
Die medizinische Versorgung, ja das gesamte Gesundheitssystem in Deutschland sieht sich derzeit mit großen Herausforderungen konfrontiert. Wie man die „Grundsätze der medizinischen Versorgung von morgen“ gestalten sollte, darüber haben Nachwuchsmediziner/innen im Hartmannbund ein Arbeitspapier verfasst. Genaue Einblicke gibt Dr. Moritz Völker, Notfallmediziner, Autor, Speaker und Vorsitzender Junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund, im Interview mit praktischArzt.
Herr Dr. Völker, welches sehen Sie als die größten Probleme in der aktuellen Situation an?
Grundsätzlich halte ich die aktuelle Debattenkultur für ein Problem. Wir reden viel über das, was nicht möglich ist. Es wird zu wenig über Potenziale gesprochen, über eine sinnvolle Weiterentwicklung des Systems. Dabei sind die Chancen enorm! Das schafft ein Umfeld der Unsicherheit, indem wir als Gesellschaft nicht vorankommen.
Denn unsere „To Do“-Liste ist lang und wir müssen uns die Frage stellen, was uns Gesundheit als Gesellschaft wert ist. Konkret sind die größten aktuellen Probleme, meiner Meinung nach, die Digitalisierung, welche immer noch viel zu langsam vorankommt, die mangelhafte Attraktivität vieler Arbeitgeber, die nicht auf Schichtdienste etc. verzichten können, aber auch der Klimawandel, zu welchem das Gesundheitswesen mit seinen täglich ausgestoßenen Emissionen einen immer noch zu großen Anteil ausmacht.
Auch sollte Prävention muss über bloße Impfungen hinaus gehen. Vielmehr sollte man versuchen, auf die Bevölkerung so einzuwirken, um Folgeerkrankungen abzuwenden. Zu guter Letzt wird es notwendig sein, dass wir lernen, den Mangel zu managen. Wir müssen lernen, besser mit dem umzugehen, was wir haben. Da können Effizienzsteigerungen, schlauere Prozesse und massiver Bürokratieabbau helfen.
Sind die gesundheitspolitischen Weichen so gestellt, dass wir diese Probleme in den Griff bekommen werden?
Bedingt. Ich denke, viele Ideen und Entwicklungen laufen in eine gute Richtung. Aber wir reden zu viel und zerreden vieles dabei. Gute Beispiele hierfür sind der Klimawandel oder die Digitalisierung: Wir versuchen häufig, den perfekten Plan auszuarbeiten und verlieren uns dabei in Detailregelungen. Gleichzeitig tickt aber die Uhr. Ich würde es für besser halten, wir würden einfach mal anfangen und dann im laufenden Prozess weitere Kurskorrekturen durchführen. Denn Warten erhöht die Folgekosten.
Auch die Arbeitgeber bewegen sich auf unsicherem Terrain. Für viele Klinikbetreiber steht das wirtschaftliche Überleben gerade im Fokus und es bleibt zu wenig Luft für andere Projekte. Hier sollte der politische Rahmen mehr Klarheit und Planbarkeit schaffen.
Was müsste, Ihrer Meinung nach, zusätzlich getan werden?
Nachdem wir uns gesundheitspolitisch lange Zeit in einer Art Dornröschenschlaf befunden haben, freue ich mich, dass die Dinge nun endlich angepackt werden. Aber es ist noch mehr nötig!
Die Branche wartet auf Anreize, Subventionen oder Verbote und erst dann reagiert sie darauf. Unser System ist nicht mehr agil. Hier ist ein politisches Bekenntnis nötig, wie das in Zukunft aussehen und besser werden soll. Es muss jedoch nicht alles politisch gelöst werden. Auch innerhalb des Gesundheitssystems gibt es gute Ideen, die umgesetzt werden können. Faktoren wie Arbeitskultur, Rahmenbedingungen und Organisationsprozesse können auch von innen heraus verbessert werden.
Welche Wünsche haben junge Ärzte/-innen an die gesundheitliche Versorgung und an ihre Arbeitsumgebung?
Die Attraktivität der Arbeitgeber im Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Branchen muss steigen. Viele agieren hier nicht auf der Höhe der Zeit. Viele Ärzte/-innen arbeiten sich mehr an Strukturen ab als an ihren Patienten/-innen. Das führt dann zu einem Mangel an Sinnhaftigkeit. Dabei sind gerade die sozialen Berufe welche, die Angestellte zufrieden machen können. Doch Arbeitsalltag und -umgebung entsprechen in der Realität selten den Vorstellungen und Ansprüchen, die der medizinische Nachwuchs mitbringt. Das gibt vielen zu denken und im schlimmsten Fall drehen sie dem System früher oder später den Rücken zu. Angesichts der drohenden Versorgungsengpässe können wir und das nicht länger erlauben.
Was wird den medizinischen Arbeitsplatz der Zukunft von dem von heute unterscheiden?
Ich hoffe, dass die Punkte, die ich angemahnt habe, in Zukunft besser berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss sich aber nicht alles ändern.
„Co-Working“ mit künstlicher Intelligenz wird kommen. Das kann die Versorgung um große Stücke voranbringen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die Patienten/-innen weiterhin Ärzte/-innen brauchen. Denn jeder Computer ist nur so gut wie die Daten, mit denen er versorgt wird. Es wird aber viel Interaktion zwischen Menschen und Maschine stattfinden. Demnach ist für die Zukunft auch eine bessere Schulung von Ärzten/-innen für die Zusammenarbeit mit KI notwendig.
Was passiert, wenn wir uns nicht darauf einstellen?
Ich denke, dass es gesellschaftliche Kipppunkte gibt, die gewisse Maßnahmen ins Rollen bringen. Viele Verbesserungen in unserem System sind ohne Alternative, denn nichts tun kostet unnötig viel Geld und die Gesellschaft wird Ineffizienzen nicht hinnehmen.
Sollten wir das nicht hinbekommen, dann werden wir uns eine Medizin schaffen, die für viele ganz anders aussehen wird als jetzt. Sprich: Zweiklassenmedizin und Co. Das kann eine schlimmere Situation werden, als es die US-Amerikaner schon heute haben. Daher: Wir müssen das unbedingt angehen und zwar so schnell, wie möglich!
Zur Person:
Dr. Moritz Völker ist Notfallmediziner, Autor, Speaker und Vorsitzender Junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund. Das Whitepaper „Die Grundsätze der medizinischen Versorgung von morgen aus Sicht der jungen Ärztinnen und Ärzte“ ist hier abrufbar.