Kürzlich habe ich meine anästhesiologische Büchersammlung um ein lehrreiches Werk erweitert: Frei nach dem Motto „Passiert so ein Quatsch eigentlich immer nur mir?!“ kaufte ich mir ein Buch über Fehler in der Anästhesie. Beeindruckt las ich von Handschuhstückchen, die Beatmungsschläuche verlegten, zugebissenen Woodbridge-Tuben und verwechselten Perfusorspritzen.
So clever, unterhaltsam und interessant diese geschilderten Fälle waren, musste ich für mich jedoch feststellen, dass sie mit den meisten Fehlern, Irrtümern und Zwischenfällen in meinem Arbeitsalltag nicht viel zu tun haben. Denn die sind einfach nicht so…akademisch.
Kürzlich stand ich wie der Ochse vorm Berg vor meiner Medikamentenschatzkiste, und versuchte vergeblich, eine 2 ml-Glasampulle aufzuknacken. Trotz Sollbruchstelle und vollem Körpereinsatz meinerseits weigerte sich das blöde Ding, seinen Deckel herzugeben. Leider war diese Ampulle auch noch das letzte Stück auf dem Medikamentenwagen, sodass mir schlussendlich nichts anderes übrig blieb, als Lieblingspfleger Ludwig zu rufen und ihm die Misere zu schildern. Tränen lachend kam er an, nahm die Ampulle zwischen seine bärenstarken Finger, drückte….und nichts passierte. Außer dass Ludwig zu Lachen aufhörte. 4 Kompressen, 2 benetzte Handschuhe und einen Metallklemmeneinsatz später war die Ampulle immer noch nicht an ihrer Sollbruchstelle gebrochen. Dafür aber an allen anderen Stellen. Klarer Fall von dumm gelaufen.
Und diese Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Schon mal 4 Stunden lang Protokoll geschrieben ohne den Durchschlagschutz zwischen Original und Kopie zu entfernen? Oder beim Auskultieren über alle möglichen Differentialdiagnosen von „silent lung“ nachgedacht, nur um später festzustellen, dass die Schallleitung auf die gegenseitige Stethoskopmembran eingestellt war? Vergessen, das Gas aufzudrehen? Dem Patienten lehrbuchmäßig 3 Minuten lang zur Präoxygenierung die Maske vorgehalten aber leider vorher die Beatmungsmaschine nicht angeschaltet? Tja – obwohl wir es nicht gern zugeben – mit dem Quatsch ist keiner alleine.
Wir alle machen Fehler. Wo Menschen arbeiten, passieren dumme Dinge. Großzügig darüber hinwegzusehen ist aber genauso falsch wie morgens furchtsam in den Arbeitstag zu starten und abends besorgt nach Hause zu gehen. Die Lösung liegt halt wie so oft irgendwo in der Mitte.
Neben haarsträubenden Geschichten über dumm gelaufene Narkosen hatte mein neues Büchlein aber auch noch ein paar wertvolle Tipps parat. Fehler kann man nie völlig ausmerzen, aber ihren Verlauf kann man beeinflussen. Und zwar so:
1) Jede Situation hinterfragen und die Möglichkeit des eigenen Fehlers nie ausschließen
2) Sich selbst fragen: Ist es richtig und zielführend, was ich gerade tue?
3) Mit einem Rundumblick die Lage neu evaluieren und nie etwas für selbstverständlich nehmen
4) Überlegen, ob noch ein anderer Grund für das Problem ursächlich sein könnte.
Das Gute an Fehlern ist, dass man daraus lernen kann – und je eindrücklicher das eigene Erlebnis ist, desto steiler wird die Lernkurve. Ich inspiziere Medikamentenschubladen dieser Tage besonders sorgfältig, und lege gerne noch eine Ampulle mehr nach.
Herzliche Grüße,
Frau Sandmann
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