Behandlungsfehler, Liebesbeziehungen mit Patienten, Suchtprobleme: Wie gehen Ärzte mit schwierigen ethischen Fragen um? Dem geht der Ethik Report 2020 von Medscape nach. Mehr als 1.000 Ärztinnen und Ärzte wurden zwischen Januar und März 2020 befragt, darunter 12 Prozent Ärzte in der Weiterbildung, wann sie ihre Schweigepflicht brechen würden, ob sie schon mal einen Behandlungsfehler vertuscht haben und wie sie Impfgegner behandeln.
Auch auf ethische Probleme, die aktuell durch die Corona-Krise verursacht werden, geht die Umfrage ein. Die Aussagen zur Corona-Krise wurden nachträglich in zwei weiteren Kurzumfragen mit 794 bzw. 496 Teilnehmern erhoben. Die Stichprobengröße ist allerdings nicht repräsentativ.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Arbeit als Mediziner aus?
Die Corona-Pandemie stellt Ärzte vor ganz neue Herausforderungen. 52 Prozent der Befragten bezeichnen sich dennoch als besonders froh und motiviert, während dieser Zeit als Arzt zu arbeiten. 48 Prozent verneinen diese Aussage. Zehn Prozent der befragten Mediziner gehören selbst zu einer Risikogruppe oder haben Angst, sich im Job anzustecken und bleiben deswegen zu Hause. 34 Prozent geben an, nicht zu Hause bleiben zu wollen. 43 Prozent sagen, dass sie zu keiner Risikogruppe gehören und auch keine Angst vor Ansteckung haben. 13 Prozent würden gerne zu Hause bleiben, können es aber nicht.
Nach den wirtschaftlichen Folgen eines Shutdowns befragt, geben 30 Prozent an, dass nur Risikogruppen langfristigen Ausgehbeschränkungen unterworfen werden sollten. 55 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Gesundheit das Wichtigste sei und die wirtschaftlichen Folgen eines Shutdowns für den Gesundheitsschutz in Kauf genommen werden müssten. 16 Prozent stimmen dieser Aussage nicht zu. 77 Prozent befürworten zudem, dass Impfstoffe und Medikamente gegen COVID-19 mit geringeren Sicherheitsstandards und schneller am Patienten zum Einsatz kommen. 23 Prozent lehnen dies jedoch ab.
Wie reagieren Ärzte auf Fehler in der klinischen Praxis?
In der klinischen Praxis unterlaufen auch einmal Fehler. Für den Ethik Report 2020 wurden die teilnehmenden Mediziner auch gefragt, ob sie schon einmal einen Fehler vertuscht haben. 32 Prozent beantworten diese Frage mit “ja”, 68 Prozent mit “nein”. 87 Prozent geben an, sich schon einmal beim Patienten für einen Fehler entschuldigt zu haben. Elf Prozent verneinen dies, zwei Prozent beantworten die Frage mit “kommt drauf an”.
Wann würden Ärzte ihre Schweigepflicht brechen?
Die Schweigepflicht ist ein hohes Gut und gilt als unverzichtbar für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten. In welchen Fällen würden Ärzte ihre Schweigepflicht brechen? Hat ein Patient eine Erkrankung, die auch für andere gefährlich werden kann, etwa durch Ansteckung, sprechen sich 57 Prozent für das Brechen der Schweigepflicht aus. 31 Prozent würden von Fall zu Fall entscheiden, 12 Prozent würden die Schweigepflicht einhalten.
Wie stehen Ärzte zu Liebesbeziehungen mit Patienten?
Gehen Ärzte eine intime Beziehung mit Patienten ein, kann dies berufs- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zu diesem Thema befragt, schließen 44 Prozent der Umfrageteilnehmer eine Liebesbeziehung zu Patienten grundsätzlich aus. Zehn Prozent geben dagegen an, unter Umständen auch mit aktuellen Patienten eine Beziehung einzugehen. 21 Prozent lehnen derartige Beziehungen nicht grundsätzlich ab, würden aber mindestens ein halbes Jahr bis ein Jahr nach Behandlungsende warten. Für 25 Prozent ist dies eine Fall-zu-Fall Entscheidung.
Was hat die #MeToo-Debatte in den Praxen verändert
Ein Medscape-Report aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass fast jeder sechste Arzt in den vergangenen drei Jahren schon einmal sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz erlebt oder beobachtet hat. Wie stehen Mediziner zur #MeToo-Bewegung, die seit Oktober 2017 auf sexuelle Belästigung aufmerksam macht? Dem Ethik Report 2020 zufolge meinen nur 15 Prozent der Ärztinnen und Ärzte, dass sich die Einstellung zu sexueller Belästigung im Berufsalltag verbessert hat. 47 Prozent haben keinen Unterschied festgestellt. 34 Prozent geben an, dass es keine sexuelle Belästigung in ihrem Arbeitsumfeld gibt. Drei Prozent sagen, dass sich die Einstellung zu sexueller Belästigung sogar verschlechtert habe.
Meinungen zum Thema Impfen und Impfgegner
Um Impfungen, insbesondere Pflichtimpfungen von Kindern, gibt es immer wieder Diskussionen. Würden Mediziner Impfgegner behandeln? 65 Prozent beantworten diese Frage mit “ja”, bei den Klinikärzten sind es 72 Prozent, bei den niedergelassenen Ärzten 60 Prozent. 13 Prozent verneinen die Frage (elf Prozent Klinik, 15 Prozent Praxis). 22 Prozent würden von Fall zu Fall entscheiden (17 Prozent Klinik, 25 Prozent Praxis).
Insgesamt 85 Prozent der Ärzte sprechen sich für eine Masern-Impflicht aus. Unter den Hausärzten sind es 72 Prozent, unter den Fachärzten sogar 87 Prozent. Elf Prozent lehnen eine Masern-Impflicht ab, vier Prozent beantworten die Frage mit “kommt darauf an”. 41 Prozent der Befragten finden, dass sich Ärzte jedes Jahr verpflichtend gegen Grippe impfen lassen sollten. 47 Prozent sprechen sich dagegen aus, der Rest antwortet mit “kommt darauf an”.
21 Prozent befürworten regelmäßige Tests zum Substanzmissbrauch
Einer Online-Umfrage aus dem Jahr 2018 zufolge trinkt fast jeder vierte Arzt in Deutschland zu viel Alkohol. Einen Anlass für regelmäßige Kontrollen auf Drogen- oder Alkoholkonsum sieht dennoch nur eine Minderheit der Mediziner. Lediglich 21 Prozent der Befragten stimmen in der Medscape-Umfrage regelmäßigen Tests auf Substanzmissbrauch zu. 69 Prozent lehnen derartige Tests ab. 45 Prozent geben allerdings an, dass sie betrunkene Kollegen melden würden. Elf Prozent würden dies nicht tun, für 44 Prozent stellt dies eine Fall-zu-Fall Entscheidung dar. Einer der befragten Ärzte würde zunächst mit dem betroffenen Kollegen reden, bevor er eine Meldung einreicht.