
Zum sechsten Mal präsentiert die IKK classic gemeinsam mit Brand Eins und Statista den „Gesundheit in Zahlen“-Report. Dafür wurden über 1.500 Personen zwischen 18 und 75 Jahren befragt, um ihre Wahrnehmung des deutschen Gesundheitssystems sowie ihr Empfinden bezüglich Information, Behandlung und Versorgung zu erfassen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Thema Fachkräftemangel. Dabei zeigt sich: Es fehlt an jungen Ärztinnen und Ärzten.
Fachkräftemangel im Gesundheitssystem
Ein drängendes Problem, das in den vergangenen Jahren deutlich zutage getreten ist, betrifft den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Besonders auffällig ist der Rückgang junger Ärzte: Im Jahr 1995 lag ihr Anteil noch bei 24,8 Prozent, während es 2021 nur noch 18,9 Prozent waren. Dieser Trend verschärft sich in den letzten Jahren deutlich und wirft ernsthafte Herausforderungen auf, wie aus der Umfrage „Gesundheit in Zahlen 2022, Gesundheitswesen“ hervorgeht.
Auch im Pflegebereich zeichnet sich ein alarmierender Fachkräftemangel ab. Laut einer Umfrage stimmten 78 Prozent der Befragten zu, dass der Bedarf an Pflegekräften höher ist als die vorhandenen Angebote von Pflegeheimen oder -diensten. Ein möglicher Grund hierfür ist der Mangel an Nachwuchs: Im Jahr 2020 blieben 42,7 Prozent der Ausbildungsplätze in deutschen Krankenhäusern unbesetzt.
Immer mehr junge Ärzte stammen aus dem Ausland
Um der Herausforderung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen zu begegnen, wird in Deutschland vermehrt auf medizinisches Fachpersonal aus dem Ausland zurückgegriffen: Im Jahr 2021 waren in Deutschland 63.924 Ärzte im praktizierenden Dienst tätig, die aus dem Ausland stammten. Dies entspricht einem Anstieg um 125,4 Prozent seit 2010 – mehr als das Doppelte. Diese Zuwanderung genügt aber immer noch nicht, um den Ärztemangel zu decken, da vermehrt deutsche Ärzte ins Ausland abwandern; v.a. nach Österreich und in die Schweiz.
Ursachen für den Mangel an jungen Ärzten
Sucht man nach Ursachen für den Fachkräftemangel im Gesundheitssystem sowohl bei jungen Ärzten als auch bei Pflegepersonal, kristallisieren sich einige Punkte als Faktoren heraus.
Niedrigere Entlohnung für Ärztinnen
In einer Umfrage stimmten 81 Prozent der Befragten zu, dass junge Ärzte besser für ihre Arbeit entlohnt werden sollten. Insbesondere Frauen, die oft als junge Ärztinnen familienbedingt nur in Teilzeit tätig sind, erhalten im deutschlandweiten Vergleich weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen.
Veraltete Approbationsordnung
Um die Studierenden besser auf den ärztlichen Alltag vorzubereiten, ist eine Neuausrichtung der erforderlichen Kompetenzen unerlässlich. Dies erfordert dringend die Implementierung der neuen Approbationsordnung, die bereits weit fortgeschritten ist. Die Pandemie hat zudem – zumindest subjektiv – bei vielen Studierenden zu erheblichen Defiziten im Bereich praktischer Kompetenzen geführt.
Prof. Dr. med. Matthias Frosch, der Präsident des Medizinischen Fakultätentages, kritisierte gegenüber dem Ärzteblatt ebenfalls, dass junge Ärzte nach einer 20 Jahre alten Approbationsordnung ausgebildet werden. Die neue Approbationsordnung sollte verschiedene Aspekte, insbesondere im Hinblick auf Digitalisierung und Ambulantisierung, aktualisieren und neu regeln.
Zu viel Bürokratie
Ärzte/-innen stehen zusätzlich unter der Belastung, Tätigkeiten zu übernehmen, für die sie nicht ausreichend ausgebildet wurden, so Dr. med. Susanne Johna, Vorstandsvorsitzende des Marburger Bundes. Insbesondere aufgrund der enormen Bürokratielast verlassen viele junge Ärzte ihren Beruf, da sie aufgrund der zusätzlichen Arbeitsbelastung ihren Ansprüchen an die ärztliche Tätigkeit nicht mehr gerecht werden können.
Diesem Problem müsse durch eine Reduzierung der Bürokratie entgegengewirkt werden. Zudem sollten Ärzte in Krankenhäusern Anspruch auf zwei freie Wochenenden im Monat haben, wie es für andere Arbeitnehmer selbstverständlich ist.
Mangel an Studienplätzen
Die Ärzteschaft fordert schon lange eine Erhöhung der Medizinstudienplätze, um den zukünftigen Bedarf an Ärzten zu decken. Besonders im Hinblick auf die bevorstehende Pensionierung der Babyboomer-Generation und den demografischen Wandel wird ein verstärkter Nachwuchs benötigt. Im Jahr 2021 begannen insgesamt etwa 11.750 Personen ein Medizinstudium an staatlichen Universitäten, im Vergleich zu 10.803 im Jahr 2017.
Um die Anzahl der Studienplätze zu erhöhen, hat Baden-Württemberg im Jahr 2020 zusätzliche 150 Plätze geschaffen. Bayern erhöht die Zahl seit 2019 und plant bis 2025 weitere 600 Studienplätze, u.a. durch die Gründung einer neuen medizinischen Fakultät an der Universität Augsburg. In Berlin sollen im Jahr 2023 zusätzliche Plätze entstehen, während Niedersachsen ab 2023 zusätzliche 80 Plätze plant. Brandenburg und Bremen verfügen derzeit nicht über staatliche medizinische Fakultäten. Allerdings ist in Brandenburg ab dem Wintersemester 2026/2027 die Einführung staatlicher Medizinstudienplätze in Cottbus geplant. Die Kosten eines Medizinstudienplatzes über den gesamten sechsjährigen Studienverlauf variieren dabei zwischen rund 200.000 Euro (Sachsen) und 309.000 Euro (Schleswig-Holstein).
Hausarzt werden ist unattraktiv
Die Bereitschaft unter Ärzten, sich als Vertragsärzte insbesondere in ländlichen Gebieten niederzulassen, nimmt kontinuierlich ab. Insbesondere hausärztliche Niederlassungen haben Schwierigkeiten, geeignete Nachfolger zu finden. Die Ursachen dafür sind vielfältig und umfassen Aspekte wie Budgetierung, zunehmende Bürokratisierung und eine unzureichende Infrastruktur auf dem Land. Parallel dazu schließen viele Ärzte ihre Aus- und Weiterbildung nicht in den Fachgebieten ab, die für eine flächendeckende ambulante Versorgung der Bevölkerung entscheidend sind. Der Mangel an Ärzten gefährdet die flächendeckende Rund-um-die-Uhr-Versorgung.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat durch eine neue Modellrechnung festgestellt, dass die Nachfrage nach ärztlicher Versorgung bis zum Jahr 2030 moderat steigen wird, während das Angebot an Ärzten abnehmen wird. Besonders stark betroffen sind dabei Hausärzte und fachärztliche Grundversorger.