
Gerade junge Ärzte/-innen sehen sich im Berufsalltag mit Zeitdruck und Stress konfrontiert. Die Gefahr einer Depression oder eines Burnouts droht. Wie man mittels Zeitplanung und Selbstmanagement den Arbeitsalltag besser bewältigen kann, damit befasst sich der Ratgeber „Die Anatomie der Zeit“. Prof. Dr. Alexander Ghanem, Autor des Buches sowie Chefarzt der Inneren Medizin an der Asklepios Klinik Nord in Hamburg, gibt im Interview mit praktischArzt wertvolle Tipps für den ärztlichen Arbeitsalltag.
Herr Prof. Dr. Ghanem, in ihrem Buch „Die Anatomie der Zeit“ geben Sie Kollegen/-innen Selbstmanagement-Tipps für den Berufsalltag. Was hat Sie dazu bewogen, das Buch zu schreiben?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass unser Alltag in der Schule und im Studium recht gut vorgeplant ist und uns ein Gefühl gibt, alle Aufgaben überschauen und bewältigen zu können. Mit dem Wechsel in den ärztlichen Berufsalltag hat sich das geändert – es gibt keine Stundenpläne mehr und viele Aufgaben sind nicht im Vorfeld planbar, sondern tauchen parallel auf.
Gleichzeitig gibt es für junge Ärzte/-innen mit dem Wechsel ins Berufsleben noch viel Neues zu lernen. Wissen, welches im Rahmen des Studiums nicht vermittelt wird und welches zusätzlich zur Arbeit aufgenommen werden muss. Und zuletzt befinden sich viele angehende Ärzte/-innen während des Berufsstarts bereits in einer Phase, in welcher man gerade dabei ist, eine Familie zu gründen oder diese bereits gegründet hat.
Diese Faktoren führten jedenfalls bei mir zu einem hohen Leidensdruck als junger Arzt. Ich fühlte mich überfordert, wie ich Aufgaben priorisieren und mit der hohen Erwartungshaltung umgehen sollte. Mit der Zeit habe ich gelernt, mit alldem umzugehen. Es ist mir jedoch ein Anliegen, meine Erfahrungen mit jüngeren Kollegen/-innen zu teilen. Dies war mein Antrieb, den Ratgeber zu verfassen.
Was sind denn, Ihrer Erfahrung nach, typische Fehler, die gerade junge Ärzte/-innen im Zeitmanagement begehen?
Ich habe, als ich neu in dem Beruf war, zu viele Dinge nicht richtig durchdacht. Ich habe zu oft „ja“ zu Aufgaben und Optionen gesagt, wo ich besser auch mal abgelehnt hätte. Gerade als junger Arzt möchte man sich möglichst alle Entwicklungsmöglichkeiten offenhalten und neigt dazu, sich vielerorts zu verpflichten. Das kann schnell überfordern. Häufig kann es sinnvoller sein, sich recht frühzeitig fachlich zu spezialisieren.
Ein zweiter, für mich wichtiger Faktor ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich halte den Arztberuf für den schönsten und befriedigendsten von allen. Aber er ist auch sehr anspruchsvoll – auch mental. Da ist es wichtig, einen Gegenpol zu haben. Sprich: Ein ausgewogenes und ausgleichendes Privat- und Familienleben.
Wie sieht die perfekte Zeitplanung für Mediziner/innen für Sie aus?
Das hängt davon ab, wo sich der/die jeweilige Kollege/-in gerade befindet und womit er/sie sich gerade beschäftigt. Struktur ist wichtig – idealerweise teilt man sich den Arbeitsalltag in Zeiteinheiten ein und verdeutlicht sich, welche Aufgaben zu welcher Zeit zu erledigen sind. Gerade Assistenzärzte/-innen sollten sich darüber klar werden: Was wird von mir erwartet? Wie kann ich diese Erwartungen ideal erfüllen? Häufig kann hierbei auch eine gute Vorbereitung am Vortag hilfreich sein.
Als junge/r Oberarzt/-ärztin ist es dagegen wichtig, sich mit der neuerworbenen Führungsverantwortung auseinanderzusetzen. Hier muss der ideale Tagesablauf individuell angepasst werden.
Es gibt also nicht diese eine perfekte Zeitplanung für alle Ärzte/-innen. Vielmehr ist sie individuell und muss je nach Karriereplanung mitentwickelt werden.
Welche Ratschläge geben Sie jungen Ärzten/-innen, um das Zeitmanagement zu verbessern?
Es ist ein wichtiger erster Schritt, festzuhalten, womit man genau seinen Tag verbringt. Quasi als Analyse. Denn jeder von uns hat einen 24-Stunden-Tag, wir nutzen die verfügbare Zeit nur unterschiedlich. So kann man herausfinden, mit welchen Dingen und Aufgaben man sich möglicherweise befasst, die gar nicht zielführend sind.
Im zweiten Schritt sollte man seine Aufgaben nach dem klassischen Eisenhower-Prinzip einteilen: Was war dringlich, was wichtig, was war beides und was keines davon? Das hilft dabei, die wirklich wichtigen Dinge auch dringlich zu erledigen, indem man ihnen auch entsprechend Zeit einräumen kann.
Nicht alle Stressfaktoren im Arbeitsalltag sind von den Ärzten/-innen beeinflussbar. Was könnte bzw. sollte sich, Ihrer Meinung nach, im Gesundheitswesen verändern, damit Medizinern/-innen ihre Arbeitsmethodik als weniger belastend empfinden?
Unsere Perspektive ist ein bedeutender Faktor dafür, wie wir Belastung empfinden. Es gibt Dinge in unserem Leben, die müssen wir als gegeben hinnehmen – alle anderen können wir mitgestalten. Und so ist es auch im beruflichen Kontext. Mir hat es geholfen, Dinge, die ich nicht beeinflussen kann, aus meinem Mindset zu eliminieren. Stattdessen fokussiere ich mich auf die Dinge, die ich gestalten und zum positiven verändern kann. Dinge, die mich auch selbst wachsen lassen.
Zur Person:
Professor Dr. med. Alexander Ghanem ist seit dem Jahr 2019 Chefarzt der Kardiologie und internistische Intensivmedizin in der Asklepios Klinik Nord in Hamburg. Neben seiner Tätigkeit als Arzt und Forscher veröffentlichte er den Ratgeber für Ärzte/-innen: „Die Anatomie der Zeit – Eine Anleitung, um Zeitfenster wirksam frei zu präparieren“.