Diesmal hat es mich getroffen. Ich sitze beim elendigen Tumor, und die OP verspricht, ein wahres Ewigkeitswerk zu werden. Nachdem zwischen Einleitung und Schnitt nur knappe 2 Stunden vergangen waren, verzeichnen wir aktuell satte 6 Stunden Narkose, und ich schwör: In den letzten 2 Stunden hatten wir kaum 3 Millimeter Operationsfortschritt. Aber was hilft‘s – mein Revier ist die andere Seite des grünen Tuchs, und hier tun sich meine ganz eigenen Schauplätze auf.
Ich versuche mich nämlich seit 3 Stunden in Blasen-Hypnose. Nicht meiner eigenen – die gibt Ruhe, denn die völlig versalzene OP-Suppe macht, dass meine Niere jedes Wassermolekül gierig zurückresorbiert. Nein, im Geiste versuche ich seit geraumer Zeit, die Blase meines Patienten dazu zu überreden, ein paar Tröpfchen Urin herzugeben.
Mittlerweile läuft die zehnte Infusionsflasche, und die Ausscheidung ist noch immer mickrig und sonnenblumengelb konzentriert.
„Los“, beschwöre ich die Patientenblase, „mach schon“! Zur Antwort rinnt ein einzelner Tropfen Pipi auf der Schlauchinnenseite herab. Bevor ich mir überlegen kann, ob ich das als Triumpf oder Hohn interpretieren will, wird Gejammer auf der anderen Tuchseite laut.
„Anästhesiiiiiiiiie, die Lagerung ist nicht optimal, so werden wir hier nie fertig“, tönt es wenig motivierend von da unten. „Was du nicht sagst“, denke ich missgelaunt, aber bevor ich nach der Fernbedienung greifen kann, hat der hochmotivierte Springer-Schüler sie sich gegrabscht. „Tisch bewegt sich!“, verkündet er freudestrahlend, denn endlich gibt es was für ihn zu tun. Und bewegt die Tumor-Besitzerin in eine abartige Kopf-Tief-Lage.
„Ja, so ist es perfekt, viel besser!“, lobt die Messerfraktion und stürzt sich wieder in den Situs.
Diese barbarische Umlagerung ruinierte mir indes meine ganze schöne Kreislaufsituation. Während ich noch überlegte, ob ich den unschönen Blutdruck erstmal tolerieren soll oder nicht, drang ein seltsam schabendes Geräusch an mein Ohr. In der nächsten Sekunde hatte ich mich gegen meine Patientin geworfen, die mir, der Schwerkraft folgend, mitsamt ihren 115 Kilogramm Kampfgewicht langsam entgegenrutschte.
„MACH DAS WIEDER RÜCKGÄNGIG!!!“, japste ich zu niemand bestimmtem, und stemmte die Hacken in den OP-Boden. „Aber…wir sind gerade in der entscheidenden Phase!“, kam es von jenseits des Tuchs. „Nur noch drei Minütchen…können Sie sie so lange halten?!“ „Ihr habt zwei!“, erwiderte ich undiplomatisch und durch zusammengebissene Zähne.
Wie unglaublich lange zwei Minuten werden können, lernte ich in den nächsten Sekunden. Wie man den Dräger mit der Nase bedient, auch.
Doch auch diese OP fand irgendwann ihr Ende. Und oh Wunder: Nachdem diese mörderische Kopfstand-Lagerung aufgehoben war, war der Pipibeutel voll.
Und weil alles irgendwann ein Ende findet, verabschiedet sich Frau Sandmann vorerst mit diesem Blog von euch. Mit dem neuen Jahr warten neue Aufgaben und Herausforderungen. Von Herzen Danke für eure vielen erbaulichen Kommentare – es war mir eine Ehre, für euch zu schreiben!
Beste Grüße
Frau Sandmann
Themen
- Sonstige