Die ärztliche Schweigepflicht gehört zu den ehernen Berufsgrundsätzen des Mediziner-Stands, ist aber auch rechtlich begründet – durch den Datenschutz und durch das Vertragsrecht. Verstöße gegen die Schweigepflicht können zu ernsthaften Konsequenzen führen, bis hin zu Freiheitsstrafen. Dennoch kann es Situationen geben, in denen ein Arzt Auskunft über Patienten erteilen darf oder sollte, zum Beispiel im Zusammenhang mit Versicherungsschutz.
Die Schweigepflicht – Nebenpflicht im Behandlungsvertrag
Die ärztliche Schweigepflicht wird im Allgemeinen als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient gesehen. Mit dem Patientenrechtegesetz wurde der Behandlungsvertrag in den §§ 630a ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt. Explizite Ausführungen zur Schweigepflicht enthalten diese Bestimmungen allerdings nicht. Verankert ist sie in der „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ (MBO-Ä). Dort heißt es:
„Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft … anvertraut oder bekannt geworden ist, … zu schweigen.“ (§ 9 Abs. 1 MBO-Ä). Das gilt auch über den Tod von Patienten hinaus.
Dieser Mustertext ist Grundlage für die ärztlichen Berufsordnungen in den einzelnen Bundesländern. Entsprechend findet sich die Schweigepflicht dort inhaltsgleich wieder. Unabhängig von ihrer persönlichen Schweigepflicht müssen Ärzte auch darauf achten, dass die bei ihnen vorhandenen Patientendaten nicht unbefugt oder unberechtigt Dritten zugänglich werden oder in dritte Hände geraten können. Das ergibt es sich aus den generellen Anforderungen zum Datenschutz – u.a. aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Wann die Schweigepflicht nicht gilt
Wie bei vielen sonstigen Grundsätzen und Prinzipien gilt auch bei der Schweigepflicht: keine Regel ohne Ausnahme. Die Ausnahmen sind ebenfalls in der MBO-Ä geregelt und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ärzte sind zur Auskunft über Patienten befugt oder sogar verpflichtet:
- „… soweit sie (vom Patienten, d.A.) von der Schweigepflicht entbunden worden sind…“ (§ 9 Abs. 2 Satz 1 MBO-Ä);
- zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter;
- bei gesetzlichen Auskunfts- und Anzeigepflichten. Der Patient ist in diesen Fällen über die eingeschränkte Schweigepflicht zu informieren;
- gegenüber eigenen Mitarbeitern oder Lernkräften, soweit erforderlich und nach deren vorheriger, schriftlich dokumentierter Verpflichtung zur Verschwiegenheit;
- außerdem gegenüber Dienstleistern, die in die Behandlung eines Patienten eingebunden sind, soweit erforderlich und nach deren vorheriger, schriftlich dokumentierter Verpflichtung zur Verschwiegenheit;
- gegenüber anderen Ärzten, die vorgelagert, nachgelagert oder parallel in die Behandlung eingebunden sind. Hier besteht untere den beteiligten Ärzten keine Schweigepflicht, wohl aber gegenüber Dritten.
Datenschutz: Gesundheit und Krankheit in Versicherungsverträgen
Jenseits medizinischer Behandlungen und anderer Ausnahme-Sachverhalte spielen ärztliche Auskünfte vor allem im Zusammenhang mit privaten Versicherungen eine Rolle. Es geht stets um Versicherungsschutz, bei dem die Gesundheit und das Leben des Versicherten im Mittelpunkt stehen Das betrifft vor allem
- die private Krankenvollversicherung;
- private Kranken- und Pflegezusatzversicherungen;
- die Berufsunfähigkeitsversicherung;
- Kapital- und Risikolebensversicherungen, nicht dagegen private Rentenversicherungen.
Ärztliche Auskünfte sind bei diesen Versicherungen in zwei Konstellationen von Bedeutung: bei der Stellung des Versicherungsantrags und im Leistungsfall.
Generelle Entbindung von der Schweigepflicht in Versicherungsanträgen
Der persönliche Gesundheitszustand und bestehende Vorerkrankungen sind wichtige Kriterien bei der Festlegung von Beiträgen, von möglichen Leistungsausschlüssen und von eventuellen Antragsablehnungen bei den o.g. Versicherungen. Jeder Versicherungsanbieter hat ein legitimes Interesse daran, das versicherte Risiko möglichst zuverlässig einschätzen zu können. Ärztliche Auskünfte können in diesem Zusammenhang hilfreich sein.
Der Arzt darf in diesen Fällen allerdings nur Auskunft geben, wenn das Einverständnis des Patienten oder dessen mutmaßliche Einwilligung vorliegt. Bei privaten Krankenversicherungen und auch bei Lebensversicherungen ist es üblich, dass der Antragsteller im Versicherungsantrag eine generelle Entbindung aller behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht gegenüber der Versicherungsgesellschaft erklärt, damit diese sich die benötigten ärztlichen Angaben für die Risikobeurteilung und die Prüfung der Leistungspflicht beschaffen kann. Bei Berufsunfähigkeitsversicherungen wird die generelle Schweigepflichtentbindung im Hinblick auf den Versicherungsantrag als zulässig angesehen, nicht dagegen im Hinblick auf den Leistungsfall. Hier ist eine extra Schweigepflicht-Entbindung durch den Versicherungsnehmer erforderlich.
Das Dreiecksverhältnis Arzt – Patient – Versicherung
Der behandelnde Arzt steht mit der Versicherung des Patienten grundsätzlich nicht in einer Rechtsbeziehung. Er ist alleine aus dem Behandlungsvertrag mit dem Patienten verpflichtet. Aus ihm folgt die Schweigepflicht mit begründeten Ausnahmen wie zuvor dargestellt. Die rechtliche Konsequenz ist zunächst, dass bei Schweigepflichtentbindung im Versicherungsantrag die Versicherung zwar berechtigt ist, von dem Arzt Auskünfte einzuholen, dieser aber nicht verpflichtet ist, diese auch zu erteilen. Diese Pflicht kann sich letztlich nur aus dem Behandlungsvertrag bzw. durch unmittelbaren Auftrag des Patienten ergeben.
In der Regel darf der Arzt aber vom Einverständnis des Patienten zur Auskunftserteilung im Zusammenhang mit einem Versicherungsantrag ausgehen, da dieser ein Interesse daran hat, in den Genuss des Versicherungsschutzes zu gelangen. Die ärztliche Auskunft ist dafür oft Voraussetzung. Zweifelhafter kann das schon bei erbetenen ärztlichen Auskünften im Leistungsfall sein. Denn ggf. führt die Auskunft dazu, dass die Versicherung die Leistung verweigert – sicher nicht im Sinne des Patienten.
Bei Auskünften an Versicherungen sollte für Ärzte grundsätzlich das Patienteninteresse im Vordergrund stehen. Das folgt aus dem Berufsverständnis, aber auch aus dem Behandlungsvertrag. Bei begründeten Zweifeln bezüglich einer wirksamen Schweigepflichtentbindung sollte der Arzt sich die entsprechende Erklärung von der Versicherung vorlegen lassen. Und bei befürchteten Nachteilen zu Lasten des Patienten empfiehlt sich stets eine Rücksprache mit dem Betroffenen, ob die Auskunftserteilung tatsächlich erwünscht ist.
Fazit
Bei Auskünften und beim Datenschutz unterliegen Ärzte einer besonderen Sorgfaltspflicht. Nur in begründeten Ausnahmefällen darf die ärztliche Schweigepflicht durchbrochen werden. Das Patienteninteresse ist ein hohes Gut, das auch bei der Weitergabe von Patienteninformationen zu beachten ist. Das gilt nicht zuletzt in besonderer Weise bei ärztlichen Auskünften gegenüber Versicherungen. Der Arzt kann hier Auskunft erteilen, muss aber nicht.