
Über Gewalt gegen Mediziner hat bisher kaum jemand gesprochen. Erstmals hat nun eine Umfrage untersucht, wie oft Ärzte und Praxispersonal zu Opfern von verbalen oder tätlichen Angriffen werden. Das Ergebnis ist alarmierend. Führende Ärztevereinigungen fordern deshalb mehr Schutz durch den Gesetzgeber.
Erschreckende Studienergebnisse zur Gewalt gegen Mediziner
Der Ärztemonitor ist die größte Umfrage unter niedergelassenen Ärzten in Deutschland. Das Institut für angewandte Sozialwissenschaften (infas) führt sie alle zwei Jahre durch, im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des NAV-Virchov-Bundes für Ärzte. Im Jahr 2018 beschäftigte sich der Ärztemonitor erstmals mit der Frage, wie oft Mediziner und Praxispersonal in Deutschland verbale Gewalt und tätliche Angriffe erleben. Die Antworten von bisher ca. 7.000 Befragten wurden hochgerechnet auf alle bundesweit niedergelassenen Ärzte.
Pro Arbeitstag kommt es demnach mindestens 75 Mal zu körperlicher Gewalt in Arztpraxen. Im Laufe seines Berufslebens ist jeder vierte befragte Mediziner schon Opfer eines tätlichen Angriffs geworden. Verbale Attacken sind noch viel häufiger: etwa 2.870 Fälle jeden Tag.
Gibt es Gründe für die Gewalt?
Warum werden Patienten laut und beleidigen ihren Arzt? Warum holen manche zum Schlag aus? Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchov-Bundes, erzählt: “Meist entzündet sich die Gewalt daran, dass Patienten nicht bekommen, was sie wollen.” Der HNO-Arzt macht gestiegenes Anspruchsdenken verantwortlich. Einen schnelleren Termin, ein anderes Rezept ausstellen, eine zusätzliche Untersuchung – viele Patienten erwarten von Arzt und Praxispersonal eine bestimmte Leistung, selbst wenn sie medizinisch nicht notwendig ist.
Oder es kommt ein Notfallpatient, um den sich Arzt und Helfer sofort kümmern müssen. Ein anderer Patient sitzt schon eine Weile im Wartezimmer und will zuerst behandelt werden, weil er zuerst da war. Auf ein Nein folgt ein Streit. Was früher eine alltägliche Situation war, für die alle Verständnis hatten, kann heute schnell eskalieren bis hin zum KO-Schlag. Außerdem diagnostiziert Heinrich eine “allgemeine Verrohung”.
Auch Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, sagt: “In unserer Gesellschaft werden zunehmend Grenzen des Respekts und des Anstands überschritten.” Der KBV-Vorsitzende gibt Politik und Krankenkassen eine Mitschuld. Ihre öffentliche, oft unbegründete und übertriebene Kritik macht er verantwortlich für den gesunkenen Respekt den Ärzten gegenüber. “Wer ständig einen kompletten Berufsstand verbal kriminalisiert, braucht sich nicht zu wundern, wenn dies zur Gewalt in Praxen führt.”
Auffällig an den Studienergebnissen des Ärztemonitors ist nicht nur, wie häufig es in deutschen Praxen zu Gewalt kommt. Auch die Verteilung überrascht: Je größer eine Arztpraxis, desto öfter müssen die Mediziner mit Beschimpfungen und Beleidigungen leben. Körperliche Angriffe dagegen passieren leichter in kleinen Praxen.
Wie können sich Ärzte schützen? Vorschläge und Gegenstrategien
Welche Patienten ausfällig werden, kann man laut Dirk Heinrich nicht voraussagen. Angriffe können von beiden Geschlechtern kommen, quer durch alle Altersgruppen. Viele größere Arztpraxen arbeiten deshalb inzwischen mit einem Sicherheitsdienst zusammen. Notfallnummern hängen aus. Praxisteams besuchen geschlossen ein Deeskalationstraining.
Dirk Heinrich vom NAV-Virchov-Bund und Dr. Andreas Gassen vom KBV fordern außerdem Hilfe von der Politik. Sie wollen, dass der Straftatbestand des “Tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte” (§ 114 StGB) weiter ausgedehnt wird auf Ärzte, Praxispersonal wie medizinische Fachangestellte und die Mitarbeiter von Krankenhäusern. Durch dieses Gesetz stehen auf Angriffe gegen Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienstmitarbeiter höhere Strafen. Für Ärzte und Praxismitarbeiter gilt bisher nur der Straftatbestand der Körperverletzung.
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