
Online einzukaufen war noch nie leichter. Ein Klick und die Artikel sind im Warenkorb, die richtige Bezahlfunktion auswählen und nicht viel später sind die Produkte auch schon auf dem Weg. Retouren oder Rückfragen lassen sich meist schnell über eine Telefonhotline oder ein Kontaktformular regeln. Das E-Commerce hat es begriffen, die Customer Journey so zu optimieren, dass der Kaufprozess für Kunden/-innen möglichst reibungslos und ohne Unterbrechungen abläuft. Was im E-Commerce bereits selbstverständlich ist, steckt im Recruiting noch in den Anfängen. Lange Texte, komplizierte Kontaktwege oder unpräzise Formulierungen führen häufig zu hohen Absprungraten im Bewerbungsprozess. Und dabei weisen beide Bereiche starke Parallelen auf. So machen beispielsweise latent Suchende sowohl im Onlinehandel als auch im Recruiting einen Großteil der Zielgruppe aus. Angesichts des akuten Fachkräftemangels lohnt es sich folglich vor allem für Recruiter/innen im Gesundheitswesen, die Prozesse des Onlinehandels genau zu analysieren, die Instrumente zur Zielgruppenansprache entsprechend auf die eigene Branche anzupassen und für sich zu nutzen.
Die genaue Zielgruppenanalyse
Der Begriff „E-Commerce“ umfasst alle Arten von Geschäften, die online stattfinden – vom Verkauf von physischen Produkten bis hin zu digitalen Gütern oder Dienstleistungen. Händler/innen, die über die Online-Kanäle vertreiben, kennen ihr Produkt und ihre Zielgruppe genau. Marktforschung und Big Data werden genutzt, um das Produkt möglichst genau auf die Bedürfnisse der Kunden/-innen anzupassen. Der eigene USP kann dann mittels optimierter Werbeanzeigen und Algorithmen der Social-Media-Kanäle zielgerichtet an ihre Kunden/-innen herangetragen werden.
Überträgt man diese Erkenntnisse auf das Recruiting, lässt sich feststellen, dass die gleiche Strategie auch hier genutzt werden kann, um relevante Kandidaten/-innen anzusprechen. Viele Unternehmen der Gesundheitsbranche nutzen bereits die Online-Kanäle, um mit Hilfe von personalisierter Werbung und ansprechend gestalteter Stellenanzeigen Ärzte/-innen und medizinisches Fachpersonal anzusprechen. Häufig wird dabei jedoch vergessen das Produkt, die angebotene Stelle, kundenorientiert auszugestalten. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist demnach nicht: „Was kann ich als Klinik meinem/-r Bewerber/in bieten?“, sondern „Welche Bedürfnisse hat mein/e Kandidat/in und wie kann ich im Rahmen meiner Stellenanzeige gezielt darauf eingehen?“.
Sozialforschungen, Mitarbeiterbefragungen anderer Kliniken und Krankenhäuser mit ähnlichen Strukturen oder auch Kommentare unter branchenrelevanten Beiträgen auf sozialen Medien können dabei helfen, die Bedürfnisse der eigenen Zielgruppe besser zu verstehen. Diese Erkenntnisse können dann im nächsten Schritt im Rahmen der Kommunikation genutzt werden, um das Interesse potenzieller Kandidaten/-innen zu erregen. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die mitarbeiterorientierte Optimierung betriebsinterner Strukturen ein fortlaufender Prozess ist. Besonders der authentischen Kommunikation wird hier eine besondere Bedeutung beigemessen. Versprechen Sie also nichts, das nicht der Wahrheit entspricht, nur um die Wünsche der Kandidaten/-innen zu erfüllen. Idealerweise erregen Sie durch eine zielgruppengerechte Ansprache die Aufmerksamkeit des/der Kandidaten/-in, fesseln das Interesse durch eine prägnante Darstellung der relevanten Informationen und leiten den/die Bewerber/in direkt in einen Schnellbewerbungsprozess weiter.
Schnell, einfach und kompakt
Der Onlinehandel ist darauf ausgerichtet, die Zielgruppe anzusprechen und dieser so ikonisch wie möglich alle wichtigen Informationen für eine Kaufentscheidung bereit zu stellen. Im nächsten Schritt muss dann die Customer Journey so unkompliziert sein, dass der Kaufprozess abgeschlossen werden kann, bevor die Kunden/-innen abspringen. Grade in einer digitalen und schnelllebigen Welt hat die schnelle und einfache Ansprache und Prozessgestaltung einen besonderen Wert für den Erfolg eines E-Commerce Unternehmens.

Quelle: Jobsuche im Fokus, Stepstone, 2018
Auch im Recruiting können durch die genaue Analyse der Zielgruppe potenzielle Bewerber/innen erfolgreich erreicht und angesprochen werden. Hohe Absprungraten in Bewerbungsprozessen zeigen jedoch, dass viele Kandidaten/-innen den Bewerbungsprozess aus Zeitgründen oder durch das Verlieren von Interesse wieder abbrechen. Um Kandidaten/-innen erfolgreich in den Bewerbungsprozess zu begleiten, müssen folglich alle Hürden auf diesem Prozess beseitigt werden. Zwar sollten im Rahmen einer Stellenanzeige alle relevanten Informationen zur Verfügung gestellt werden, der Fokus muss jedoch auf einer kompakten Zusammenstellung aller wichtigen Eckpunkte auf einen Blick sein. Muss der/die Kandidat/in erst einen Fließtext lesen, bevor er/sie Informationen über die flexible Arbeitszeitgestaltung findet, erhöht sich das Absprungrisiko um ein Vielfaches.
Neben der übersichtlichen Darstellung der relevanten Informationen, muss auch der Prozess, die Bewerbung zu versenden, transparent und einfach gehalten werden. Setzt die Bewerbung wie bei vielen größeren Stellenportalen eine Anmeldung seitens des/der Bewerbers/-in voraus, werden bereits viele Interessenten/-innen abspringen. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die Verwendung nutzerfreundlicher und branchenspezifischer Stellenportale praktischArzt oder die Angabe der E-Mail-Adresse der HR-Abteilung. Um die Schwelle für eine Bewerbung zusätzlich zu verringern, kann auch zunächst auf die Anforderung von Dokumenten im Rahmen der ersten Kontaktaufnahme verzichtet werden. Wichtige Unterlagen, wie beispielsweise die Approbation, können auch nach dem ersten Gespräch noch zugesendet werden.
Kundenservice für Mitarbeiter/innen
Auch in Bezug auf den Kundenservice kann das E-Commerce ein Vorbild für das Recruiting darstellen. Immer mehr Unternehmen setzen auf einen exzellenten Kundenservice, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Für das Recruiting bedeutet dies, sich vor derzeitigen und zukünftigen Mitarbeitern/-innen als anerkennenden und mitarbeiterorientierten Arbeitgeber darzustellen. Betrachtet man aktuelle Umfragen, lassen sich Werte wie Anerkennung und Wertschätzung als wichtigste Kriterien für eine Arbeitgeberentscheidung in fast allen Altersgruppen und Branchen feststellen. Wie werden diese Werte in Ihrer Klinik priorisiert? Im Rahmen der Ansprache von Kandidaten/-innen sollte bereits genau darauf eingegangen werden.
Auch wenn hier Schwächen innerhalb der klinikinternen Strukturen festgestellt werden können, kann durch das Aufzeigen von Optimierungsansätzen das Bild eines dynamischen und mitarbeiterorientierten Arbeitgebers gezeichnet werden. Die Bereitschaft, Strukturen und Prozesse fortlaufend mitarbeiterorientiert weiterzuentwickeln und zu verbessern, wirkt authentisch und überzeugt mögliche Kandidaten/-innen im Ergebnis oft mehr als die Darstellung einer scheinbar perfekte Unternehmenskultur. Ideen können an dieser Stelle die Ausarbeitung und Umsetzung eines neuen Konzepts zur ethnischen Vielfalt oder interner Konfliktlösung sein. Ziel muss stets sein, dem/der Kandidaten/-in das Gefühl zu vermitteln, dass der Klinik als Arbeitgeber die eigenen Mitarbeitenden am Herzen liegen und Schwierigkeiten und Probleme aller Art fortwährend gemeinsam und zielorientiert aufgearbeitet werden.
Grenzen
Der Vergleich des Recruitings mit den Strukturen den E-Commerce stößt hingegen an seine Grenzen, wenn man die Zielgruppendefinition genauer betrachtet. In den meisten Onlineshops ist jede/r Kunde/-in relevant. Es gilt, je mehr Kunden/-innen erreicht und angesprochen werden, desto besser. Dementgegen stehen die spezifischen Kriterien, nach denen die Zielgruppe im Recruiting definiert wird. Neben der fachlichen Eignung spielt auch die persönliche Eignung, wie zum Beispiel das Übereinstimmen der Wertvorstellungen von Kandidaten/-innen und Klinik eine entscheidende Rolle. Die Kommunikation unternehmensspezifischer Werte mittels der Stellenanzeige fungiert demnach als primärer Filter der Bewerbungen. Zwar verringert dies die Anzahl absoluter Bewerbungen, jedoch idealerweise nur um die Anzahl der Kandidaten/-innen, die grundsätzlich nicht zur Klinik passen würden. Darüber hinaus vermindert dieser recruitingspezifische Prozess die Verwaltungsarbeit und damit die Kosten für das Anwerben von neuen Mitarbeitern/-innen.
Fazit
Um die eigene Zielgruppe erfolgreich anzusprechen, lohnt es sich, von den kundenorientierten Prozessen des E-Commerce zu lernen und diese auf das Recruiting von Ärzten/-innen und medizinischem Fachpersonal anzuwenden. Durch die Anpassung der betriebsinternen Strukturen an die Anforderungen der Kandidaten/-innen und die Nutzung von Online-Kanälen gelingt es Recruitern des Gesundheitswesens, die besten Talente für ihre Klinik zu gewinnen. Trotz aller Parallelen der Customer Journey des E-Commerce und der Talent Journey des Recruitings, muss entgegengehalten werden, dass die Wahl eines Arbeitgebers eine viel schwerwiegendere und emotional aufgeladene Entscheidung ist als die meisten Kaufentscheidungen. Die schnelle Ansprache und Überzeugung ist folglich im Onlinehandel meist wesentlich einfacher umzusetzen als im Recruiting. Wer es begreift, die Vorteile der schnellen und kundenorientierten Prozessgestaltung aus dem E-Commerce mit der individuellen und emotionalen Ansprache von Kandidaten/-innen zu kombinieren, wird Ärzten/-innen und medizinisches Fachpersonal zukünftig erfolgreich ansprechen und rekrutieren.