Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen suchen dringend nach neuen Fachkräften. Die Lage ist so ernst, dass sich zunehmend die Auffassung verbreitet: „Hauptsache, wir finden überhaupt jemanden.“ Vor allem in Krankenhäusern und Pflegeinrichtungen hat sich daher beim Recruiting einiges verändert. Ansprüche werden teilweise heruntergeschraubt, um leere Stellen „auf Teufel komm raus“ zu besetzen. Doch die Anforderungen im Recruiting so stark abzusenken kann Fallstricke mit sich bringen. Worauf es beim Recruiting im Gesundheitswesen ankommt und welches die größten Herausforderungen sind, fasst dieser Beitrag zusammen.
Die aktuelle Lage auf dem Jobmarkt im Gesundheitswesen
Die Rekrutierung von qualifiziertem Personal gestaltet sich immer schwieriger. Trotz der zahlreichen Herausforderungen wie geopolitischen Krisen, Energieproblemen und einer sich abzeichnenden Rezession ist der Arbeitsmarkt in der Gesundheitsbranche (noch) robust und blühend. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Personalbeschaffung: Die Anzahl der Bewerbungen geht zurück, die Qualität der Bewerbungen und das Engagement der Bewerber/-innen lassen nach. Kurz gesagt, die Rekrutierung von Pflegepersonal wird immer komplizierter.
Im Gesundheitswesen ist der Mangel an Fachkräften bereits zu einem allgemeinen Mangel an Arbeitskräften geworden. Dies betrifft nicht nur medizinisches Personal, sondern auch andere Berufe im Gesundheitswesen wie Pflegekräfte, medizinische Assistenten/-innen und Verwaltungspersonal. Dieser Fachkräftemangel, der regelmäßig vom Münchner ifo Institut gemessen wird, erreicht nach einem vorübergehenden Rückgang aufgrund der Corona-Pandemie einen Höchststand und betrifft nahezu alle Branchen.
Was das für das Recruiting im Gesundheitswesen bedeutet
Die Machtverhältnisse verschieben sich zunehmend zu Gunsten der Bewerber/innen. Das bedeutet, dass das Recruiting viel stärker darauf ausgerichtet sein muss, qualifiziertes Pflegepersonal zu gewinnen. Einige Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen ziehen daraus den Schluss, dass das Recruiting heute eher wie Vertrieb funktionieren sollte, wobei Recruiting-Verantwortliche ihre Stellen wie Verkäufer/innen an Mann und Frau bringen müssen. Diese Verkaufs-Metapher kann jedoch von Recruitern/-innen leicht fehlinterpretiert werden.
Im Verkauf geht es um den Abschluss eines Geschäfts, wobei die Nachwirkungen dem/-r Verkäufer/in egal sein können. Im Recruiting ist jedoch entscheidend, dass neue Mitarbeiter/innen nicht nur gut in den Job passen, sondern auch langfristig dabeibleiben und erfolgreich arbeiten. Daher sollte das Absenken der Anforderungen trotz des spürbaren Arbeitskräftemangels keinesfalls eine Option sein. Es ist verständlich, dass v.a. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen in Versuchung geraten könnten, die Anforderungen zu lockern, wenn die Bewerberauswahl begrenzt ist. Doch genau das – ob ein/e Kandidat/in tatsächlich geeignet ist – sollte weiterhin das zentrale Kriterium bei der Personalbeschaffung sein.
Wer Anforderungen runterschraubt, schadet dem Krankenhaus
Die Passung zwischen den Bewerbern/-innen und der Stelle muss immer oberste Priorität haben. Die Einstellung von Kandidaten/-innen, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie die Anforderungen erfüllen und lange im Krankenhaus bleiben, verlagert das Problem nur auf andere Bereiche der Gesundheitseinrichtung. Dies kann teuer werden und zu einem Teufelskreis führen.
Um dem „War for Talent“ entgegenzuwirken, ist eine bessere Mitarbeiterbindung (Retention) entscheidend. Wenn Krankenhäuser ihre Mitarbeiter/innen länger halten können, müssen sie nicht ständig neues Personal finden. Dies erfordert jedoch eine gute Passung von Anfang an. Fehler im Auswahlprozess können sich später rächen, wenn neue Teammitglieder nicht die erwartete Leistung erbringen oder schnell wieder das Krankenhaus verlassen. Daher ist es wichtig, die Auswahl sorgfältig zu treffen, selbst wenn die Bewerberauswahl begrenzter ist.
Negative Konsequenzen von undurchdachtem Recruiting
Die Argumentation, dass aufgrund des Fachkräfte- oder Arbeitskräftemangels im Gesundheitswesen weniger strenge Auswahlkriterien gelten sollten, ist problematisch. Vielmehr sollten Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen genauer hinsehen, wenn die Bewerbungszahlen sinken. Je weniger qualifizierte Bewerbungen eingehen, desto wichtiger ist es, diejenigen, die sich bewerben, sorgfältig zu prüfen. Denn sorgloses Recruiting im Gesundheitswesen kann schwerwiegende Nachteile und Konsequenzen haben.
Unqualifizierte oder ungeeignete Mitarbeiter/innen im Gesundheitswesen können zu einer schlechteren Qualität der Patientenversorgung führen. Dies kann wiederum zu medizinischen Fehlern, längeren Krankenhausaufenthalten und sogar zu Gesundheitsschäden oder Todesfällen führen. In der Medikamentenausgabe sind z.B. Präzision und Fachwissen unerlässlich. Inkompetentes pharmazeutisches Personal kann zu Medikationsfehlern führen, die schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben können. Wiederholte Fälle von unzureichend qualifiziertem Personal können wiederum den Ruf einer Gesundheitseinrichtung erheblich schädigen. Patienten/-innen und ihre Familien können das Vertrauen in die Einrichtung verlieren.
Ungenügend geprüftes Personal verlässt oft das Krankenhaus schnell, was zu einer hohen Mitarbeiterfluktuation führt. Dies erhöht die Kosten für die Pflegeeinrichtung und beeinträchtigt die Kontinuität der Patientenversorgung. In Fällen von Fehlern oder Komplikationen im Gesundheitswesen können Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen und medizinisches Personal rechtliche Konsequenzen und Haftungsansprüche erwarten. Unqualifiziertes Personal kann also das Haftungsrisiko erhöhen.
Mitarbeiter/innen, die nicht die erforderlichen Qualifikationen oder Fähigkeiten besitzen, benötigen außerdem oft zusätzliche Schulungen und Aufsicht. Dies kann zu einer ineffizienten Ressourcennutzung führen. Ungenügend qualifizierte Mitarbeiter/innen sind darüber hinaus meist nur kurzfristig im Krankenhaus. Dies erfordert fortlaufende Anstrengungen, um neue Mitarbeiter/innen zu gewinnen und einzuarbeiten. Eine hohe Mitarbeiterfluktuation erfordert schlussendlich regelmäßige Neueinstellungen und Schulungen, was wiederum mit erheblichen Kosten verbunden ist. Und wenn Mitarbeiter/innen ohne angemessene Qualifikationen oder Fähigkeiten eingestellt werden, kann dies nicht zuletzt die Karrierechancen für qualifizierte und erfahrene Fachkräfte im Gesundheitswesen einschränken.
Wie das Recruiting im Gesundheitswesen aussehen sollte
Recruiting-Prozesse sollten so angenehm wie möglich, aber vor allem aussagekräftig sein. Krankenhäuser sollten sich darauf konzentrieren, Kandidaten/-innen mit Potenzial und Passung zu identifizieren, anstatt nur auf formale Qualifikationen wie Ausbildung, Facharzttitel und Weiterbildungen zu achten. Die aktuelle Praxis, sich auf die formale Qualifikation zu konzentrieren, führt dazu, dass potenzielle Talente übersehen werden.
Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen sollten sich stärker auf das Potenzial und die Passung konzentrieren, um den Kreis der potenziellen Kandidaten/-innen zu erweitern. Dies schließt Quereinsteiger/innen und ältere Arbeitnehmer/innen mit ein. Um qualifizierte Mitarbeiter/innen zu finden, müssen Krankenhäuser also weiterhin sorgfältig auswählen und in diagnostische Beurteilungsverfahren investieren. Dies ermöglicht es Arbeitgebern/-innen im Gesundheitswesen, die geeigneten Bewerber/innen zu identifizieren.
Fazit
Insgesamt kann ein sorgloses Recruiting im Gesundheitswesen erhebliche Risiken für die Patientensicherheit, den Ruf der Pflegeeinrichtung und die finanzielle Stabilität des Krankenhauses mit sich bringen. Es ist daher entscheidend, dass Gesundheitseinrichtungen strenge Auswahlverfahren und hohe Qualitätsstandards bei der Einstellung von Mitarbeitern/-innen beibehalten.
Krankenhäuser sollten also auch trotz – oder gerade wegen – des Arbeitskräftemangels ihre Anstrengungen in der Personalgewinnung nicht verringern, sondern erhöhen: Sie sollten in die berufliche Orientierung, klare Erwartungen bezüglich der Aufgaben und der Krankenhauskultur investieren und aussagekräftige Auswahlverfahren verwenden, um die geeigneten Bewerber/innen zu identifizieren. Wenn dies nicht ausreicht und Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen mit weniger qualifizierten Neueinstellungen leben müssen, sollten sie verstärkt in die innerbetriebliche Qualifizierung und Weiterbildung investieren.