
Der Mangel an Fachkräften zwingt Arbeitgeber im Gesundheitswesen zunehmend, kreativ zu werden. Viele deutsche Kliniken haben die Rekrutierung von Ärzten/-innen aus dem Ausland für sich entdeckt. Worauf Arbeitgeber achten müssen, um attraktiv für ausländische Fachkräfte zu sein und wie die Integration der neuen Kollegen/-innen optimal gelingt, das verrät Dr. Lars Holldorf, Experte für das Auslandsrecruiting im Krankenhaus, im Interview mit praktischArzt.
Herr Dr. Holldorf, jedes Jahr verlassen knapp 10.000 Absolventen/-innen der Humanmedizin die deutschen Hochschulen. Wieso benötigt unser Gesundheitssystem Ärzte/-innen aus dem Ausland?
Die deutschen Krankenhäuser setzen bereits seit über zehn Jahren auf Ärzte/-innen aus dem Ausland. Das könnte darauf hindeuten, dass die Zahl der Absolventen/-innen – sofern man sie als zu niedrig erachtet – schon seit längerem zu niedrig ist.
Als weitere mögliche Ursache könnte man die Geschlechterverteilung innerhalb der Studierenden nennen. Anders als früher ist der Arztberuf heute nicht mehr männlich, sondern eher weiblich dominiert. Das führt dazu, dass nicht alle Absolventen/-innen den Arztberuf später auch durchgehend in Vollzeit ausführen wollen. Gleichzeitig findet ein Wertewandel statt – so sind etwa Nacht- und Wochenenddienste für viele junge Leute ein Grund, den Beruf nicht zu ergreifen.
Außerdem kommen wir gerade in die Zeit, in welcher die sogenannten „Babyboomer“ in Rente gehen. Daher wird sich, meiner Meinung nach, der Bedarf an ausländischen Ärzten/-innen nicht verringern, sondern noch verstärken.
Ist Deutschland als Arbeitsland für Ärzte/-innen aus dem Ausland attraktiv?
Da sage ich eindeutig: Ja! Deutschland übt auf die Mehrheit der ausländischen Fachkräfte eine starke Anziehung aus. Für viele bedeutet eine Anstellung in Deutschland einen ökonomischen Aufstieg. Die Gehälter sind bei uns in der Regel um ein Vielfaches höher. Nicht vergessen sollte man auch die langfristige Perspektive, die Deutschland als Arbeitsland bietet: Der Lebensstandard ist hoch, das Land ist attraktiv für Familien, Kinder und Jugendliche haben gute Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten und nicht zuletzt wird bei uns auch eine gewisse Sicherheit im Alltag geboten. Das ist z.B. in manchen Herkunftsländern Südamerikas nicht überall der Fall.
Welche bürokratischen Hürden müssen Fachkräfte aus dem Ausland denn nehmen, um in Deutschland arbeiten zu dürfen und wie können Arbeitgeber sie dabei unterstützen?
Die Zuwanderung aus der EU wird immer weniger. Aktuell kommen vor allem Ärzte/-innen aus Drittstaaten zu uns nach Deutschland. Zunächst einmal ist eine Berufsanerkennung erforderlich. Je nach Bundesland kann sich dieser Prozess recht langwierig gestalten, daher ist es wichtig, diesen rechtzeitig anzustoßen. Da sich die Regularien regelmäßig und häufig ändern, lassen sich viele Krankenhäuser hierbei von Agenturen unterstützen, die genau darauf spezialisiert sind. Und bei Personen aus so genannten Drittstaaten ist zusätzlich noch ein Arbeitsvisum erforderlich.
Wie müssen Arbeitgeber im Gesundheitswesen vorgehen, um erfolgreiches Auslandsrecruiting zu betreiben?
In erster Linie sollten Arbeitgeber beginnen, langfristig zu denken. Sie sollten also weg vom reaktiven Rekrutieren und stattdessen eine sinnvolle Strategie erarbeiten. Dazu gehört beispielsweise auch, sich darüber klar zu werden, welche Länder man ins Auge fasst und welche Kandidaten/-innen besser als andere zum eigenen Unternehmen passen. Man sollte sich bewusst sein, dass man auch im Ausland ein Arbeitgeberimage hat. Und das kann leiden, sollte man die ausländischen Fachkräfte nicht fair behandeln. Und zuletzt sollte man darauf achten, dass der Erfolg der Integration der neuen Ärzte/-innen maßgeblich für die Länge deren Bindung an den neuen Arbeitgeber ist.
Wo liegen mögliche Stolperfallen auf dem Weg des Auslandsrecruitings?
Krankenhäuser unterschätzen häufig die Komplexität dieser Prozesse. Es gibt immer wieder Überraschungen. Zudem werden Zeitabläufe häufig falsch eingeschätzt – man denkt zu optimistisch. Daher empfiehlt es sich, gerade, wenn man wenig bis keine Erfahrung auf dem Gebiet des Auslandsrecruitings hat – echte Experten zurate zu ziehen.
Eine Frage, die sich viele Arbeitgeber nicht stellen, ist außerdem: „Was macht der zunehmende Anteil ausländischer Fachkräfte mit meinem heimischen Team?“ Das heimische Team sollte unbedingt in die Integration miteinbezogen werden, sonst kann die Arbeitsatmosphäre stark darunter leiden.
Wie können Arbeitgeber den Onboarding-Prozess ausländischer Ärzte/-innen gestalten, damit die Integration gelingt?
Meiner Erfahrung nach verfügen viele Krankenhäuser noch immer über keinen richtigen Onboarding-Prozess – ganz unabhängig vom Auslandsrecruiting. Und das ist fatal, da gutes Onboarding die Mitarbeiter/-innen-Bindung enorm verstärkt. Aus diesem Grund benötigt strukturiertes Onboarding auch passende Ressourcen. Zu denken, das läuft nebenher mit, ist ein Trugschluss.
Wir bereiten die ausländischen Fachkräfte bereits ab dem Zeitpunkt der Stellenzusage auf das Kommende vor. Es geht darum, den Spracherwerb mit zu begleiten, aber auch die interkulturelle Vorbereitung sicherzustellen – und zwar bereits viele Monate vor der Ankunft in Deutschland. Wir beantworten offene Fragen – auch den Alltag in Deutschland betreffend. Das nimmt den Ärzten/-innen etwas Unsicherheit und gibt ihnen Hilfestellung.
Dieser Betreuungsprozess zieht sich einige Monate über den Beginn der Anstellung hinaus. Denn auch, wenn der neue Job angetreten wurde, werden sich weiterhin Fragen ergeben.
Zur Person:
Dr. Lars Holldorf ist Experte für Personalstrategie und Stellenbesetzungen im Krankenhaus. Seit 2010 befasst er sich v.a. mit der Gewinnung ausländischer Ärzte/-innen und Pflegekräfte sowie der Optimierung von Rekrutierungsprozessen.