Stress und eine hohe Belastung sind im Arbeitsalltag von Ärztinnen und Ärzten allgegenwertig. Die Burnout-Gefahr ist hoch. Das belegen Studien und Umfragen im Gesundheitswesen immer wieder. Wieso gerade Ärzte/-innen so gefährdet sind und was Betroffene tun sollten, um ein Burnout zu überstehen, das erklärt Claudia Ahl, Inhaberin der Akademie für Flow&Fokus, im Interview mit praktischArzt.
Frau Ahl, gerade unter Mediziner/innen liest man jedes Jahr neue Höchstzahlen was die Burnout-Fälle angeht. Wieso sind gerade Ärztinnen und Ärzte so sehr gefährdet?
Ich habe den Eindruck, dass wir als Gesellschaft häufig vergessen, dass Ärztinnen und Ärzte auch Menschen sind. Und als solche können sie unter unserem hohen Erwartungsdruck leiden.
Die Covid-19-Pandemie hat diese Situation nochmal verstärkt: An den medizinischen Bereich werden die höchsten Erwartungen gestellt, für jedes Problem muss unmittelbar eine Lösung gefunden werden. Gleichzeitig leidet unser Gesundheitswesen aber unter teils drastischem Personalmangel.
Viele Ärzte/-innen sparen dann an jenen Faktoren, die sie selbst kontrollieren können: an ausreichend Schlaf, Selbstfürsorge oder gesunder Ernährung. Das kann eine Negativspirale in Gang setzen, die eine Burnout-Gefahr birgt.
Welche Faktoren im Arbeitsumfeld – beispielsweise Klinik oder Krankenhaus – stehen denn besonders in Verdacht, Burnout zu bedingen?
Verschiedene Studien belegen, dass Ärzte/-innen stets am Rand der Überforderung arbeiten. Im Klinikumfeld zeigt sich das deutlich anhand der Dienstpläne, die teilweise 24- oder gar 36-Stunden-Schichten vorsehen. Die Taktung ist in allen Bereichen sehr hoch, denn unser Gesundheitswesen ist effizienz- und finanzgetrieben. Gleichzeitig sind Mediziner/innen häufig mit existenziellen Themen konfrontiert, sei es in der Notaufnahme oder anderen Situationen, in welchen es nur um die Frage von Leben oder Tod eines Patienten geht.
Aber das Problem setzt schon vorher an: Bereits im sehr fordernden Medizinstudium lernen angehende Ärzte/-innen, permanent über die eigenen Grenzen zu gehen. Dazu kommt ein hohes Maß an Perfektionismus, den viele Ärzte/-innen mitbringen.
Inwiefern spielen die Faktoren „Führung“ bzw. „schlechte Führung“ in Punkto Burnout eine Rolle?
In der ärztlichen Ausbildung kommen die sogenannten „Soft-Skills“ zu kurz. Ärzte/-innen lernen weder Selbstfürsorge noch, richtig zu führen. Und schlechte Führung ist – neben Personalmangel und Kommunikation – eine der Hauptursachen für eine Burnout-Erkrankung. In diesem Bereich müsste sich etwas ändern, um so die Burnout-Gefahr zukünftig zu minimieren.
Welches sind typische Symptome einer Burnout-Erkrankung?
Betroffene verspüren einen zunehmenden Druck. Den versuchen sie zu kompensieren, indem sie weniger schlafen, ungesunder Essen, sich immer mehr Arbeit mit nach Hause nehmen oder auch vermehrt Alkohol oder Medikamente zu sich zu nehmen.
Während man zu Beginn noch das Gefühl hat, das hohe Arbeitspensum schaffen zu können, kommt irgendwann der Punkt, an welchem es nicht mehr geht. Es treten vermehrt Konzentrationsprobleme und Gedächtnisprobleme auf und man beginnt, Flüchtigkeitsfehler zu machen. Natürlich können auch individuelle persönliche Faktoren eine Rolle spielen. Zuletzt können sich Versagensängste oder gar eine Depression entwickeln.
Dieser Prozess verläuft häufig schleichend und wir oft erst dann bemerkt, wenn zusätzlich körperliche Krankheitszeichen auftreten.
Was sollten Betroffene Ärztinnen und Ärzte tun? Und wie könnten Kolleginnen und Kollegen reagieren, wenn sie einen potenziellen Burnout-Fall erkennen?
Der erste Schritt ist, sich selbst einzugestehen, dass man ein Problem hat. Kein Mensch kann wie eine Maschine immer nur funktionieren. Daher ist es wichtig, sich in diesem Fall dann auch professionelle Hilfe zu holen. Je früher man eingreift, desto eher kann eine schwere Problematik verhindert werden.
Kollegen/-innen, die sehen, dass ein/e Arzt/Ärztin Gefahr läuft, in eine Burnout-Falle zu geraten, sollten den Mut haben, dies offen anzusprechen. Das geht nur, wenn das Arbeitsumfeld so gestaltet ist, dass Burnout als Erschöpfungsdepression auch tatsächlich ernst genommen wird.
Was könnte man tun, um Arbeitgeber wie Angestellte im Gesundheitswesen mehr für das Thema zu sensibilisieren?
Es ist Zeit für einen Kulturwandel. Die Burnout-Gefahr darf nicht länger totgeschwiegen werden. Der Fokus sollte schon in der Ausbildung der Mediziner/innen auch auf den „Soft-Skills“ liegen, die ich zuvor schon angesprochen hatte. Dabei geht es um einen Bewusstseinswandel, der mehr den Fokus auf Faktoren wie Menschlichkeit, Führung und soziale Kompetenz legt. Auch Zeitmanagement, Selbstfürsorge und Kommunikation sind Punkte, an denen man ansetzen kann, um die Burnout-Gefahr zu minimieren.
Zur Person
Claudia Ahl ist Expertin für Personal- und Persönlichkeitsentwicklung im medizinischen Bereich. Sie ist Inhaberin der Akademie für Flow&Fokus, welche ganzheitliche Lösungen für Krankenhäuser, Kliniken, Gesundheitszentren und Arztpraxen anbietet.