Bedingung für einen Behandlungsfehler ist eine Sorgfaltspflichtverletzung. Er liegt dann vor, wenn eine Behandlung vom aktuellen Stand des Wissens ohne eine begründende Erklärung abweicht und infolgedessen ein objektiv feststellbarer Schaden entstanden ist.
Medienwirksame Behandlungsfehler, wie beispielsweise die Entfernung eines gesunden Lungenlappens, die Amputation des falschen Beines sowie die Transplantation eines nicht kompatiblen Organs, werden in der öffentlichen Berichterstattung häufig als fatales Fehlverhalten und vermeidbares Versagen einzelner Akteure vorgeführt. Analysen von kritischen Ereignissen relativieren diese individuelle Verantwortlichkeit; auch Analogieschlüsse aus der Luftfahrt oder der Nuklearindustrie weisen meist auf einen multifaktoriellen Hergang hin. Es ist die schicksalshafte Verkettung unproblematischer Unachtsamkeiten verschiedener Kontrollinstanzen, die erst in Summa zu einem schwerwiegenden Schaden führt.
Behandlungsfehler: Verteilung der Verantwortung
Vor sämtlichen operativen Eingriffen haben alle beteiligten Berufsgruppen die Identität des Patienten zu überprüfen und etwaige Zweifel auszuräumen. Erst wenn mehrere hintereinander geschaltete Sicherheitsbarrieren versagen, kann es zur Katastrophe kommen.
In letzter Instanz trägt der leitende Operateur die Verantwortung für seinen Schnitt. Durch das Einführen von Checklisten, wie in der Luftfahrt, verteilte man diese Last jedoch auf die Schultern des therapeutischen Teams. Durch erfolgreiches Risikomanagement kann man derart fatale Folgen nahezu ausmerzen.
Vertrauensgrundsatz und Arbeitsteilung
Notwendig infolge der arbeitsteiligen Versorgung der Patienten hat die Rechtsprechung für den medizinischen Bereich den sogenannten Vertrauensgrundsatz implementiert. Arbeitsteilung wäre vollkommen ineffizient, wenn jeder Akteur für die Fehler des anderen haftbar gemacht werden könnte. Für den Einzelnen wäre es unmöglich, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, da er kontinuierlich die Tätigkeit seiner Kollegen überwachen müsste. Im medizinisch arbeitsteiligen Verhalten darf darauf vertraut werden, dass der Kollege sich lege artis verhält.
Jedoch ist zwischen vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung zu differenzieren. Die vertikale Arbeitsteilung bezeichnet die Übernahme delegierbarer Aufgaben durch eine weisungsgebundene Fachkraft. Bei der Delegation von ärztlichen Tätigkeiten an nicht-ärztliches Personal gilt dieser Vertrauensgrundsatz nicht prinzipiell. Der Arzt muss sich vor der Anordnung von der Kompetenz seines Personals überzeugen.
Hingegen unter gleichwertig ausgebildeten Kollegen, also e.g. unter Ärzten verschiedener Fachdisziplinen, findet horizontale Arbeitsteilung statt. Chirurg und Anästhesist sind sich gegenseitig nicht weisungsbefugt. Hier gilt der Vertrauensgrundsatz beinahe uneingeschränkt.
Behandlungsfehler: Mitwisserschaft und Haftung
In Haftung zu nehmen ist ein Arzt allerdings auch im horizontal arbeitsteiligen Verhalten unter Ärzten. Wenn er den gravierenden Fehler eines Kollegen erkennt und diesen nicht behebt, beziehungsweise den Kollegen nicht zumindest kollegial auf seinen Irrtum hinweist, obwohl ihm dies möglich wäre, so kann ein haftungsbegrenzendes Vertrauensprinzip folglich nicht mehr gelten, da das Vertrauen des Arztes, der den Fehler seines Kollegen erkannt hat, in die kunstgerechte Arbeit desselben gestört ist.
In der juristischen Praxis ist jedoch häufig schwer möglich dem Arzt eine Mitwisserschaft und damit eine Schuld durch Unterlassen nachzuweisen.
In der juristischen Forschung ist weiterhin fraglich, ob das Vertrauensprinzip ebenso hinfällig ist, wenn Fehler des Kollegen hätten erkannt werden können. Eine hierdurch zu weit gehende Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes hätte indessen einen erheblichen Effektivitätsverlust zur Folge, da jeder das Verhalten des Kooperationspartners mit kontrollieren müsste, was einer Konzentration auf die eigene Tätigkeit abträglich wäre.
Kollegiales Verhalten bedarf allerdings einer konstruktiven Kooperation unter Ärzten und nicht-ärztlichen Personal. Andere einfühlsam am eigenen Erfahrungsschatz teilhaben zu lassen, sowie im Gegenzug von deren Kompetenz zu profitieren, ist die effektivste Prävention von Behandlungsfehlern. Es ist geboten, fatale Fehler durch wechselseitige Absicherung und Unterstützung zu vermeiden.