
Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht. Dies zeigt sich einmal mehr bei der EU-Verordnung über Medizinprodukte. Eigentlich dazu gedacht, für mehr Patientensicherheit zu sorgen, könnte das Regelwerk demnächst zu erheblichen Engpässen an Medizinprodukten der Versorgung von Krankenhäusern führen. Manches erinnert an die Wirren im Umfeld der Datenschutz-Grundverordnung.
Die Medizinprodukte-Verordnung gibt es bereits seit 2017. Zuvor war ein vierjähriger komplizierter Verhandlungsprozess erforderlich gewesen, bis man sich auf EU-Ebene auf eine Regelung verständigen konnte. Dass die Verordnung bisher nicht viel öffentliches Aufsehen erregte, liegt an der relativ großzügigen Frist für die nationale Umsetzung. Deadline ist der 26. Mai 2020 – ein Termin, der allmählich näher rückt. Die Hersteller von Medizinprodukten stellen sich schon jetzt auf die neuen Vorgaben ein, mit unangenehmen Folgen für den Klinik-Betrieb. Es droht ein Engpass an Medizinprodukten.
Stärkere Kontrolle und Überwachung von Medizinprodukten
Die Verordnung zielt grundsätzlich auf eine stärkere Kontrolle und Überwachung von Medizinprodukten, die beim Patienten zum Einsatz kommen. Kliniken müssen Mindeststandards erfüllen, die Ärzten und Mediziner den Umgang mit medizinischen Produkten vorgibt. Für jedes betroffene Erzeugnis ist demnächst eine Zulassung erforderlich, der eine ausführlich dokumentierte klinische Studie vorausgehen muss, die die Eignung des Produktes feststellt. Dafür etabliert die EU-Verordnung ein Prüfsystem, in dem amtlich anerkannte Prüfstellen künftig für die Zulassung verantwortlich sein sollen. An und für sich ist das zu begrüßen. Patienten erhalten dadurch eine Qualitäts-Garantie für das bei OP’s verwendete Material und dadurch mehr Sicherheit.
Dass Regelungen in diesem Bereich nötig sind, zeigt der Anlass für die Verordnung: im Jahre 2010 kam es zu einem Skandal, als sich herausstellte, dass einigen hunderttausend Frauen Brustimplantate eingesetzt worden waren, in denen die französische Hersteller-Firma minderwertiges Silikon verwendet hatte. Die Implantate führten bei vielen Betroffenen zu massiven Beschwerden und großen gesundheitlichen Problemen. Die Folge: Aufwändige Nachbehandlungen. Solches wollten die Initiatoren mit der Verordnung künftig verhindern.
Engpass an Medizinprodukten – unklare Regelungen
Wie häufiger bei europäischen Regelungen schossen die EU-Verordnungsgeber aber über das Ziel hinaus. Die Verordnung unterwirft praktisch alle Instrumente und Produkte, die bei Operationen zum Einsatz kommen, dem neuen Prüf- und Zulassungssystem. Das reicht vom Implantat über die Schraube bei Knochen-OP’s bis zum Faden, um Wunden zu nähen. Dazu gehören auch Produkte, die bereits seit Jahrzehnten benutzt werden und sich nachweislich bewährt haben. Auch für sie wird jetzt eine klinische Studie und eine amtliche Zulassung benötigt.
Vieles ist noch völlig unklar: wie ist zum Beispiel die Eignung einer chirurgischen Schere zu bewerten: an der Schnittfähigkeit, an der “Griffigkeit” oder an möglichen unerwünschten Wirkungen beim Patienten? Häufig bleibt die Verordnung unpräzise und unbestimmt. Das trägt zur Verunsicherung der Hersteller bei, die im Zweifel in der Haftung sind. Die logische Konsequenz: “Riskante” Produkte werden erst einmal aus dem Sortiment genommen, bis die Situation geklärt ist.
Seitens der EU wurde mittlerweile bereits nachgebessert. Einmal wurde die Verordnung geändert, eine weitere Anpassung ist angekündigt. Zu einzelnen unklaren Punkten hat man insgesamt neun Erklärungen nachgeschoben. Aber das reicht offensichtlich nicht aus.
Fehlende Prüfer als zentraler Knackpunkt
Der entscheidende Knackpunkt, der zum Engpass an Medizinprodukten führt, ist die bisher fehlende Prüf-Infrastruktur. Denn seit dem Inkrafttreten der Verordnung gibt es erst zwei Prüfstellen, die Zulassungen erteilen dürfen. Es handelt sich um das britische BSI-Institut und den TÜV Süd in München. Deren personelle Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus, um die Antragsflut auf Zulassungen innerhalb angemessener Frist zu bewältigen. Selbst, wenn in den kommenden Monaten noch einige Stellen hinzukommen sollten, dürfte das nicht reichen, um den Antragsstau abzuarbeiten.
Etliche Hersteller haben bereits die Hoffnung aufgegeben, noch rechtzeitig Zulassungen zu erhalten, und ihr Sortiment zum Teil drastisch verkleinert. Produkte, die bisher selbstverständlich zur Verfügung standen, werden erst einmal fehlen. Und was zum Wohl des Patienten gedacht war, droht sich ins Gegenteil zu verkehren.