
Der Verein Lipödem Hilfe Deutschland e.V. zählt rund vier Millionen Frauen, die hierzulande an der Krankheit leiden und sich nach eigenen Angaben oft von Ärzten in Kliniken allein gelassen fühlen. Wer die gestörte Vermehrung des Fettgewebes entfernen lassen möchte, muss eine Schönheitschirurgie aufsuchen und die Leistung privat bezahlen. Das kritisieren Selbsthilfeorganisationen seit Jahren und nun hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Thematik geäußert. Aus der Kontroverse ging Ende Januar die Idee hervor, eine chirurgische Therapie von den Krankenkassen übernehmen zu lassen. Es gibt aber Einschränkungen und weiterhin Diskussionsbedarf.
Das Erkennen eines Lipödems: Diagnose und Schweregradbestimmung beim Arzt
Der Fachbegriff aus dem Griechischen setzt sich aus den Worten für “Fett” und “Schwellung” zusammen. Zu Beginn kommt es zu einer Umfangsvermehrung im Hüft- und Oberschenkelbereich. Dieser Schweregrad Typ I betrifft viele Frauen ab der Jugend und wird umgangssprachlich als “Reiterhosen” bezeichnet. Bis auf die optische Beeinträchtigung leiden Patientinnen noch nicht an weiteren Symptomen.
Wird nicht gehandelt, verstärkt sich das Lipödem beim Schweregrad Typ II bis zu den Knien und wird von Spannungsgefühlen sowie Druckschmerzen begleitet. Eine Fettlappenbildung belastet die Patientinnen ebenso wie eine sehr schnelle Erschöpfung der Beine.
Beim Schweregrade Typ III hat sich das Lipödem bis an den Rand der Knöchel ausgebreitet und lässt die gesamten Beine stark anschwellen. Die Schmerzen machen einen Alltag für viele Patientinnen nahezu unmöglich.
Typ IV liegt vor, wenn die Schwellungen auf die Arme übergreifen und Typ V, wenn Ödeme auch Hände und Füße betreffen. Teilweise sind Finger und Zehen kaum noch normal zu benutzen.
Um eine gesicherte Diagnose zu stellen, erfolgen drei Schritte durch den Arzt:
1. Anamnese (Gespräch mit der Patientin über ihre gesundheitliche Vorgeschichte sowie akute Symptome)
2. Inspektion (Umfang, Ausprägung der Fettlappen sowie Orangen- oder Matratzenhaut werden überprüft)
3. Palpation (Abtasten, um die Festigkeit und Durchblutung des Gewebes sowie Druckschmerzen zu testen)
Ursachen des “Frauenleidens” Lipödem
Es handelt sich bei dieser Krankheit um eine Fettverteilungsstörung, die zu 99 Prozent bei Frauen auftritt. Bis auf einen dokumentierten Fall sind Männer nur dann betroffen, wenn bei ihnen eine hormonelle Funktionsstörung zugrunde liegt.
Der oder die genaue/n Auslöser liegen bislang im Dunkeln. Die über Monate und Jahre voranschreitende Häufung des Fettgewebes wird jedoch vor allem mit hormonellen Prozessen verbunden. Patientinnen erleben Krankheitsschübe in den Lebensphasen mit den größten Hormonumstellungen: Pubertät, Schwangerschaft und Wechseljahre. Darüber hinaus sind Frauen, die hormonelle Kontrazeption nutzen, häufiger betroffen.
Neben den Hormonen spielt vermutlich eine allgemeine Gewichtszunahme eine Rolle, da viele Patientinnen insgesamt zu viel wiegen. Ärzte betonen jedoch ausdrücklich, dass das Lipödem nicht mit Übergewicht gleichzusetzen ist, da es sich um eine lokale Fettgewebehäufung handelt.
Ferner werden genetische Faktoren diskutiert, da viele Frauen innerhalb einer Familie zu Lipödemen neigen.
Die Therapiemöglichkeiten eines Lipödems
Prinzipiell richtet sich die Behandlung nach dem Schweregrad. Zu Beginn der Krankheit wird den Patientinnen geraten, mit Gewichtskontrolle und Sport die Vermehrung von Fettgewebe zu begrenzen. Das Lipödem soll dadurch weniger schnell zunehmen, da allgemein weniger Fett im gesamten Körper aufgebaut wird.
Um die Beine zu entlasten, wird häufig eine Kompressionstherapie begonnen: Kompressionsstrümpfe sollen den gesunden Fluss von Blut und Lymphe gewährleisten. Kombiniert wird dies oft mit manueller Lymphdrainage sowie Gymnastikübungen beim Physiotherapeuten.
Helfen diese Therapiemaßnahmen wenig oder ist der Schweregrad zu weit fortgeschritten, stellt eine Operation die letzte Möglichkeit dar. Diese Liposuktion galt bisher als Maßnahme der Schönheitschirurgie und wurde von den Krankenkassen nicht übernommen.
Lipödem-OP als Kassenleistung ab Schweregrad Typ III?
Bundesgesundheitsminister Spahn sorgte Anfang 2019 für Aufsehen. Er wollte über einen Antrag ermöglichen, dass sein Ministerium ohne bislang notwendige Zustimmung des Bundesrates über die Kassenübernahme für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden entscheiden kann. Dafür gab es sowohl positive Stimmen als auch Kritik. Befürworter betonten, dass damit zähe Verwaltungsprozesse wegfallen und Bedürftige schneller Hilfe erhalten. Gegenstimmen sahen ein Gesundheitsrisiko, da ein Alleingang des Ministeriums dazu führen kann, dass Nutzen-Risiko-Untersuchungen fehlen.
Ende Januar 2019 unterbreitete der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (Josef Hecken) einen Kompromiss. Das Lipödem im Stadium III soll operativ auf Kosten der gesetzlichen Kassen behandelt werden und das ab 2020 bis vorerst 2024. So helfe man den Patientinnen, die stark leiden und könne in der Zwischenzeit Studiendaten sammeln, um für die Schweregrade Typ I und Typ II den Nutzen abzuwägen. Die befristete Kassenübernahme könne dann gegebenenfalls verlängert werden.