
Es gibt Sätze, die will ein Anästhesist nicht hören. Denn sie bedeuten Ärger, Verzögerungen im Tagesplan oder schlicht: Keine Narkose.
Den ersten unbeliebten Satz kann ein Narkosedoktor oft schon in der Frühbesprechung vernehmen, nämlich wenn der Oberarzt in die Runde verschlafener, koffeinsüchtiger Äuglein blickt und motivierend schmettert: „Ich brauche einen Freiwilligen, der den Tumor übernimmt…sollte auch vor 21 Uhr heute Abend fertig werden!“
Stundenlange, kunstvolle Tumor-OPs, die die Ausräumung vollgepackter Lymphknotenstationen und die Gestaltung kreativer Lappenplastiken beinhalten, bedeuten für uns Sandmänner:
Eine spannende, lange Einleitung, eine gewagte Ausleitung, und dazwischen stundenlang….nichts. Gähnende Leere. Ödnis par excellence.
Ist dieser Kelch an einem vorübergegangen, lauern die nächsten unbeliebten Sätze in der Einleitung, und zwar aus dem Mund des geschätzten Patienten.
„Gegessen? Nur ein ganz leichtes Frühstück…Rühreier mit Speck und Butterbrot!“
„Ne, getrunken hab ich nichts…nur einen kleinen Kaffee mit Milch und Zucker!“
„Ich dachte nüchtern heißt kein Alkohol…?!“
In solchen Momenten will man vor Verzweiflung die Propofolspritze im eigenen Oberschenkel versenken und dabei schreien: Ernsthaft Leute??!
Nach Mitternacht nichts essen und nichts trinken bedeutet im Klartext:
Nach Mitternacht nichts essen und nichts trinken!
Nein, auch keine warme Milch. Nein, da verhungert man schon nicht.
Nein, Gummibärchen gehen auch nicht. Ist so. Ende der Debatte. Mann!
Steht man nun jedoch seit geschlagenen 15 Minuten in einer gähnend leeren Einleitung und dreht zusammen mit der Anästhesiepflege Däumchen, kommen die unbeliebten Sätze todsicher alsbald aus dem tragbaren Telefon, wiederum aus oberärztlichem Munde.
„Sorry, Fehlbestellung“ gehört hier noch zu den harmloseren Varianten. Da unser Krankenhaus ein Sortimentausmaß wie ein Amazon-Warenlager hat, ist es von absoluter Wichtigkeit, dass die Patienten zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort erscheinen. Wenn da die Notfall-Galle auf dem Tisch eines Cochleaimplantat-schwingenden HNO’lers landet, herrscht allgemein großer Unmut. Weswegen wir gelegentlich einen fehlgelieferten Patienten reklamieren, sprich, zurückschicken müssen. Kommt vor, Schwamm drüber.
„Der Patiententransportdient streikt heute“ macht schon mehr Ärger, denn ohne unseren Patienten-Paketdienst werden weder das Amazon-Warenlager (Patienten) noch die Endkunden (Operateure und Narkotiseure) zufriedengestellt. Das bedeutet Verzögerungen ohne Ende, und das wiederum bedeutet: Keiner geht heute beizeiten nach Hause.
Der absolute Knaller in dieser Kategorie war jedoch bislang:
„Frau Sandmann….äh ….ihr Patient ist davongelaufen und wird im Moment noch von der Polizei gesucht“
In diesen Momenten beschleichen einen doch gewisse Zweifel. Sowohl bezüglich des Patientenklientels als auch bezüglich des Ruf des eigenen Hauses und insbesondere der eigenen Person.
An dieser Stelle ein Wort zur Güte: Wer keine Lust hat, sich operieren zu lassen, oder kurz vor knapp noch kalte Füße bekommt, wird gerne in die Freiheit entlassen.
Eine Flucht in Nacht und Nebel ist absolut überflüssig.
In diesem Fall (und an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an die Kollegen in Grün) konnte der Patient bald fröhlich qualmend vom Parkplatz zurück in sein Bett überführt werden. Da er sich aber nebst Flucht eines Nüchternheitsvergehens erste Güte schuldig gemacht hat, passierte wiederum das, was wir alle hassen: Keine Narkose.
Aber zum Glück nimmt auch jede noch so lange Narkose irgendwann ihr Ende. Und hier geschieht etwas Magisches: Ab und zu kommt ein Satz, der einem Sandmann ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
„Lasst mich doch schlafen….hab so schön geträumt!“ ist einer davon.
„Haaalt…nicht anfangen, ich schlaf noch gar nicht!“ ein weiterer.
Und mein absoluter Favorit in dieser Woche: „Frau Doktor mir is schwindelich…aber ich hab nix getrunken, ich schwör….!“
Beste Grüße,
Frau Sandmann