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Naturkatastrophen, Unglücke, Großunfälle oder Attentate: Es gibt viele Situationen, in denen plötzlich zahlreiche Patienten an einem Ort versorgt werden müssen. In diesem Artikel erzählen wir euch, was bei einem Massenanfall von Verletzten – kurz MANV – passiert und wie die Koordination abläuft.
Als Massenanfall von Verletzten wird eine Situation bezeichnet, in der eine große Zahl von Verletzten versorgt werden muss. Manchmal finden synonym zum MANV auch die Begriffe „Großunfall“ oder „Großschadenslage“ Anwendung.
Bahnunglücke, Flugzeugabstürze, Attentate, Amoklagen, ABC-Einsatzlagen oder Seuchen sind Szenarien, in denen es zu einem MANV kommen kann.
Konzept und Ablauf des MANV
Einsatz von regionalen Einsatzkräften
Klassischerweise kommen bei einem MANV die regionalen Einsatzkräfte schnell an ihre Kapazitätsgrenzen, sodass überregionale Hilfe notwendig wird.
Ziel ist es, möglichst schnell adäquate Versorgungsmöglichkeiten für alle Betroffenen zu etablieren. Dazu werden Einsatzmittel aus benachbarten Regionen zusammengezogen und eine Führungsstruktur aufgebaut, um den Einsatz zu koordinieren.
Die Führung des Rettungsdienstes vor Ort übernimmt für medizinische Maßnahmen der leitende Notarzt und für technisch-organisatorische Aufgaben der organisatorische Leiter. Beide sind durch beschriftete Funktionswesten gekennzeichnet. Befindet sich der leitende Notarzt noch nicht vor Ort, übernimmt der zuerst am Ort eintreffende Notarzt diese Funktion.
Aufgaben des ersteintreffenden Arztes beim MANV
Die Aufgabe des zuerst eintreffenden Arztes ist nicht leicht: Anstatt sich um jeden Betroffenen einzeln zu kümmern, muss er die Anzahl der verletzten Personen und die Schwere ihrer Verletzungen erfassen, den Ort des Geschehens erkunden und sich einen Überblick über die Situation verschaffen.
Anschließend muss er der Rettungsleitstelle eine kurze und qualifizierte Lagebeschreibung übermitteln und das Stichwort „MANV“ auslösen, um Unterstützung nachzufordern.
Herstellung von Ordnung und Struktur beim Massenanfall von Verletzten
Essentiell ist bei einem MANV die rasche Wiederherstellung von Ordnung und Struktur, um alle Betroffenen möglichst schnell einer adäquaten Versorgung zuzuführen. Der leitende Notarzt koordiniert hierbei die medizinischen Maßnahmen. Ist dieser noch nicht anwesend, übernimmt der zuerst am Ort eintreffende Notarzt diese Funktion.
Somit kann die Aufgabe der primären Koordination anfangs auch in den Händen eines Arztes liegen, der nicht hauptberuflich mit Notfallmedizin zu tun hat, sondern etwa als Chirurg, Internist oder Pädiater gelegentlich Notarztdienste übernimmt. Um eine klare Hierarchie aufrecht zu erhalten, ist bis zum Eintreffen des Leitenden Notarztes ist der ersteintreffende Notarzt auch allen anderen nachrückenden Notärzten weisungsbefugt.
Sicherstellung der Patientenablage
Alle Patienten werden zunächst an einer Patientenablage gesammelt. Dies ist eine Stelle außerhalb des Gefahrenbereichs, wo eine Erstversorgung in Form von lebensrettenden Sofortmaßnahmen oder einer Triage (Sichtung oder Einteilung) durchgeführt wird. Von der Patientenablage werden die Patienten zu einem Behandlungsplatz oder zu einer anderen Versorgungseinrichtung transportiert.
Hat eine Kontamination mit giftigen oder gefährlichen Stoffen stattgefunden, müssen Patienten zunächst dekontaminiert werden, um eine Weiterverbreitung der Gefahrenstoffe zu unterbinden.
Wenn nicht genügend Transportmittel zum nächsten Krankenhaus zur Verfügung stehen, erfolgt die Behandlung an einem vor Ort eingerichteten Behandlungsplatz, an dem die Transportfähigkeit der Patienten hergestellt oder aufrechterhalten wird. Als Behandlungsplätze werden wenn möglich feste Gebäude, Container oder Sanitätszelte verwendet.
Der Rettungsmittelhalteplatz
Nahe am Behandlungsplatz wird ein Rettungsmittelhalteplatz eingerichtet, an dem Patienten unter der Federführung eines Transportkoordinators an Rettungsfahrzeuge oder Helikopter übergeben werden. Um die Wege nicht zu blockieren sammeln sich Rettungsfahrzeuge im Bereitstellungsraum, von dem aus sie bei Bedarf gezielt zum Rettungsmittelhalteplatz abgerufen werden.
Die vorinformierten Krankenhäuser folgen einem internen Ablaufschema und bereiten sich auf die hohe Anzahl an Patienten vor, indem sie Kapazitäten freimachen, elektive Eingriffe verschieben und dienstfreies Personal alarmieren.
Konzept zur überörtlichen Hilfe bei MANV
Der Bund hat in Form eines downloadbaren PDF Files ein detailliertes Konzept zur überörtlichen Hilfe bei MANV veröffentlicht. Zuständig hierfür ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz.
Im Dezember 2004 wurde vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz im Rahmen einer Arbeitsgruppe, ein Rahmenkonzept zur länderübergreifenden Zusammenarbeit bei einem Massenanfall Verletzter oder Erkrankter entwickelt und veröffentlicht. Darin wurden Vorschläge für die Verzahnung von Rettungs- und Sanitätsdienst entwickelt.
Der Downloadlink ist hier zu finden beim BKK.
MANV Stufen (Alarmierungsstufen)
Der MANV wird in Abhängigkeit der Anzahl der maximal zu versorgenden Patientinnen und Patienten in sogenannten MANV Stufen eingeteilt. Die Einteilung von MANV-Stufen ist in Deutschland dabei regional verschieden.
Die Bezeichnung der Stufen ist von der Anzahl der Patienten abhängig. So bedeutet beispielsweise MANV50, dass 50 Patienten versorgt werden müssen. In ländlichen Regionen mit weniger Einsatzkräften können die regionalen Rettungsdienste schneller an Ihre Grenzen stoßen. Hier könnte eine Einteilung beispielsweise so aussehen:
Quelle und weiterführende Information auf Umwelt-Online.
Daneben existieren so genannte Versorgungsstufen. Die Versorgungstufe definiert welche Einsatzmittel beim MANV verwendet werden. Die Versorgungsstufen wurden vom Bund in Kooperation mit den Ländern definiert. Insgesamt existieren vier Versorgungsstufen, anhand denen die Lage analysiert und Folgeentscheidungen getroffen werden.
Quelle: BKK Bund
In Abhängigkeit der Versorgungsstufe werden die Einsatzmittel und Dienste definiert:
- Versorgungsstufe 1 (<= 50 Betroffene): Einsatz von Rettungsdienst und überörtliche Hilfeleistung
- Versorgungsstufe 2 (<= 500 Betroffene): Zusätzlicher Einsatz von Schnelleinsatztruppen
- Versorgungsstufe 3 (> 500 Betroffene): Zusätzlicher Einsatz von besonderen, spezialisierten Einsatzeinheiten (z.B. besondere technische Rettungsausstattung)
- Versorgungsstufe 4 (zusätzliche zerstörte Infrastruktur): Einsatz von Sonderschutzeinheiten (z. B. Task Forces)
Ablauf der medizinischen Behandlung beim MANV
Beim Massenanfall von Verletzten gilt: Triage vor Behandlung
Das Durchzählen und Kategorisieren von Patienten wird als Triage bezeichnet, findet vor der eigentlichen medizinischen Versorgung statt und geht auf die Militärmedizin zurück. Damit wird die Strategie verfolgt, die knappen Rettungskräfte auf die Patienten zu konzentrieren, die gute Überlebenschancen haben, anstatt zu viel Zeit in hoffnungslose Fälle zu investieren und darüber andere zu vernachlässigen.
Um die Verletzten zu erfassen, werden sie sichtbar mit einem Filzstift auf der Haut durchnummeriert und in eine von vier Sichtungskategorien eingeordnet. Diese Einordnung wird „Triage“ genannt und folgt der Dringlichkeit der Behandlung. Die Einordnung in die Sichtungskategorie erfolgt nach einem farbcodierten System. Die Patienten werden sichtbar mit einer farbigen Verletztenanhängekarte markiert.
Es existieren die Kategorien grün (leicht verletzt, spätere Behandlung), gelb (schwer verletzt, aufgeschobene Dringlichkeit), rot (akute vitale Bedrohung, Sofortbehandlung), blau (ohne Überlebenschance) und schwarz (tot). Von hier aus werden Patienten in geeignete Krankenhäuser transportiert. Vor Transport findet eine namentliche Registrierung statt, um Angehörige informieren zu können.
Folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Sichtungskategorien:
STaRT-Schema bei einem MANV
Eine erste Handlungsanweisung bietet das STaRT-Schema. Die Abkürzung steht für Simple Triage and Rapid Treatment. StaRT dauert pro Patient nur etwa 60 Sekunden, ist für medizinisches Personal aller Qualifikationsstufen geeignet und benötigt keine besonderen Hilfsmittel.
- Alle gehfähigen Patienten werden aufgefordert, sich an einen Sammelpunkt zu begeben.
Wer gehfähig ist, wird automatisch in die SK 3 eingeordnet. - Patienten mit Atemstillstand gelten als verstorben, wenn der Atemstillstand nach Freimachen der Atemwege persistiert.
- Prüfung der Atmung: Atemfrequenz > 30/min = SK 1
- Prüfung der Perfusion: Rekapillarisierungszeit > 2 Sekunden = SK 1
Starke Blutungen werden mittels Druckverband oder Tourniquet gestillt. - Prüfung des mentalen Status:
Bewusstlosigkeit oder inadäquate Reaktion auf Ansprache = SK 1 - Alle anderen Patienten werden in die SK 2 eingeteilt.
- Eine Einteilung in die SK 4 findet nur bei extrem limitierten Rettungsressourcen statt.
“Scoop and Run” statt “Stay and Play”
Grundsätzlich lautet die Devise bei einem MANV nicht „Stay and Play“ sondern „Scoop and Run“. Durch die begrenzten Mittel am Unglücksort und die Dringlichkeit der Behandlung bietet nur ein schnellstmöglicher Transport in eine Klinik gute Behandlungsschancen – also ab mit dem Patienten in das nächstbeste Rettungsmittel und ab ins Krankenhaus.
Die wichtigsten Regeln bei einem Massenanfall von Verletzten (MANV):
Zusammengefasst sind die wichtigsten Regeln folgende:
-
- Ruhe bewahren und sich zuerst einen Überblick verschaffen
- Nach Sichtung der Patienten und Erkundung des Unglücksortes: Meldung an die Leitstelle
- Mit Struktur vorgehen, Arbeitskräfte optimal einsetzen
An den Leitenden Notarzt übergeben, sobald dieser eintrifft.
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