Das Ergebnis einer Studie zeigt, dass die Deutschen zu den weltweiten Spitzenreitern gehören, wenn es um einen Besuch beim Arzt oder in der Ambulanz geht. Interessant ist dies vor allem deshalb, da die meisten dieser Besuche eigentlich gar nicht nötig wären, da es sich um vergleichsweise harmlose Beschwerden handelt.
Deutschland unter den Top 5, Schweden macht es viel besser
Laut einer aktuellen Meldung der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) zieht es die deutschen Bundesbürger deutlich öfter zum Arzt, als Einwohner aus anderen Industriestaaten. Das überraschende Ergebnis: Etwa 10 Mal pro Jahr suchen Deutsche einen Arzt auf und in diesem Wert sind die jährlichen Besuche beim Zahnarzt noch nicht mit eingerechnet. Damit liegt Deutschland weit vorne im Vergleich: Der internationale Durchschnitt liegt bei 6,6 Arztbesuchen im Jahr. Vergleicht man diese Zahl mit Einwohnern anderer Länder, ist Deutschland auf dem 5. Platz positioniert – knapp hinter Ungarn und der Slowakei, die es auf 10,7 bzw. 10,9 Arztbesuche pro Jahr bringen.
Unangefochtener Spitzenreiter in dieser Statistik sind jedoch die asiatischen Länder: So suchen Japaner durchschnittlich 12,6 Mal pro Jahr einen Arzt auf, Südkoreaner sogar 16,9 Mal. Zum Vergleich: Am unteren Ende der Liste positioniert sich Kolumbien mit gerade einmal 1,9 Besuchen pro Jahr, dicht gefolgt von Schweden mit 2,7 Besuchen und Mexiko mit 2,8.
Die Einwohner dieser 5 Länder gehen am häufigsten zum Arzt:
Platz | Länder | Arztbesuche pro Jahr |
1. | Südkorea | 16,9 |
2. | Japan | 12,6 |
3. | Slowakei | 10,9 |
4. | Ungarn | 10,7 |
5. | Deutschland | 9,9 |
Die Einwohner dieser 5 Länder gehen am seltensten zum Arzt:
Platz | Länder | Arztbesuche pro Jahr |
1. | Kolumbien | 1,9 |
2. | Schweden | 2,7 |
3. | Mexiko | 2,9 |
4. | Griechenland | 3,3 |
5. | Neuseeland | 3,8 |
Deutliche Unterschiede von Bundesland zu Bundesland
Schaut man sich die aktuelle Statistik ein wenig genauer an, wird schnell klar, dass es gravierende Unterschiede zwischen dem Besucherverhalten deutscher Bundesbürger gibt: Tatsächlich kann man nämlich nicht unbedingt behaupten, dass alle Deutschen gleichermaßen oft einen Arzt oder eine Ambulanz aufsuchen. Besonders häufig in einem Wartezimmer anzutreffen sind vor allem Einwohner der Bundesländer Berlin, Hamburg und dem Saarland, während Einwohner aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt vergleichsweise selten einen Arzt aufsuchen.
Hamburger gehen sogar rund 30% häufiger zum Arzt als Einwohner von Brandenburg – ein Wert, der aus der Statistik klar heraus sticht. Generell befinden sich Patienten aus Ostdeutschland auch deutlich weniger in ärztlicher Behandlung, als Menschen aus dem Westen von Deutschland.
Patienten halten auch nach einem Umzug an ihrem Besucherverhalten fest
Ein wichtiges Anzeichen, welches die Feststellungen der Wissenschaftler deckt, ist die Tatsache, dass sich das Verhalten der Patienten auch dann nicht änderte, wenn diese in eine andere Region Deutschlands umgezogen sind. Bei den rund 203.000 Patienten, auf die dies zutraf, nahm ein Großteil auch weiterhin ebenso viele ärztliche Behandlungen in Anspruch, wie in ihrem ehemaligen Heimatort – auch dann, wenn es in ihrem neuen Wohnort mehr oder weniger ansässige Arztpraxen gab. Somit ging aus der Studie ebenfalls klar hervor, dass eine höhere Dichte an Arztpraxen nicht zwangsläufig dazu führt, dass die Patienten auch tatsächlich öfter den Arzt aufsuchen.
Wissenschaftler stoßen auf überraschende Gründe für Arztbesuche
Weshalb Deutsche sich oft behandeln lassen: Etwa 25 Prozent der Bürger suchen wegen Rückenschmerzen einen Arzt auf, aber auch Bluthochdruck zählt zu den häufigen Gründen für einen Besuch in der Praxis. Gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen, die auch oft stattfinden, werden in Facharztpraxen durchgeführt. Zum Vergleich: In einigen Ländern finden verschiedene Vorsorgeuntersuchungen direkt beim Hausarzt statt. So ersparen sich viele Patienten den Besuch in einer Facharztpraxis. Auch das erschwert einen internationalen Vergleich und beeinflusst die statistischen Angaben.
Auf der Suche nach einer Begründung für das festgestellte Verhalten, dass einige Bundesbürger relativ häufig zum Arzt oder in die Ambulanz gehen, andere jedoch nicht, machte man nun eine überraschende Feststellung. Bisher ging man davon aus, dass dieses Phänomen auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass es in einigen Regionen eine ärztliche Über- bzw. Unterversorgung gibt. Dies ist jedoch offenbar nicht zutreffend: Stattdessen zeigt die Statistik, dass die stark voneinander abweichende Arztnutzung zu einem Großteil von 90% auf dem Gesundheitszustand sowie der persönlichen Einstellung der Patienten basiert, während die Verfügbarkeit von Arztpraxen lediglich eine untergeordnete Rolle spielt.
Diskussion über zu hohe Anzahl von Arztbesuchen in Deutschland entbrannt
Auch wenn man meinen sollte, dass sich gerade die Ärzte über die hohen Besucherzahlen von deutschen Patienten sehr freuen sollten, ist oftmals das genaue Gegenteil der Fall. Viele Mediziner kritisieren, dass Patienten nicht selten mit geringfügigen Symptomen, wie etwa einfachem Fieber, in die Praxen kommen würden. Viele Besuche beim Arzt seien aus rein medizinischer Hinsicht daher überhaupt nicht nötig. Weitere “Klassiker”, für die sich die Deutschen von einem Arzt untersuchen lassen, sind unter anderem Rückenschmerzen, Bluthochdruck. Schnupfen und Grippe, Bauch- und Beckenschmerzen oder Halsschmerzen. Viele dieser Symptome sind sicherlich einen Besuch beim Arzt wert, längst aber nicht alle. Patienten, die mit leichten Kopfschmerzen oder einer einfachen Erkältung zum Arzt gehen, sind beispielsweise massiv dafür verantwortlich, dass Arztpraxen in Deutschland nicht selten stark überlastet sind und hierdurch sogar Menschen mit ernstzunehmenden Beschwerden kaum noch einen freien Termin ergattern können.
Im Gesundheitswesen würden vermeidbare Kosten enstehen, wenn weniger Patienten einen Arzt aufsuchen würden – so der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen. Ein Vorschlag von ihm, um das Aufkommen zu regulieren: Menschen in Deutschland sollten Gebühren bezahlen, wenn sie zu oft einen Arzt aufsuchen. Ein Wahltarifsystem solle das heutige Versorgungssystem der Krankenkassen ergänzen. Weiter heißt es in Medienberichten, dass solche Aussagen nur die Versicherten verunsichern würden oder diese verärgern.
Zu berücksichtigen in der Diskussion zwischen Ärzten, Politikern und Vertretern der Kassen: Statistiken liefern zwar eine Orientierung, die Aussagekraft ist jedoch nicht eindeutig. So lassen sich verschiedene Gesundheitssysteme auf internationaler Ebene nicht miteinander vergleichen, weil es in einigen Ländern Ärzte gibt, die keine eigene Praxis besitzen, sondern in einem Krankenhaus tätig sind. Das erschwert die Suche nach einer Lösung, die sich an anderen Ländern anlehnt, welche als Vorbild fugieren sollen.
Gesundheitsminister stellt Lösung zur Entlastung des Gesundheitssystems vor
Um dieser durchaus bekannten Problematik entgegenzusteuern, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU das sogenannte Terminservice- und Versorgungsgesetz entworfen, mit dem deutsche Ärzte zukünftig entlastet werden sollen. Das Gesetz sieht vor, dass Arztpraxen ihren Patienten mehr offene Sprechstunden anbieten und zugleich die Vermittlung von freien Terminen über das Telefon ausgebaut wird – dies soll zu einer spürbaren Reduzierung von Wartezeiten bei der Vergabe von Terminen führen.
Eine gänzlich andere Vorgehensweise verfolgt hingegen Schweden – jenes Land, das im Ranking der Länder mit den meisten Arztbesuchen pro Jahr mit nur 2,7 Besuchen pro Jahr auf dem vorletzten Platz landete. Hier müssen Patienten bei jedem Arztbesuch eine Selbstbeteiligungssumme in Höhe von 200 Kronen bezahlen, was umgerechnet etwa 19 Euro entspricht. Bei einem derartigen Betrag überlegt man sich zweimal, ob man wirklich zwingend vor Ort beim Arzt erscheinen oder doch lieber eine der angebotenen Alternativen in Form von praktischen Videotelefonaten mit einem Arzt, Chats oder E-Health-Lösungen in Anspruch nehmen möchte. Von einem flächendeckenden Angebot derartiger Alternativen zum Arztbesuch ist Deutschland allerdings noch weit entfernt.
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