
Jede Arbeitsstunde, jede Überstunde und auch alle Tätigkeiten nach Feierabend. Ein Urteil des europäischen Gerichtshofs hat jetzt entschieden, dass jeder Arbeitnehmer seine geleistete Arbeitszeit vollständig erfassen muss. Ist das nun das Ende der Vertrauensarbeitszeit oder der flexiblen Arbeitszeitgestaltung? Und wie wird sich die Änderung zur systematischen Arbeitszeiterfassung für Ärzte und Ärztinnen auswirken? Wir verraten, was die Änderung bedeutet.
Wie kam es überhaupt zu dem Urteil?
Geklagt hatte die spanische Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) gegen die Deutsche Bank in Spanien. Dort werden nämlich über 50 % der Überstunden überhaupt nicht erfasst. Und genau aus diesem Grund forderten die Arbeitnehmervertreter die Einrichtung eines Arbeitszeiterfassungssystems, dass eine lückenlose Dokumentation der geleisteten Arbeitsstunden gewährleistet und somit auch die Darlegung der Überstunden.
Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
Bei der Urteilsverkündung beruft sich das Gericht auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie und Grundrechtecharta der Europäischen Union. Hier ist die maximale Wochenarbeitszeit genau festgelegt. Demnach darf die Wochenarbeitszeit nicht über 48 Stunden liegen. Aber wie sollen Überstunden überhaupt ermittelt werden, wenn schon die Arbeitszeiten nicht dokumentiert werden? Das soll von nun an über die EU-weite Pflicht zur Arbeitszeiterfassung geregelt werden. Denn das Urteil verpflichtet ab sofort alle Arbeitgeber innerhalb der EU, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Dabei entscheiden die Länder darüber, in welcher Form – Stechuhr, App oder Excelliste – die Arbeitszeiten zu erfassen sind.
Aktuelle Rechtslage zur Arbeitszeiterfassung
In Deutschland besteht aktuell noch keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Der Paragraf 16 des Arbeitszeitgesetzes gibt lediglich die Erfassung von Überstunden vor, aber nicht die generelle Arbeitszeit. Weiter ist vorgegeben, dass Beschäftigte maximal 48 Stunden pro Woche arbeiten und über einen Zeitraum von elf Stunden eine Pause einlegen. Zudem muss der Arbeitgeber mindestens an einem Tag in der Woche eine Pause von 24 Stunden einräumen. Doch ohne eine systematische Zeiterfassung lässt sich die Beachtung oder Missachtung der gesetzlichen Vorschriften nur schwer prüfen.
Flexibilität darf nicht leiden
Für Arbeitnehmer sollten sich mit der Gesetzesänderung aber keine Nachteile ergeben. Die Flexibilität darf nicht unter dem neuen Gesetz leiden. So sollte es auch mit Inkrafttreten der neuen Verordnung weiterhin möglich sein, von zu Hause aus zu arbeiten. Das Zeiterfassungssystem sollte also auch die Dokumentation außerhalb der Betriebsstätte, z.B. über eine App ermöglichen.
Auch Ärzte und Ärztinnen profitieren
Die Gewerkschaften begrüßen das Urteil. Die Rechte der Arbeitnehmer werden von nun an stärker geschützt. Denn sie können jetzt leichter ihr Recht wie z.B. eine wöchentliche Höchstarbeitszeit durchsetzen und notfalls sogar vor Gericht einklagen.
Auch die Ärztevertretung Marburger Bund äußerte sich zum EuGH-Urteil positiv. Der Verbund fordert ohnehin schon, dass sich die ärztliche Arbeitszeit grundlegend ändert und die gesetzliche Höchstarbeitszeit von den Kliniken nicht länger ignoriert wird.
Bereitschaftsdienst jetzt Arbeitszeit
Eine 30-Stunden-Schicht gehört in zahlreichen deutschen Kliniken zum Arbeitsalltag. Auch das soll jetzt der Vergangenheit angehören.
Denn der EugH entschied, dass ein Bereitschaftsdienst zur Arbeitszeit gehört. Darunter fällt dann auch die Zeit, in der ein Arzt gerade eine Ruhepause einlegt. Somit sind Ruhezeiten nicht als solche anzusehen, sondern zählen zur Arbeitszeit.
Für die Kliniken in Deutschland bleibt die Gesetzesänderung also nicht ohne Folgen. 15.000 Ärzte müssen neu eingestellt werden. Insgesamt entsteht dadurch ein finanzieller Aufwand von über einer Milliarde Euro.
Fazit
Wie und wann sich die gesetzliche Änderung zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland gestalten wird, bleibt abzuwarten. Solange es aber keine Änderung im Arbeitszeitgesetz gibt, bleibt alles beim Alten.
Kommt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, haben es Arbeitnehmer fortan leichter ihre Rechte durchzusetzen. Daneben ist es aber auch fraglich, ob die systematische Arbeitszeiterfassung auch tatsächlich überall praktiziert wird. Und eins ist klar: Wer der Dokumentation entkommen will, findet sicher einen Weg.