Heute möchte ich eine Lanze für die Patienten brechen. Für die Leute, die sich vertrauensvoll in unsere Hände begeben, und sich von uns stechen, betäuben und narkotisieren lassen.
Leider passiert es mir, dir und uns allen im Alltag sicher viel zu oft, dass wir Patienten mit unseren einstudierten Standard-Sprüchlein begrüßen, und einen nach dem anderen abfertigen. Tagtäglich streben wir zügige Einleitungen, punktgelandete Ausleitungen und schnelle Wechsel an, freuen uns, wenn das Programm gut durchläuft und wir ohne Überstunden in den Feierabend kommen. So wie jeder Arbeitnehmer halt.
Da wir aber keine Puppen behandeln, sondern echte Menschen, gehört zu unserem Job immer ein bisschen mehr als anästhesiologische Perfektion.
Jeden Tag, bei jeder einzelnen Einleitung, liegt da ein Mensch vor uns, der sich selbst komplett in unsere Verantwortung begibt. Narkose bedeutet schließlich die völlige Aufgabe von Bewusstsein und einigen weiteren nicht unrelevanten Körperfunktionen. Wir knipsen unseren Patienten alle Lichter aus, und passen währenddessen auf sie auf….das ist keine kleine Sache. Und um das Vertrauen unserer Patienten zu gewinnen, haben wir wenn wir ehrlich sind keine 5 Minuten Zeit. Das ist irgendwie ganz schön krass.
Sicherlich: Es gibt Patienten, die es einem leicht machen, und Patienten, die es einem schwer machen.
Manche kommen völlig entspannt daher, scherzen und witzeln was das Zeug hält, oder sind von vielen Vor-OPs schon routinierter als der junge Sandmann, der neben ihnen steht.
Andere sind von der Prämedikation schon völlig weggebeamt und brauchen nur noch einen kleinen Schubs in Richtung Narkose.
Aber es gibt auch die wortkargen, einsilbigen, die ihre Aufregung niemals zugeben würden….aber gleichzeitig schweißnasse Hände und einen Blutdruck jenseits von Gut und Böse haben.
Allein die Geräuschkulisse muss irritierend sein. Überall piept es, die Umgebung sieht unheimlich aus, man liegt beinahe nackt auf einer kalten Liege und von allen Seiten beginnen wildfremde Menschen gleichzeitig damit, an einem herumzuzuppeln. Wenn dazu noch ständig die Tür auf und zugeht, Leute durch den Raum spazieren, Privatgespräche geführt werden und Telefone klingeln, trägt das nicht gerade zu einer entspannten Atmosphäre bei.
Ein alter und erfahrener Arzt sagte einmal zu mir: „Du sollst jeden Patienten wie deine eigene Oma behandeln.“ Das ist mein Mantra, wenn mich die Routine mal wieder einholen will. Hier, vor mir auf dem Tisch liegt der Mittelpunkt meines Interesses. Auch wenn Patienten anstrengend sein können: Jeder von ihnen hat es verdient, dass man ihnen erklärt was man tut, auf Fragen und Sorgen eingeht, alle Störenfriede rauswirft und ihnen ein entspanntes Einschlafen und Aufwachen ermöglicht.
Lasst uns Oma glücklich machen.
Herzliche Grüße,
Frau Sandmann