In Deutschland sind aktuell mehr als 190.000 Ärztinnen tätig. Das macht einen Anteil von knapp 48 Prozent an der gesamten Ärzteschaft aus. Gemessen am weiblichen Anteil an der Gesamtbevölkerung von ca. 50,6 Prozent ist das zwar immer noch leicht unterrepräsentiert, aber nicht weit von einer “Gleichverteilung der Geschlechter” entfernt. Also Geschlechtergerechtigkeit in der Ärzteschaft?
Nicht unbedingt, denn dieser Wert sagt noch nichts darüber aus, inwieweit Ärztinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen in der beruflichen Praxis tatsächlich gleichgestellt sind. Hier gibt es noch manchen Handlungsbedarf. Das zeigt sich auch, wenn man die statistischen Zahlen genauer betrachtet. Darum soll es im Folgenden gehen.
Was sagen Zahlen und die Statistik?
Zunächst ein Blick auf die Tätigkeit von Frauen im Arztberuf. Von den in der Statistik erfassten 191.600 Ärztinnen waren im Jahr 2019 68.657 (35,8 Prozent) ohne konkrete(Fach-)Gebietsbezeichnung tätig, 21.864 (11,4 Prozent) arbeiteten als Allgemeinmedizinerinnen, 22.194 (11,6 Prozent) in der Inneren Medizin. 13.097 (6,8 Prozent) hatten sich auf Frauenheilkunde spezialisiert, 11.299 (5,9 Prozent) auf Anästhesiologie und 9.360 (4,9 Prozent) auf Kinder- und Jugendmedizin.
Vergleicht man diese Zahlen mit der Ärzteschaft insgesamt, fallen “frauenspezifische Besonderheiten” auf. So sind Frauen in der Allgemeinmedizin leicht überrepräsentiert (Ärztinnenanteil 11,4 Prozent, Anteil der Ärzteschaft insgesamt: 11,0 Prozent), in der Inneren Medizin dagegen unterrepräsentiert (11,6 Prozent vs. 14,1 Prozent). In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe stellen Frauen 69 Prozent der Ärzteschaft dar, in der Kinder- und Jugendmedizin 60,5 Prozent, im chirurgischen Bereich aber nur 21,7 Prozent des medizinischen Personals. Es gibt offensichtlich Fachrichtungen, die Frauen näher oder ferner liegen.
Nur wenige Ärztinnen in Führungspositionen
Mag man solche “Ungleichverteilungen” noch mit persönlichen, auch durch das Geschlecht beeinflussten Neigungen erklären – die starke Fokussierung auf Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist zum Bespiel quasi prädestiniert -, gilt dies in anderer Hinsicht nicht. Bei Aufstiegs- und Führungspositionen in Krankenhäusern sind Ärztinnen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Das zeigt zumindest die Studie “Medical Women on Top 2019” des Deutschen Ärztinnenbundes. Sie hat das Geschlechterverhältnis für 13 klinische Fächer und zwei Institute an 35 deutschen Universitätskliniken untersucht.
Danach lag im Jahr 2019 der Anteil von Frauen in Führungspositionen in den Unikliniken mal gerade bei 13 Prozent. Unter Führungsposition wird dabei das Innehaben eines Lehrstuhls, einer Klinikdirektion oder unabhängigen Abteilungsleitung verstanden. Nur ein schwacher Trost: bei der letzten Studie 2016 war der Anteil mit 10 Prozent noch geringer. Wenn das Tempo der Veränderung so weiterginge, wäre erst im Jahre 2051 ein Gleichstand der Geschlechter erreicht. Vorreiter bei der Frauenbesetzung von Führungspositionen sind laut Untersuchung die Unikliniken in Berlin, Dresden, Frankfurt, Freiburg und Münster mit Anteilen von jeweils über 20 Prozent. Schlusslichter bilden dagegen Homburg, Magdeburg und Würzburg mit immer noch 100 Prozent Männern in Spitzenstellungen.
Woran diese weibliche Unterbesetzung genau liegt, wäre eine eigene Untersuchung wert. Eine Ursache mag sein, dass es Männern oft besser gelingt, ihre Leistungen auf medizinischem Gebiet in Szene zu setzen. Es lassen sich aber gewiss auch andere Gründe finden.
Auch Oberarztstellen mit zu wenig Frauen
Nicht viel besser sieht es in der mittleren Klinikebene aus. Bei den Oberarzt-Stellen gibt es ebenfalls einen starken männlichen Überhang. Immerhin ist der Frauenanteil schon deutlich höher. Hier stammt die letzte Erhebung aus dem Jahr 2016. Danach lag der Männeranteil bei der Oberärzteschaft bei 59 Prozent, der Frauenanteil bei 31 Prozent. Dabei wurden wiederum erhebliche Unterschiede von Klinik zu Klinik festgestellt, wenn auch nicht so ausgeprägt wie bei Führungspositionen. Spitzenreiter war die Uniklinik Dresden mit 43 Prozent Frauenanteil, Schlusslicht die Mannheimer Uniklinik mit 24 Prozent.
Geht es nach den Studierendenzahlen, müsste der Frauenanteil eigentlich durchweg noch deutlich höher liegen. Denn seit Jahren entscheiden sich wesentlich mehr Frauen als Männer für das Medizinstudium. So waren 2018 von 96.115 Studierenden in der Allgemeinmedizin 59.636 oder 62 Prozent weiblich. Als letztes Jahr mit nahezu ausgewogenem Geschlechterverhältnis beim Medizinstudium findet man 1988. Das war vor über 30 Jahren. Das zeigt, wie lange es braucht, bis sich Strukturen ändern.
Der Deutsche Ärztinnenbund – Interessenvertretung für die Gleichstellung
Über Jahrhunderte war das Medizinstudium wie das Universitätsstudium generell eine reine Männerdomäne. Im Mittelalter gab es zwar viele Frauen, die sich als Hebammen und Kräuterweiber mit Heilkunde befassten. Oft wurde ihr Rat sehr gesucht, die Tätigkeit war aber auch hochriskant. Der Vorwurf der Zauberei oder Hexerei brachte manche heilkundige Frau auf den Scheiterhaufen.
Die im 18. Jahrhundert lebende Dorothea Christiane Erxleben aus Quedlinburg gilt als erste promovierte deutsche Ärztin. Auch nach ihr wurden Frauen vereinzelt der Zugang zum Medizinberuf gewährt. Das war aber alles andere als selbstverständlich. Im Deutschen Kaiserreich wurden Frauen erstmals 1899 offiziell zu Staatsprüfungen in Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie zugelassen. Das galt aber nicht flächendeckend. In Preußen wurden Frauen 1908/1909 generell zum Medizinstudium zugelassen. Trotz dieser “Öffnung” sollten Frauen im Arztberuf noch über Jahrzehnte mehr Ausnahme als Regel bleiben.
Bereits 1924 – zu Zeiten der Weimarer Republik – wurde daher der Deutsche Ärztinnenbund als Berufsverband und Interessenvertretung der Medizinerinnen gegründet. Damals gab es rund 2.500 Ärztinnen im Land, von denen sich bei der Gründung 280 dem Verband anschlossen. Heute kann der Deutsche Ärztinnenbund auf eine bald 100jährige Geschichte zurückblicken. In diesem Zeitraum hat sich viel zugunsten der Frauen im Arztberuf verändert. Dennoch lassen sich nach wie vor viele Baustellen identifizieren. Daran gemessen ist der Organisationsgrad der weiblichen Ärzteschaft erstaunlich gering. Der Deutsche Ärztinnenbund zählt um die 2.000 Mitglieder, angesichts von 190.000 Ärztinnen im Land ist das nicht viel.
Was gefordert wird
Bereits 2011 hat der Verband das Projekt “Ärztin 2020” aus der Taufe gehoben. Es ist nach wie vor aktuell. Ziele des Projektes sind:
- einen weiblichen Blick auf Strukturen und Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen zu werfen und positive Veränderungen in der Arbeitskultur anzuregen;
- einen nachhaltigen und systematischen Dialog zwischen Ärztinnen und Vertretern des Gesundheitswesens sowie der Gesundheitspolitik in Gang zu setzen.
Vor diesem Hintergrund wurden vor neun Jahren Visionen für das Jahr 2020 entwickelt, die sich heute an der Realität messen lassen müssen. Dazu gehörte unter anderem:
- eine systematische Karriereplanung und -vorbereitung bereits im Medizinstudium;
- Familienfreundlichkeit in der Unternehmenskultur von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen;
- hohe Priorisierung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf;
- geregelte Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen für niedergelassene Ärztinnen;
- mehr Mitwirkung und Mitentscheidung von Ärztinnen bei Fragen der Berufsausübung und der Weiterentwicklung von Strukturen im Gesundheitswesen;
- keine Vorbehalte mehr gegen die “Feminisierung” der Ärzteschaft.
Ausblick und Prognose
Die Zukunft des Medizinberufs in Deutschland ist weiblich. Das ergibt sich alleine aus der Geschlechterverteilung im Medizinstudium. Die bestehenden Strukturen im Gesundheitswesen tragen dem bisher nur zum Teil Rechnung und sind oft noch männlich geprägt. Von daher bleibt noch einiges für die Gleichstellung von Ärztinnen zu tun. Die Corona-Krise könnte sogar als Bremse wirken, so eine Befürchtung des Ärztinnenbundes. Denn sie bietet eine willkommene Rechtfertigung für Reformverzögerungen. Dass es dazu nicht kommt und sich die Bedingungen für Ärztinnen im Beruf weiter verbessern, dafür wird sich der Deutsche Ärztinnenbund weiterhin mit Nachdruck einsetzen