerschaften. Nicht alle Forschungsbereiche der Medizin sind gleichermaßen gefährdet. Besonders häufig drohen Interessenskonflikte zwischen Medizinern und Unternehmen dann, wenn hohe Summen im entsprechenden Bereich im Einsatz sind. Dies ist aktuell vor allem in der Krebsforschung, aber auch in der Intensivmedizin der Fall.
Unterschiedliche Standards
Das Bewerten von Produkten oder speziellen Therapien in Fachartikeln ist besonders anfällig für persönliche, aber auch fachliche Interessenskonflikte. Im Sinne einer unabhängigen Forschung wäre es deswegen notwendig, dass Mediziner ihre tatsächlichen Verbindungen mit Pharmakonzernen offenlegen. Allerdings legt aktuell nur eine kleine Anzahl an Medizinern beim Publizieren von Fachartikeln und ähnlichen Formaten ihre tatsächlichen Verbindungen zu Unternehmen vollständig offen. Selbstverständlich ist das Wissen um solche Interessenskonflikte einer der wichtigsten Gründe für das Verschweigen der tatsächlichen Beziehungen. Es muss jedoch auch bedacht werden, dass sowohl in der Forschung als auch in der Pharmaindustrie solche Interessenskonflikte sehr unterschiedlich definiert werden.
Für Fachzeitschriften besteht immer bereits dann ein Interessenskonflikt, wenn Autoren durch finanzielle Mittel oder persönliche Beziehungen mit Dritten haben, bei denen ein besonderes Interesse an der Bewertung eines Manuskripts besteht. In dieser Definition ist das reine Vorhandensein einer wie auch immer gearteten Beziehung schon problematisch, ungeachtet der thematischen Lage der Veröffentlichung oder der Art der Interaktion zwischen Mediziner und Unternehmen.
Pharmaunternehmen und viele Mediziner sind auf der anderen Seite eher der Ansicht, dass ein solcher Interessenskonflikt erst dann entsteht, wenn Fachartikel und Unternehmen das thematisch identische Interesse verfolgen. Dies abzugrenzen ist auch für Fachleute zum Teil extrem komplex. Nicht wenige Mediziner interpretieren die wissenschaftliche Richtlinie aus ihrer persönlichen Wahrnehmung deswegen bewusst für sich selbst günstig. In die Hände spielt ihnen dabei der Umstand, dass tatsächlich verbindliche und präzise Publikationsstandards in dieser Hinsicht noch nicht existieren. Ein weiter präzisierter Standard, der für die Veröffentlichung in medizinischen Fachzeitschriften verbindlich ist, wäre ein erster Schritt in Richtung mehr Nachvollziehbarkeit.
Mehr Transparenz in Publikationen
Ein Schritt für ein transparentes Nachvollziehen der Verbindungen von Medizinern zu Pharmaunternehmen wäre, die Namen der Firmen in der Publikation mit anzugeben, welche die Veröffentlichung unterstützt haben. Tatsächlich greift dies aber noch zu kurz, denn solche Leitlinien müssten verbindlich für alle Veröffentlichungen in Fachzeitschriften gelten. Bereits heute haben Mediziner, die sich nicht an entsprechende Leitlinien halten, meist keine Konsequenzen zu erwarten.
Nach wie vor liegt die Kontrolle, mit einem Unternehmen in einer Publikation in Verbindung gebracht zu werden, ausschließlich bei den Ärzten selbst. Schon im Jahr 2013 wurde mit Hinblick auf diese Problematik der Kodex des Europäischen Pharma-Dachverbands verabschiedet. Dieser legt zwar fest, dass Unternehmen offenlegen sollen, ob Zuwendungen an Ärzte geflossen sind. Solche Verbindungen werden jedoch nur dann veröffentlicht, wenn der betreffende Mediziner dem auch zustimmt.
Interessenskonflikte aufdecken über neue Plattform
Ein zentrales Register, das solche Interessenskonflikte sammelt, gibt es bislang noch nicht. Es zusammenzustellen wäre zudem sehr aufwändig, da alle Publikationen entsprechend einzeln überprüft werden müssten. Ein erster Schritt in Richtung eines solchen Registers ist die Datenbank von “Follow the Grant”. Dabei handelt es sich um ein Projekt, das vom MIZ Babelsberg, aber auch vom Prototype Fund, dem Netzwerk Recherche und von IJ4EU gefördert wurde. “Follow the Grant” nahm die Mammutaufgabe auf sich, über drei Millionen Fachartikel aus 16.000 verschiedenen Fachzeitschriften auszuwerten.
Dabei mussten zudem etwa 12 Millionen Autoren erfasst werden. Die Recherchen waren umfassend und fokussierten sich auf mögliche Interessenskonflikte zwischen Forschung und Pharmaindustrie. Mit erfasst wurden Angaben aus medizinischen Leitlinien, aber auch konkrete Angaben von Pharmakonzernen und sogar die Rednerlisten von Kongressen, die von der Industrie gesponsert wurden. Die Ergebnisse zeigten, dass die reine Anzahl an Interessenskonflikten in den letzten Jahren gestiegen ist, jedoch über die Hälfte der Artikel mittlerweile Angaben zu Verbindungen in die Industrie macht. Dennoch ist eine hohe Dunkelziffer zu vermuten, was die scheinbare Transparenz wiederum relativiert. Konkrete und verbindliche Publikationsrichtlinien wären aus diesem Grund ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz in der Medizinforschung.