
Landarzt werden, fürchten viele junge Mediziner. Doch der Job hat auch viele Vorteile.
Der Vorschlag der Gesundheitsministerkonferenz, eine Landarztquote einzuführen, schlug ein wie eine sprichwörtliche Bombe: Studenten und der Deutsche Ärztetag sind sich darüber einig, dass es definitiv keine Quotenregelung geben sollte – vor allem nicht in der jetzigen Form mit fast jahrzehntelanger Verpflichtung und saftigen Konventionalstrafen bis zu 150.000 Euro. Doch einmal ganz weg von Pflichten und Quoten, warum sollte ein junger Mediziner eigentlich kein Landarzt werden wollen? Immerhin winken dort Dinge, die beim typischen Jung-Arzt in irgendeinem Stadt-Krankenhaus oftmals bemängelt werden. Ein Kommentar.
Für immer „schnell schnell“?
Der klassische Weg des Mediziners beinhaltet die Assistenzzeit in einem Krankenhaus. Natürlich, in Sachen Medizin ist das die hohe Kunst, weil nirgendwo tiefer in die Materie eingegangen wird. Doch man muss sich keine Szenarien wie MANV vorstellen, um als Assistenzarzt eines zu wissen. Nämlich dass in einem Krankenhaus –egal ob in einer Großstadt oder einem Oberzentrum – immer viel los sein wird. Der Internist muss ebenso dauerhaft mit Massenaufläufen von Kranken rechnen, wie der Chirurg seine wöchentlichen „Großkampftage“ hat, an denen er ausschließlich am OP-Tisch steht.
Und wenn man dann noch bedenkt, wie sehr die Bereitschaftszeit, 24-Stunden-Schichten und ähnliche Arbeitszeiten einen persönlich fertigmachen können, ist es eigentlich überraschend, dass so viele sich nichts Schöneres vorstellen können, als in einem Krankenhaus zu arbeiten.
Vor allem, wenn man sich wirklich die Landarzt-Realität anschaut. Natürlich ist auch da Stress kein Fremdwort, denn durch den momentanen Landärztemangel entstehen naturgemäß Engpässe. Aber:
- Es gibt eine feste, geregelte tägliche Arbeitszeit – die man selbst bestimmt, sofern man eine eigene Praxis betreibt
- Notdienste sind zwar verpflichtend, aber fallen für niedergelassene Ärzte nur alle paar Wochen an
- Der Stress verläuft eher wellenförmig, etwa mit dem Auftreten von Erkältungs-Epidemien und ist nicht dauer-präsent
Wohlgemerkt sprechen wir von einem echten „Landarzt“ und nicht vom Hausarzt in einer Kleinstadt mit 10000 Einwohnern. Und da ist es Realität, dass man sich schlicht weniger verbrennt – das gilt selbst in Zeiten, in denen auf einen Landarzt 1000 oder mehr Patienten pro Quartal kommen – 750 gelten als Optimalwert.
Keine Schichten und ähnliche Stressfaktoren ermöglichen einem als Landarzt auch, ein „echtes“ Privatleben zu haben. Bei aller Leidenschaft zur Medizin und dem Arztberuf als Berufung, wenn man darüber sein restliches Leben vollkommen ignoriert, leidet auch das Arzt-sein. Nirgendwo steht geschrieben, dass man als Mediziner verpflichtet sei, sich vollkommen aufzuopfern.
Natürlich kennt jeder junge Doktor die Geschichten vom Landarzt, der auf 60 oder mehr Wochenstunden kommt. Und ebenso natürlich gibt es diese Fälle tatsächlich. Doch dabei muss man auch bedenken, dass diese Situation sich im großen Maßstab nur verbessern lässt, indem wieder mehr Ärzte aufs Land zurückkehren. Wer es als junger Mensch tut und es ihm viele andere nachmachen, der wird zwar jetzt und vielleicht auch noch in zehn Jahren viel zu tun haben – aber dann auch den Fuß vom Gas nehmen können, weil wieder ein gesünderes Verhältnis von Ärzte- zu Patientenzahl eingetreten ist.
Zwischenfazit: Landarzt werden bedeutet zwar auch, viele Patienten zu haben. Aber eben ohne Schichten und sonstigen Stress, sodass insgesamt ein besseres Leben auch abseits des Berufs möglich ist.
Landarzt werden: Das Finanzielle
Kritiker des Landarzt-Daseins bemängeln gerne, dass in einer solchen Praxis finanziell alles „auf Kante genäht“ wäre. Doch schauen wir uns einmal den umgekehrten Fall an. Natürlich kann man in einer Klinik „einfach so“ praktizieren, ohne Praxismiete, ohne Kredit für Gerätschaften. Aber schon wenn man sich in einer normalgroßen Stadt wie Fürth, Kassel, Lübeck oder Freiburg selbstständig machen will, wird es richtig teuer – in Fürth kann man mit 2000 Euro Monatsmiete locker rechnen, in anderen Großstädten wie München liegt auch ganz schnell das Doppelte oder mehr an.
Umgekehrt ist der Gedanke, dass die Patienten in Städten für ein volleres Konto sorgen würde, eine Illusion. Klar, wer eine Praxis in einem gutbetuchten Viertel eröffnet, der bekommt natürlich einen höheren Anteil an Privatversicherten. In jedem anderen Stadtteil ist deren Anteil jedoch so hoch oder niedrig wie auf dem Land. Am Beispiel Zahnmedizin sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache – die Gesamtkosten für den Patienten sind etwa in Berlin, Hamburg oder Bremen nicht höher als auf dem umliegenden Land und somit im Umkehrschluss auch die Einnahmen für den Arzt. Wohl sind dort jedoch die ganzen Nebenkosten einer Praxis wesentlich geringer, sodass der niedergelassene Landarzt – ganz gleich ob nun Allgemeinmediziner oder Facharzt – sogar auf eine bessere finanzielle Gesamtsituation blicken kann, bewiesen durch die letzte Erhebung der Kostenstruktur von Praxen.
Obendrein ist die Tatsache, dass momentan ein Großteil der Landärzte überaltert ist, die Chance für junge Mediziner schlechthin, ohne gigantische Kredite an eine Praxis zu gelangen. Denn mit unzähligen Kollegen, die in den Ruhestand möchten, ohne einen Nachfolger zu finden, steigen die Chancen, komplett ausgestattete Praxen für geringste Kosten zu bekommen. Das glauben Sie nicht? Im Nordrhein-Westfälischen Herford wolle jüngst ein alter Arzt seine Praxis sogar verschenken – ohne dass ein Nachfolger aufgetaucht wäre.
Und diese Situation besteht in jedem ländlichen Raum in ganz Deutschland – man muss also nicht irgendwo ins brandenburgische Nirgendwo gehen. Schon eine ländliche Region vor den Toren einer Großstadt reicht – nördlich des Ruhrgebiets herrscht ebenso Medizinermangel wie in der Eifel südlich von Köln oder auf halbem Weg zwischen Berlin und Dresden.
Zwischenfazit: Die generellen Kosten sind für einen Landarzt niedriger. Das gilt sowohl für Mieten als auch die Übernahme von Praxen. Zudem bleibt durch die hohe Patientenzahl mehr übrig.
Adieu Anonymität als Landarzt
Arzt in einer großen Stadt. Das bedeutet auch, dass man Tag für Tag neue Gesichter sieht. Nicht selten Patienten, die nur einmal auftauchen und danach nie wieder. Viele Stadtmediziner beklagen diesen Zustand, denn er verhindert, dass sich die vielgeschworene Patient-Arzt-Beziehung zu voller Blüte entwickeln kann – wie sollte sie auch, wenn der Patient im Stress ist und der Arzt schon 18 Stunden Bereitschaft hinter sich hat? Abgesehen davon, dass es allein statistisch schon wahrscheinlicher ist, mit immer neuen Personen konfrontiert zu werden, je größer das Einzugsgebiet eines Instituts ist.
Natürlich ist das für einen jungen Mediziner zunächst interessant und kein sichtbarer Nachteil, denn je mehr Durchfluss an Patienten herrscht, desto umfangreicher die Krankheitsbilder, desto ausgeprägter das Lernergebnis.
Nach einer gewissen Zeit sorgt diese Masse an Fällen jedoch dafür, dass eine Art Abstumpfung eintritt. Es bleibt kaum Zeit, sich wirklich eingehend mit der ganzen Geschichte eines Patienten auseinanderzusetzen. Es herrscht der Zwang, zu möglichst schnellem und effektivem Arbeiten.
Auf dem Land sind zwar auch größere Patientenmengen zu bewältigen, jedoch mit einem signifikanten Unterschied. Denn wo weniger Menschen leben und noch weniger Ärzte praktizieren, steigen die Chancen, immer wieder zum gleichen Mediziner zurückzukehren, signifikant. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand:
- Der Arzt bekommt die Möglichkeit, sich viel intensiver mit der Krankheitsgeschichte zu befassen
- Das Patient-Arzt-Verhältnis wird bedeutend tiefer und fruchtbarer, weil Bekanntheit und somit Vertrauen steigen
- Es steigt zwar nicht die Masse an Krankheitsbildern, jedoch die Kenntnis für einzelne davon
Ein Landarzt wird vielleicht nicht so viele unterschiedliche Fälle sehen wie sein städtischer Kollege. In jedem Fall wird er sich jedoch sehr viel umfangreicher mit dem, was er findet, befassen können. Und dadurch zu einem persönlicheren Vertreter seines Standes werden, der nicht nur die Krankheit, sondern auch den Mensch besser im Blick hat.
Gerade für junge Ärzte, die oft dazu neigen, sich zu sehr auf ihren Status als Mediziner zu verlassen, um sich gegenüber renitenten Patienten durzusetzen, kann das ein gewaltiges Plus sein, denn es schafft eine beiderseitige Vertrauensbasis.
Eine langfristige Bindung
Und diese Abwesenheit der typisch-städtischen Anonymität ermöglicht es dem Mediziner, eine langfristige, dauerhafte Bindung einzugehen – nicht nur in medizinischer Hinsicht:
- Ein intensives Befassen mit einem Patienten über vergleichsweise sehr lange Zeiträume („von der Wiege bis zur Bahre“)
- Ein besseres Verständnis für langfristige Krankheitsentwicklungen und deren Heilung
- Tieferes Ausloten von einzelnen Therapiemethoden statt des Zwanges, dauerhaft Neues zu erlernen
Letzteres sollte nicht falsch verstanden werden. Natürlich ist es aus einem therapeutischen Ansatz zunächst immer vorteilhaft, neue Behandlungsmethoden zu erlernen und anzuwenden. Dennoch kann es ebenso von Vorteil sein, bereits bestehende Wege in allen Facetten auszuloten, anstatt sie rasch durch Neues zu ersetzen – alt ist nicht zwangsläufig schlechter. Bloß hat der Landarzt tatsächlich durch seine Entfernung von den Entstehungszentren neuer Methoden tatsächlich die Möglichkeit, ein praktisch erfahrenerer Mediziner zu werden, als ein Kollege, der etwas Neues erlernt, nur um schon kurze Zeit später dieses Wissen wieder korrigieren zu müssen.
Medizinisches Gewissen als Landarzt
Auch wenn eine Argumentation, die aufs Gewissen statt auf Fakten zielt, selten seriös ist, so ist das in diesem Fall anders. Denn heute ist es eine schlichte Tatsache, dass es in Städten ein Überangebot an Medizinern gibt während auf dem Land Patienten oft weite Wege und/oder lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
Aus einer hippokratischen Sichtweise ist das eigentlich ein unhaltbarer Zustand, denn die Gleichbehandlung aller Patienten ist die Grundlage des Berufs. Und wenn sich die meisten jungen Ärzte in den Städten ballen, in Kliniken, Gemeinschaftspraxen und ähnlichen Institutionen, sinkt nicht nur die Verfügbarkeit für Patienten auf dem Land, sondern es steigt auch der Stress für die Kollegen dort.
Natürlich sollte niemand nur wegen seines Gewissens Landarzt werden, aber einen kleinen Platz in der Argumentation soll dieser Faktor dennoch haben – auch die Landbevölkerung, die im Übrigen in Deutschland ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmacht, hat es verdient, eine adäquate medizinische Betreuung zu bekommen, ohne dafür unverhältnismäßig lange Wege in Kauf nehmen zu müssen.
Nur wenige junge Ärzte, die sich für diesen heute so unpopulären Weg entschieden, haben es auf lange Sicht bereut. Natürlich hat auch das Dasein als Landarzt Höhen und Tiefen, aber wer den menschlichen Part des Arztberufs hoch einordnet, kann eigentlich kaum eine bessere Berufung finden, als „Bauer Horst“, „Oma Anne“, „Klein Lisa“ und Co. über viele Jahre medizinisch zu betreuen.
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