
In deutschen Krankenhäusern lernen Fachärzte zwar, wie sie Ober- oder Chefarzt werden, richtige Führungskompetenzen werden aber selten vermittelt. Wer seinen Führungskräften keine Führungskompetenzen vermittelt, der verliert jedoch langfristig Geld. Wie Krankenhäuser die Führungskompetenzen ihrer Oberärzte fördern können, verrät der Dipl.-Psychologe und Experte für Fühungskräfteentwicklung im Krankenhaus, Matthias Barkhausen, im Interview.
Herr Barkhausen, wie ist es derzeit um die Führungskompetenz von Oberärzten in deutschen Krankenhäusern bestellt?
Es gibt die Plattitüde, dass Ärzte Führung im Studium nicht lernen. Das stimmt zwar, gilt aber auch für alle anderen Berufsgruppen. Insofern halte ich diese Aussage für zu unspezifisch. Schon besser passt da die Beobachtung, dass Ärzte zwar lernen, wie man Oberarzt oder später auch Chefarzt wird, aber sie lernen nicht, wie man diese Rolle auch richtig gut ausfüllen kann. Kein Thema ist dabei die Frage: „Wie führe ich richtig in dieser Rolle?“.
Wenn ich Seminare im Krankenhausbereich mache und die Anwesenden frage: „Wie geht Führung und was ist denn eigentlich Euer Idealbild davon?“, dann bin ich immer überrascht, dass viele Ärzte eine Negativ-Folie haben. Sie beschreiben dann, wie viele schlechte Vorbilder sie im Bereich Führung gehabt haben. Gleichzeitig können nur wenige konkret beschreiben, wie sie sich gelingende Führung vorstellen.
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass es um die Führungskompetenz von Oberärzten derzeit nicht so gut bestellt ist.
Und worin liegen, Ihrer Meinung nach, die Ursachen für diese Situation?

Matthias Barkhausen (Foto: privat)
Ich denke, es ist eine Kombination. Zum einen aus der spezifischen ärztlichen Weiterbildung, die besonders herausfordernd und anspruchsvoll ist. Da bleiben wenig Raum und Zeit für ein Thema wie Führung.
Zum anderen liegt es an der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die sieht so aus, dass man Facharzt wird und dann, wenn man Interesse hat und Engagement zeigt, relativ schnell Oberarzt werden kann. Insofern ist dann ein Mangel an Vorbereitung in Hinblick auf die Führungskompetenz da.
Dazu kommt noch, dass es häufig kein richtiges Bewusstsein dafür gibt, welch ein qualitativer Sprung es von der Fach- in die Führungslaufbahn ist. Denn die Methoden und Mittel, wie man als Arzt fachlich erfolgreich ist, lassen sich nämlich nicht Eins zu Eins auf das Führungsthema übertragen. In der Fachlichkeit ist es sehr wichtig, gründlich zu sein, Liebe zum Detail zu haben und gewissenhaft zu arbeiten. Auf der Führungsebene hat das auch noch eine Bedeutung, aber wem zum Beispiel der Perfektionismus allzu wichtig ist, läuft Gefahr, das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. Und als Führungskraft ist es elementar wichtig, das Ganze sowie die Strategie nicht aus den Augen zu verlieren. Es sind also in der Rolle des Oberarztes andere Mittel und Kompetenzen notwendig, um erfolgreich zu sein.
Sie unterstützen seit 20 Jahren die Entwicklung von Führungskräften im Krankenhaus. Plädieren Sie dafür, dass grundsätzlich alle Oberärzte Zugang zu einem Training zum Aufbau solcher Kompetenzen haben?
Ja, auf jeden Fall. Als ich als Coach und Führungskräfteentwickler für Oberärzte eingestiegen bin, lag häufig ein defizit-orientiertes Bild vor. Ich wurde also vor allem dann beauftragt, wenn es bei einem Ober- oder Chefarzt zu einem eklatanten Führungsdefizit gekommen ist und die Geschäftsführung sich nicht mehr zu helfen wusste. Ein solches Vorgehen halte ich für problematisch und finde es viel sinnvoller, wenn man allen Oberärzten ermöglicht, sich hinsichtlich ihrer Führungsrolle weiter zu qualifizieren. Heute werden Trainings und Coachings weniger defizit- und mehr ressourcenorientiert verstanden und angewandt.
Wie kann man sich ein Führungskräfte-Coaching vorstellen?
Führungscoaching, wie ich es im Krankenhausbereich ausführe, ist immer auch Persönlichkeitsentwicklung. Das setzt auf der Verhaltensebene an und setzt auch voraus, dass man das eigene Handeln reflektieren kann.
Wenn ich also überlege, wie ich wirklich in der Führungsrolle erfolgreich sein kann, dann hat das nicht nur mit Verhalten und Technik zu tun, sondern auch ganz viel mit Haltung. Im Kern geht es darum, sein Handlungsrepertoire zu erweitern. Jeder Mensch ist durch sein Naturell auf eine bestimmte Art und Weise festgelegt. In der beruflichen Rolle hat man es aber mit unterschiedlichen Situationen und Menschen zu tun. Die Fähigkeit, jeden Menschen individuell führen zu können, braucht ein breites Handlungsrepertoire.
Wie steht nach Ihrer Beobachtung gerade die junge Generation der Oberärzte zum Thema Führungskompetenz?
Ein Krankenhaus ist immer noch eine recht hierarchische Organisation. Meiner Erfahrung nach ist die junge Generation da aber sehr aufgeschlossen. In vielen Krankenhäusern findet gerade ein Generationswechsel statt – gerade auch, was Führungsstil und -kultur betrifft. Viele junge Führungskräfte fragen sich, wie sie die Rolle ihrem Wesen entsprechend ausfüllen können und weniger so, wie sie es von ihren früheren Vorgesetzten kennen. Motivation und Beteiligung der Mitarbeiter stehen zunehmend im Fokus.
Wie argumentieren Sie als Coach bei den Krankenhäusern, die ein eher hartes Kosten-Management betreiben?
Die Kosten sind immer ein großes Thema in diesem Bereich. Und das Problem bei Trainingsmaßnahmen ist, dass die Ergebnisse nicht direkt messbar sind. Meine Frage ist dann immer: Wodurch entstehen den Krankenhäusern die höheren Kosten? Dadurch, dass man Führungskräfte entsprechend qualifiziert oder dadurch, dass man inadäquate Führung zulässt?
Es ist erwiesen, dass die direkten Vorgesetzen großen Einfluss auf das Wohlbefinden und sogar die Gesundheit ihrer Mitarbeiter haben. Wenn die nun nicht richtig führen, kann das beispielsweise Ausfallzeiten zur Folge haben, die vermeidbar gewesen wären oder sogar Kündigungen provozieren, die ebenfalls hohe Kosten produzieren.
Wie verankern Krankenhäuser Führungskompetenz bei ihren Oberärzten nachhaltig? Kann man durch Seminar-Besuche an den Punkt gelangen, ab dem „fertige Führungskräfte“ keine Unterstützung mehr benötigen?
Eine ordentliche und systematische Führungskräfteentwicklung ist schon sehr viel wert. Dazu gehört aber auch, dass man den Führungskräften die Möglichkeit gibt, die Folgefragen, die sich aus der Umsetzung des Gelernten in der Praxis ergeben, in weiterführenden Coachings zu erarbeiten. Im Arbeitsalltag ergeben sich so viele individuelle Probleme, an denen man dann konkret ansetzen kann und die einer Form der Umsetzungsunterstützung bedürfen.
Wer also wirklich Nachhaltigkeit in seine Führungskräfteentwicklung bringen möchte, der sollte nicht nur auf Trainings der Grundlagen, sondern auch auf begleitende Umsetzungs-Coachings setzen.
Zuletzt haben auch viele Krankenhäuser einen echten Digitalisierungsschub erfahren. Kann man dank dieser Entwicklung nun auch im Krankenhaus modernere und innovativere Wege gehen?
Davon bin ich überzeugt und das ist auch die Erfahrung, die ich in den letzten Monaten gemacht habe. In meinen 20 Jahren in dieser Branche habe ich bis zu Beginn der Pandemie ausschließlich Präsenz-Trainings in Krankenhäusern gemacht. Bei Coachings war das ein bisschen anders, da gab es auch früher schon andere Formate, wie beispielsweise das Telefon-Coaching. Aber auch das war eher die Ausnahme. Die Pandemie ist auch in dieser Thematik ein absoluter Treiber der Digitalisierung, denn es sind zurzeit nur Online-Trainings möglich.
Ich arbeite seit 15 Jahren mit einem großen Krankenhausträger in Rheinland-Pfalz zusammen und dort haben wir schon während der Corona-Krise eine kluge Kombination aus Präsenz- und Online-Trainings entwickelt. Außerdem habe ich ein spezielles Programm für Oberärzte namens „In Führung gehen“ entwickelt, das ein hybride Form aus einerseits Wissensvermittlung per Lehrvideos und begleitenden Live-Online-Coachings ist. In der Digitalisierung liegt auch die Chance, zukünftig den Aufwand für alle Beteiligten zu reduzieren. Das macht mich zuversichtlich, dass wir auch im Krankenhausbereich solche smarte Formen des „Blended Learnings“ entwickeln können.
Zur Person:
Matthias Barkhausen, Dipl.-Psychologe, Barkhausen Health Care Consulting, Bad Honnef (www.barkhausen.de), arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Coach, Trainer, Supervisor und Berater in Krankenhäusern und für die Menschen in Krankenhäusern. Informationen zur Führungskräfteentwicklung für Oberärzt*innen unter www.klinik-kenner.de/ifg