
Der OP ist ein Ort, an dem der Begriff „Hierarchie“ eng an den Besitz von Schuhwerk geknüpft ist. Je mehr personifiziertes OP-Gummischuhwerk, desto höher der hierarchische Rang.
Oberschwester Helga darf OP-Schuhe mit Blumenclips und Stickern ihr Eigen nennen, die niemals jemand verbotenerweise anrühren würde. Chirurg Säbelzahn besitzt eigens für ihn angefertigte, rückenschonende Einlagen und Oberarzt Holzhammer hat ganze 5 Paar eigene, namentlich beschriftete OP-Schuhe.
Umso größer war also meine Freude, als am zweiten Arbeitstag meiner Karriere Lieblingspfleger Ludwig verschwörerisch meinen Arm ergriff und meinte:
„So Schätzelein, jetzt machen wir mal Zalando!“
In seinem geheimen Schuhversteck fanden wir nach längerem Kramen dann tatsächlich ein Paar neue OP-Schuhe, die an meine Junganästhestistenfüße passten. Grasgrüne, federleichte und sehr bequeme Crocs – ich war im siebten OP-Schuh-Himmel!
An diesem Tag schwebte ich durch die Flure, unter den neidvollen Blicken all derer, an deren Füßen sich klobige, tannengrüne Quadratlatschen befanden.
Am Abend lieh ich mir Ludwigs Edding, setzte schwungvoll meinen Namen auf die Insignien meiner neu gewonnenen Hierarchiestufe, und legte sie in den Korb für schmutzige OP-Schuhe.
Am Tag darauf stand ich voller Vorfreude auf den podologischen Hochgenuss vor dem Schuhregal – und traute meinen Augen nicht. Meine geliebten Schuhe aus aufgeschäumtem Kunststoff hatten eine Runde im Dampfsterilisator gedreht und ihre Größe um gefühlt 5 Nummern verringert.
Da half kein Zerren und Ziehen: Die Schühchen hätten eher einer Sechsjährigen gepasst als einer ausgewachsenen Narkosetante. Traurig präsentierte ich Ludwig die Miesere. Nachdem er wieder zu Atem gekommen war und sich seine Lachtränen abgewischt hatte, öffnete er abermals seinen Schuhschrank für mich, und zog ein Paar klobige, tannengrüne Schuhe hervor.
Bedauernd stapfte ich an diesem Tag durch den Saal, und beschriftete am Abend wieder die Schuhe, bevor ich sie in das Steri-Körbchen legte.
Am darauffolgenden Tag waren meine Schuhe weg. Kurz dachte ich darüber nach, ob dieser Höllensterilisator mein Schuhwerk wohl gänzlich vaporisiert haben könnte.
An diesem Tag trug ich gelbe Gäste-Schuhe in Größe 43, und zum Zeichen des hierarchischen Abstiegs, von dem dieses Schuhwerk zeugte, hatte jemand mit Edding drei schwarze Punkte darauf gemalt.
Als gelbbeschuhte Blindschleiche verbrachte ich die folgenden Wochen.
Ständig auf der Suche nach meinen verschwundenen Schuhen hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, die Füße meiner Mitarbeiter genauestens zu inspizieren, um den frechen Schuhdieb auf frischer Tat zu ertappen.
Eines Montagmorgens kam ein Schwung neuer PJ-Studenten in unseren OP, davon einer mit einem auffälligen Gangbild.
In Ermangelung von Gästeschuhen hatte er seine ausgewachsenen Männerfüße in Damenschuhe Größe 38 gequetscht, die mir sehr bekannt vorkamen. Überglücklich bot ich ihm die Blindschleichenschuhe zum Tausch, und feierte während einer gemütlichen, langen Narkose die Rückeroberung meiner Schuh-Hoheit, indem ich meinen Malkünsten mit Edding auf Gummischuh freien Lauf ließ.
Seitdem sind sie nie wieder abhanden gekommen.
Beste Grüße,
Frau Sandmann
Bildnachweis: Another True Fiction via photopin (license)
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