Gewalt gegen Ärzte häuft sich in Kliniken und Praxen immer mehr. Längst müssen sich Mediziner mit gewalttätigen Übergriffen auseinandersetzen. Paradox, wo sie doch eigentlich dafür zuständig sind, anderen zu helfen. Wie man im Falle einer gewalttätigen Auseinandersetzung reagieren sollte, ist in diesem Artikel aufgeführt.
Täglich 75 gewalttätige Übergriffe in Praxen
Nicht nur Ärzte, sondern das gesamte Personal hat demzufolge mit Gewalt umzugehen. Bei speziellen Seminaren, in welchen Mediziner lernen sich gegen Gewalt zu wehren, geben Teilnehmende Einblick in ihre schockierenden Erfahrungen.
Verbale Beleidigungen und aggressive Verhaltensweisen machen also auch vor Praxen keinen Halt. Die Kassenärztliche Vereinigung und der NAV-Virchow-Bund veröffentlichten alarmierende Befunde. Bundesweit gebe es in Arztpraxen täglich 75 gewalttätige Übergriffe.
Darüber hinaus werden Ärzte und medizinisches Personal bundesweit bis zu 2.870 Mal verbal angegriffen. Besonders bestürzend: Jeder vierte Arzt berichtete, in seiner beruflichen Laufbahn schon einmal körperliche Gewalt in der Praxis erlebt zu haben. Weitere Studienergebnisse zu Gewalt gegen Ärzte sind außerdem hier aufgeführt.
Ursachen von Gewalt gegen Ärzte oder Klinikpersonal
Das Krankenhausbarometer aus dem Jahr 2019 zeigte mehrere Ursachen auf, welche Übergriffe gegen Klinikmitarbeitende auslösen. Drei Aspekte erfuhren hier eine überproportional häufige Nennung:
- 90 %: besonderer Patientenzustand, bedingt durch Schmerzen oder Alkohol
- 74 %: spezielles Patientengut wie Demenz oder Schizophrenie
- 61 %: (zu) lange Wartezeiten im Krankenhaus, beispielsweise bei der Aufnahme oder in den Funktionsbereichen
Zudem können aus Sicht der Kliniken komplexe Rahmenbedingungen zu Gewalt gegen Mitarbeitende führen. Dazu gehört ein hohes Patientenaufkommen, das Verschieben diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen sowie der Fachkräftemangel. Im Gegensatz dazu scheinen unerfahrene Klinikmitarbeiter und auch der Fortbildungsstand der Mitarbeiter im Gebiet von Deeskalation und Umgang mit Aggressionen keine ersichtlichen Auslöser für aggressive Vorfälle mit Patienten zu sein.
Welche Folgen haben gewalttätige Übergriffe?
Das Krankenhausbarometer 2019 identifizierte des Weiteren maßgebliche Folgen von Übergriffen. Psychische Belastungen, beispielsweise durch Angstgefühle, Niedergeschlagenheit oder Schock kommen bei etwas weniger als 80 % der befragten Kliniken gelegentlich vor.
In über der Hälfte der Krankenhäuser beenden betroffene Mitarbeitende überdies den Dienst frühzeitig oder begeben sich teilweise in ärztliche Behandlungen. Erschreckend ist weiterhin, dass in jeder zweiten befragten Klinik gelegentlich Arbeitsunfähigkeit Konsequenz von körperlichen oder verbalen Gewaltübergriffen ist.
Präventive Maßnahmen im Krankenhaus bei Gewalt gegen Ärzte
Nach dem Krankenhausbarometer 2019 ist die am häufigsten eingesetzte Maßnahme die Umsetzung baulicher und technischer Maßnahmen wie die Zutrittskontrolle oder Videoüberwachung mit 75 %. Darauf folgen Deeskalationstrainings für Mitarbeitende besonders betroffener Stationen mit 74 %.
Direkt danach kommen die Seminare zum professionellen Umgang mit Gewalt und Aggression für Mitarbeitende besonders betroffener Stationen mit 71%. Wie ein solches Seminar aussehen kann und welche Tipps konkret an die Hand gegeben werden, ist im nächsten Punkt aufgeführt.
Zusätzliche Präventionsmaßnahmen stellen außerdem mitunter klinikinterne Handlungsempfehlungen bzw. Leitlinien zum Umgang mit aggressiven Patienten (56 %) oder körperlichen und verbalen Übergriffen (50 %) dar. Regelmäßig stattfindende Fallbesprechungen im multiprofessionellen Team unter Einbindung der Pflege kommen mit 32 % seltener zum Tragen.
Relevant ist darüber hinaus, dass Opfer der Patientenübergriffe individuelle Unterstützungsangebote erhalten. Psychologische Unterstützung zur psychischen Bewältigung von Übergriffen wird hierbei am häufigsten angeboten (58 %), darauf folgen mit 54 % Nachsorge- und Hilfsangebote nach Übergriffen.
Jedes dritte Krankenhaus setzt nach dem Krankenhausbarometer vielmehr Sicherheitspersonal ein, um präventiv den Schutz für Mitarbeitende zu gewährleisten.
Spezielle Seminare für Mediziner und Praxismitarbeiter
Die Seminare sind von hoher Bedeutung, da sie den Mitarbeitenden wertvolle Tipps an die Hand geben und die Folgen der Übergriffe ein ernst zunehmendes Problem sind. Ein Beispiel ist das Seminar “Gewalt gegen Ärzte” der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg. Mediziner, Praxismitarbeitende und Psychotherapeuten finden sich im Zuge dessen in Gruppen zusammen und erzählen von ihren Erlebnissen. Darauffolgend werden Szenen nachgestellt und Tipps gegeben.
Einige der Tipps werden nun im Überblick vorgestellt.
1. Praxis räumlich herrichten
Zuerst sollte man sich als Praxismitarbeiter oder Arzt fragen, wie die Praxis denn noch sicherer sein könnte. Ein kurzer “Praxischeck” könnte darüber Aufschluss geben. Eine räumliche Vorbereitung kann infolge dessen helfen, sich aus einer unangenehmen Situation zu entfernen, ohne an den Patienten vorbeilaufen zu müssen.
Die Ausrichtung der Empfangstheke oder des Schreibtisches im Besprechungsraum des Mediziners sollte man dementsprechend anpassen. Bestmöglich sind Möbel so aufgestellt, dass man jederzeit bei Gefahr flüchten kann. Außerdem sollte man Gegenstände sorgfältig verstauen oder wegräumen, welche als Wurfgeschosse verwendet werden könnten.
2. Eigenes Sicherheitsempfinden stärken
Überdies ist es von Bedeutung, sich selbst sicher zu fühlen. Ein Tipp wäre für einen Praxismitarbeitenden, hinter dem Tresen eine Schale mit Vogelsand in Griffweite aufzubewahren. Ebenso kann eine offene Dose mit Büroklammern zu einem positiven Sicherheitsempfinden beitragen.
Büroklammern oder Vogelsand dienen ferner in einer eskalierenden Situation, in welchem der Betroffene ungeschützt ist, als Wurfgegenstand. Ein weiteres Beispiel sind Codewörter, welche das Praxisteam untereinander ausmachen kann. “Herr Müller ist gerade nicht im Besprechungsraum” bedeutet in diesem Moment dann: “Bitte verständige die Polizei”.
3. Perspektivwechsel kann hilfreich sein
In einem Moment der Eskalation sollten Mediziner weiterhin versuchen, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. In manchen Augenblicken versteht der Patient eventuell den Ablauf oder das, was vor sich geht, nicht. Werde dieses Nicht-Wissen ausgedrückt, führe dies oftmals zu beschämenden Reaktionen.
Dabei kann es hilfreich sein, sich bewusst zu machen, wer denn allgemein der Über- und wer der Unterlegene ist. Meist kommt man als Praxismitarbeiter oder Arzt zu dem Schluss, dass der Patient auf einen angewiesen ist – also man selbst der Überlegene ist.
Denn der Patient ist nicht mit praxisinternen Abläufen betraut. Dementsprechend sollte man etwas mehr Verständnis zeigen. Wenn man sich das häufiger ins Gedächtnis ruft, ist die Einschätzung des Patienten und schwieriger Situationen nicht mehr ganz so verzwickt.
4. Körpersprache und eigenes Auftreten ist essenziell
Nicht nur die Worte sollten helfen, einen kniffligen Moment zu umgehen. Körperlich vorbereitet und abwehrbereit zu sein ist grundlegend. Am besten sei es, die Hände zum Sprechen zu nutzen anstatt sie liegen oder hängen zu lassen. Dies verringere das Risiko, sich nicht wehren zu können. Denn die Hände vor dem Körper wirken wie ein Schutz.
Zwei Armlängen Abstand zum Gegenüber zu haben ist ebenfalls elementar. Eine stabile Haltung in einer Konfliktsituation sollte außerdem bewahrt werden. Mitunter ist das eigene Auftreten ausschlaggebend dafür, wie eine drohende Situation verläuft – und ob eine solche entsteht.
5. Wie wirke ich auf andere?
Mit der Körpersprache gekoppelt ist das Bewusstsein, wie man als Mediziner oder Praxismitarbeiter auf andere wirkt. Das eigene Auftreten ist mitunter ausschlaggebend dafür, wie eine drohende Situation verläuft – und ob eine solche entsteht. Ob eine Deeskalation oder eine Zuspitzung des Konflikts stattfindet, ist abhängig von einem selbst – und selbstverständlich vom restlichen Praxisteam.
Damit verbunden sind die Verhaltensweisen, die man an den Tag legt, und wie man sich ausdrückt. Eingebildet zu sein oder mit medizinischen Fachbegriffen vor Patienten anzugeben, fordert aggressives Verhalten fast schon heraus.
6. Sich Patienten annehmen
Deswegen gilt – Freundlichkeit ist der beste Weg. Auf die Patienten und deren Bedürfnisse einzugehen führt dazu, dass diese sich wohlfühlen und wirkt gegen unangenehme Augenblicke oder Eskalationen. Fragen stellen oder die Patienten auf den neuesten Stand zu bringen kann infolgedessen Wunder bewirken.
Neben einem sympathischen Auftreten ist Empathie fundamental, wenn es um Patienten geht. Verständnis für eine unangenehme Lage auszudrücken führt ebenfalls dazu, dass Patienten sich besser fühlen. Manchmal sind Patienten jedoch einfach anstrengend, egal, wie sehr man sich bemüht. Hierzu gibt es den Artikel zum Umgang mit “schwierigen” Patienten.
7. Präventiv handeln
Ein Seminarleiter, welcher ein Experte für Konfliktlösungen ist, gibt zudem einen wichtigen letzten Tipp. Denn bereits präventives Handeln kann dazu führen, dass sich Ärger überhaupt nicht erst entwickelt.
Deswegen sei es relevant, stets aufmerksam zu sein. Denn manchmal treten Situationen auf, bei welchen sich eine hitzige Diskussion anbahnt, indem beispielsweise ein Patient kurz angebunden oder gereizt reagiert. Hierbei kann man mit präventivem Handeln den Konflikt schon im Keim ersticken.