Geschätzt befinden sich derzeit über 500.000 Ausländer in Deutschland, die über keinen legalen Aufenthaltsstatus verfügen. Für diese Menschen bedeutet dies zahlreiche Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Im Grundgesetz ist das Recht auf Gesundheit/ körperliche Unversehrtheit verankert und regelt, dass jeder mindestens einen Anspruch auf eine medizinische Regelversorgung hat. Doch offensichtlich gilt dies doch nicht für jeden, wie bei Menschen ohne Papiere und/oder legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu sehen ist. Ein Arzt spricht Klartext.
Fallbeispiele – so sieht es in Deutschland aus
Vor über 20 Jahren wurde der Asylantrag der Serbin Petra A. nach einigen Jahren Aufenthalt von den deutschen Behörden abgelehnt und wurde abgeschoben. Sie wagte den Grenzübertritt erneut, weil sie in ihrer alten Heimat niemanden mehr kannte und ein Leben dort unerträglich für sie war. Ohne Hoffnung, nun einen legalen Aufenthaltsstatus zu erhalten, verzichtete sie auf eine erneute Antragstellung. Kaum Verdienstmöglichkeiten, keine soziale Absicherung und nicht krankenversichert sind die Folgen. Sie wohnt abwechselnd bei ihren Nichten und Neffen, die über legale Papiere verfügen und sie mit dem Nötigsten versorgen, damit sie nicht auf der Straße schlafen oder hungern muss. Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand. Sie leidet unter chronischen Ohrentzündungen, Depressionen, Bluthochdruck und ist auf eine Gehhilfe aufgrund von Schmerzen in den Beinen angewiesen. Auf staatliche Hilfe für eine medizinische Behandlung kann sie nicht hoffen.
Adriana S., 55 Jahre alt, als Chilenin ist seit 17 Jahren in Deutschland ansässig – ohne legalen Aufenthaltsstatus. Sie hat zahlreiche chronische Erkrankungen und müsste eigentlich regelmäßig zu Untersuchungen, um Blutdruck, ein erhöhtes Thromboserisiko, Schilddrüsenunterfunktion und chronische Nierenentzündungen zu kontrollieren. Bei der Ausländerbehörde um eine medizinische Behandlung zu erfragen, traut sie sich aus Angst vor Abschiebung nicht. Sie geht gelegentlich zu einer Anlaufstelle für papierlose und illegale Einwanderer. Hier erhält sie eine kostenlose Basisbehandlung und einen Behandlungsschein für erforderliche Weiterbehandlungen bei Spezialisten. Der Gang ist für Sie schwer, weil Scham sie begleitet – die Scham, auf die gutmütige Hilfe von ehrenamtlich arbeitenden Ärzten und auf Spendengelder angewiesen zu sein. Aus diesem Grund geht sie nur, wenn sie starke Schmerzen dazu zwingen oder eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ihr Angst macht.
Forderung nach medizinischer Versorgung für alle
Dr. Ulrich Clever ist als Menschenrechtsbeauftragter der Bundesärztekammer tätig und bezieht klar Stellung für einen bedarfsgerechten Zugang zum Gesundheitssystem für alle in Deutschland lebenden Menschen – unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus oder ihrer Herkunft. Des Weiteren fordert er eine Abänderung im Asylbewerberleistungsgesetz, das lediglich die Behandlung von akuten Krankheitsfällen beinhaltet. Asylbewerber mit chronischen Erkrankungen besitzen durch das Gesetz kein Recht auf eine medizinische Versorgung bei beispielsweise Asthma oder dauerhaftem Bluthochdruck. Medikamente müssen Betroffene mit ohnehin geringen oder gar keinen finanziellen Mitteln, vollständig allein bezahlen, wobei viele Medikamente der Rezeptpflicht unterliegen und damit für papierlose sowie Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus unerreichbar sind.
Hinzu kommen auch deutsche Staatsangehörige und EU-Bürger, die aus verschiedensten Gründen über keine Krankenversicherung verfügen. Vor allem Obdachlose und minimal verdienende Selbstständige, die sich keine privat finanzierte Krankenversicherung leisten können, fallen darunter. Ihre Zahl nimmt kontinuierlich zu. Durch die deutsche Gesetzgebung wird billigend in Kauf genommen, dass sich der Gesundheitszustand von chronisch Erkrankten dieser Personengruppen verschlechtert, sie unter den gesundheitlichen Symptomen leiden und Schmerzen ertragen müssen, wenn Medikamente für sie unerschwinglich oder nicht erhältlich sind.
Hier spricht Dr. Clever von menschenunwürdigen Verhältnissen, die schleunigst abgeändert werden müssen.
Organisierte Hilfe ohne staatliche Unterstützung
Wie groß der Bedarf tatsächlich an medizinischer Versorgung für Menschen ohne Zugang zum Gesundheitssystem ist, zeigt der rege Betrieb in zahlreichen lokalen Anlaufstellen, in denen sich der hilfesuchender Betroffener angenommen wird. Ehrenamtlich wirkende Ärzte, Krankenschwestern, Arzthelferinnen und viele mehr stehen in diesen Anlaufstellen für kostenlose Behandlungen sowie Untersuchungen zu Verfügung. Mittlerweile hat sich ein großes Hilfsnetz gebildet, das zurzeit aus mehr als 80 nicht-staatlichen Organisationen, Einzelpersonen aus dem Medizinbereich, Kirchengemeinden sowie Wohlfahrtsverbänden besteht. Finanziert wird das Projekt durch Spenden, mit denen unter anderem Praxismieten, medizinisches Equipment und Medzinbedarf wie Spritzen, Medikamente oder Verbandsstoffe bezahlt werden können.
Dr. Clever und alle andere anderen an dem Projekt beteiligten Ärzte weisen darauf hin, dass sie nicht nur ihr abgelegter Eid zur medizinischen Hilfe verpflichtet. Sie fühlen sich berufen, jedem alles erdenklich Mögliche zu gewähren, damit Leiden gelindert und Gesundheitszustände gebessert werden können. Sie sehen ihren Beruf nicht einzig als geldverdienenden Beruf, sondern als eine lebenslange Berufung, die keine Asylgesetze kennt und keine Unterschiede zwischen Aufenthaltsstatus, Alter oder Herkunft macht. Ausgebremst werden sie allerdings durch die deutsche Gesundheitsreform und staatliche Gesetze. “Das muss ein Ende habe”, sagt Dr. Clever und plädiert für einen menschenwürdigen Umgang für alle Menschen in Deutschland, die einer medizinischen Behandlung bedürfen.