Kinder und Jugendliche sind als Minderjährige noch nicht geschäftsfähig. Ist also für eine Behandlung immer die Einwilligung der Eltern notwendig oder dürfen Kinder auch selbst entscheiden? Oftmals kommen Elternteile auch alleine mit ihrem Kind zum Arzt. Darf Mama oder Papa dann eigenständig eine Therapieentscheidung treffen? Wir klären die wichtigsten Fragen zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen.
Rechtsgrundlage: Entscheidung hängt von geistiger Reife ab
Insbesondere die Frage, wer die Einwilligung zu einer medizinischen Behandlung geben darf, ist rechtlich viel diskutiert. Hier spielen einerseits die Rechtsprechung, andererseits die geistige Reife zusammen.
Grundsätzlich ist es so, dass eine minderjährige Person selbst über eine ärztliche Behandlung entscheiden kann. Allerdings hängt die Entscheidung von der geistigen Reife ab, die wiederum von der intellektuellen Entwicklung und dem Alter abhängt. Nur wenn ein Patient die Konsequenzen einer medizinischen Entscheidung überblicken kann, besitzt er auch die geistige Reife, seine Einwilligung zu einer Behandlung zu geben.
Eine Behandlung entspricht Körperverletzung
Es mag zwar etwas absurd klingen, aber tatsächlich ist jede ärztliche Behandlung und Medikamentengabe ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und darf nicht ohne vorherige Einwilligung erfolgen. Ansonsten gilt die Behandlung als Körperverletzung. Nur wenn der Patient vorher einwilligt, erhält der Arzt die rechtliche Befugnis, die Behandlung durchzuführen.
Um eine rechtswirksame Einwilligung zu erteilen, ist jedoch eine umfassende vorherige Aufklärung des Patienten notwendig. Ab welchem Alter ein Mensch diese Fähigkeit zur Einwilligung besitzt, ist juristisch allerdings nicht geklärt. Denn die Grenze ist besonders bei Jugendlichen individuell sehr unterschiedlich.
Auf die Geschäftsfähigkeit kommt es nicht an
Wie wird allerdings festgelegt, ob ein Jugendlicher bereits die geistige Reife hat? Die Frage, ob Minderjährige bereits die Fähigkeit zur Einwilligung in eine Behandlung besitzen, muss tatsächlich der Behandelnde klären. Der Arzt ist hier also in der Pflicht, sich von der geistigen Reife zu überzeugen. Sind die Eltern wiederum von der Entscheidung des Kindes nicht überzeugt, dann müssen sie nachweisen, dass ihrem Kind die entsprechende Reife fehlt, die behandlungsspezifischen Konsequenzen korrekt einzuschätzen.
Die Geschäftsfähigkeit eines Kindes spielt in diesem Fall also keine Rolle, da es sich bei einer medizinischen Behandlung um einen Eingriff in den eigenen Körper handelt und dies rechtlich über der Befähigung zu Rechtsgeschäften betrachtet wird. Ein minderjähriger Patient darf also selbst seine Einwilligung zu einer Behandlung erteilen, solange er als einwilligungsfähig angesehen wird.
Eltern haben das Sorgerecht
Eigentlich gelten Kinder unter 18 Jahren noch nicht als voll geschäftsfähig und dürfen dementsprechend auch keinen Behandlungsvertrag mit einem Arzt abschließen. In diesem Fall müssen die Sorgeberechtigten das übernehmen, also die Eltern. Dabei ist unabhängig, ob sie verheiratet sind, getrennt leben oder geschieden sind, sobald sie gemeinsam das Sorgerecht haben, ist von beiden Elternteilen die Einwilligung für eine Behandlung des Kindes notwendig.
So zumindest die gesetzliche Lage. Allerdings lässt sich das in der Praxis natürlich nicht immer umsetzen. Der Bundesgerichtshof hat hierfür ein klares Modell ins Leben gerufen, das im Folgenden Aufschluss gibt.
Die Dreistufentheorie des BGH zur Behandlung von Kindern
Für die Behandlung eines einwilligungsunfähigen Kindes ist die Einwilligung von beiden sorgeberechtigten Eltern des Kindes erforderlich. Die Ausnahme besteht hier natürlich, wenn nur ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat.
Allerdings kommt es nur sehr selten vor, dass beide Elternteile das Kind zum Arzt begleiten. In der realen Welt geht meist nur einer von beiden mit dem Kind zu einer Untersuchung. Darf der allein erschienene Elternteil in diesem Fall also keine Behandlung durchführen lassen, ohne vorher die Einwilligung des Partners einzuholen?
Zum Glück hat die Rechtsprechung diese Zwickmühle erkannt und bestimmte Voraussetzungen geschaffen, in denen ein Elternteil als Vertretung des Kindes genügt. Der Bundesgerichtshof hat hierfür die sogenannte Dreistufentheorie entwickelt:
- Leichte Eingriffe: Bei alltäglichen Routinefällen kann der Arzt offiziell davon ausgehen, dass der erschienene Elternteil die Einwilligung für beide Elternteile erteilen darf. Zu solchen leichten Routineeingriffen zählen unter anderen die Behandlung von Kinderkrankheiten oder die Gabe von unproblematischen Medikamenten. Auch die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen zählen als Routineuntersuchung.
- Mittlere Eingriffe: Erfordert eine Behandlung ein ausführliches Aufklärungsgespräch, muss sich der Arzt vorab erkundigen, ob der anwesende Elternteil berechtigt ist, auch für den Abwesenden zu handeln. Der Arzt ist hier aber nur in der Pflicht, diese Information zu erfragen und sie zu dokumentieren. Solange der Arzt also keine berechtigten Zweifel an der Aufrichtigkeit der Auskunft hat, muss er keine weiteren Nachforschungen anstellen.
- Schwere Eingriffe: Bei risikoreichen Eingriffen muss der Arzt die Einwilligung beider Elternteile einholen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Herzoperationen oder Eingriffe an der Wirbelsäule. Ganz pragmatisch bedeutet das, dass beide Elternteile hier zum Aufklärungsgespräch erscheinen müssen oder der nicht Anwesende zumindest telefonisch seine Ermächtigung zu dem Eingriff erteilen muss.
- Ein Sonderfall sind zudem Notfälle, wenn die Einwilligung beider Elternteile nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden kann. In diesem Fall genügt ebenfalls die Einwilligung des erscheinenden Elternteils.
Wer entscheidet, wenn sich die Eltern nicht einig sind?
Sind die sorgeberechtigten Eltern unterschiedlicher Meinung über eine Behandlung des Kindes, darf der Arzt die Behandlung nicht vornehmen. Das ist erst möglich, wenn er das Einverständnis beider Elternteile hat. In diesem Fall muss der Arzt Überzeugungsarbeit zum Wohle des Kindes bei den Eltern leisten. Andernfalls muss das Betreuungsgericht involviert werden, insbesondere wenn es sich um wichtige Eingriffe handelt. Notfallbehandlungen sind hiervon natürlich ausgeschlossen.
Dürfen Großeltern oder Verwandte über Behandlungen entscheiden?
Erscheint das Kind nicht mit einem seiner Elternteile zum Arzt, sondern mit Großeltern, Onkel oder Stiefvater, muss geklärt werden, in welchem Verhältnis die Person mit dem Patienten steht. Notfalls muss der Arzt bei einem Elternteil rückfragen und sich bestätigen lassen, dass die Begleitperson im Namen der Eltern entscheiden darf. Dies ist natürlich ebenfalls nur in Abhängigkeit der Schwere des Eingriffs möglich. Bei Entscheidungen, die über einen Routineeingriff hinausgehen, muss der Arzt in jedem Fall Rücksprache mit den Eltern halten.
Einwilligungsfähige Jugendliche sind ein Spezialfall
Ist der Arzt nach dem Aufklärungsgespräch von der Einwilligungsfähigkeit eines Jugendlichen überzeugt – er also die Tragweite der Behandlung begreifen kann – darf der Jugendliche selbst entscheiden. In diesem Fall dürfen die Eltern auch nicht gegen seinen Willen über die medizinische Behandlung informiert werden.
Anders sieht es hier natürlich bei nicht einwilligungsfähigen Kindern aus: Hier besteht keine ärztliche Schweigepflicht, da die Einwilligung der Eltern hier unbedingt erforderlich ist.
Wenn Eltern und Kind uneinig sind
Sind sich Eltern und Kind über die Durchführung eines Eingriffs nicht einig, kommt es vor allem auf die Reife des Kindes sowie die Schwere des Eingriffs an. Je älter ein Kind ist, desto mehr Gewicht hat seine Entscheidung. Ist ein Jugendlicher einwilligungsfähig, trägt er alleinig die Entscheidung für oder gegen einen Eingriff. Besonders bei aufschiebbaren Eingriffen sollte in diesem Fall der Eingriff jedoch zurückgestellt werden, bis eventuell Konsens zwischen Eltern und Kind besteht. Handelt es sich hingegen um eine notwendige Behandlung, wie zum Beispiel eine lebensrettende Bluttransfusion, muss der Arzt stets zum Schutz des Kindes handeln.