Die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat enormes Potenzial, denn sie bietet die ...

Bereits Ende der 1970er-Jahre entwarf der Philosoph Frithjof Bergmann ein Konzept namens „New Work“. Über die Jahrzehnte hinweg entwickelte sich sein Ansatz zu einer beliebten Idee, welche Arbeitgeber als Inspiration zur Optimierung ihres Betriebs nutzten. In Personalabteilungen ist New Work heutzutage ein gängiger Begriff. Doch während dieses Konzept in vielen Branchen nahezu mühelos umgesetzt werden kann, stellt es Unternehmen im Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Warum es sich lohnt, diese anzugehen, beschreibt dieser Artikel.
New Work: Was es bedeutet und wie es gelebt werden kann
Frithjof Bergmann erschuf das New-Work-Konzept vor allem, weil er die bisherige Sicht auf Arbeit als veraltet erachtete. In Zeiten der Industrialisierung diente Arbeit in erster Linie einem Zweck: Menschen beschäftigten sich mit ihren Aufgaben. Eine besondere Berücksichtigung ihrer Person erfuhren sie dabei jedoch nicht. Den Kern des New-Work-Konzepts bilden dagegen der Sinn einer Arbeit und die Möglichkeit zu persönlicher Entfaltung. Bergmann selbst bezeichnete eine solche Tätigkeit als „Arbeit, die Menschen wirklich wollen“.
Die Wahl eines passenden Berufsbildes ist zweifellos ein wichtiger Teil von New Work. Nicht umsonst sind die beiden Begriffe „Beruf“ und „Berufung“ heute in aller Munde. Die Verantwortung für die Umsetzung von New Work liegt allerdings nicht allein bei Arbeitnehmern, sondern auch auf Arbeitgeberseite. Unternehmen, welche sich mit New Work befassen, streben danach, ihren Mitarbeitern
- die Entfaltung ihrer Potenziale zu ermöglichen,
- eine sinnstiftende Tätigkeit zu bieten,
- ihre persönliche Freiheit zu bewahren
- und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem der Mensch nicht als Mittel zum Zweck gilt.
Unter New Work fällt daher so einiges – von familienfreundlicher Unternehmenspolitik über moderne Arbeitszeitmodelle wie Jobsharing, Turnuszeiten und Wunsch-Arbeitszeiten bis hin zu gelebter Diversität. Dabei zeichnet sich New Work durch seine Agilität aus. Gleichzeitig wird das flexible Eingehen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter ermöglicht.
New Work in Pflege und Kliniken: Kann das gelingen?
Das sehr fluide und flexible Grundgerüst von New Work wirkt im ersten Moment nahezu unvereinbar mit den aktuell bestehenden Strukturen des Gesundheitswesens. In Kliniken und Pflegeeinrichtungen kommt es schließlich auf
- feste Zeiten,
- unumstößliche Pflichten
- und die Erfüllung hoher Ansprüche an Abläufe und Dokumentation an.
Arbeitgebern fällt es deshalb nicht leicht, die Flexibilität und Agilität von New Work im Gesundheitssektor ebenso umzusetzen, wie in anderen Branchen. Zweifellos im Weg steht ihnen dabei auch der ökonomische Druck, denn mit vergleichsweise geringen Mitteln muss vieles geleistet werden.
Kliniken und Einrichtungen, welche sich New Work dennoch öffnen, tun dies meist im Hinblick auf die Arbeitszeitmodelle, das Gesundheitsmanagement und Untergrenzen im Bereich der Besetzung. Damit verringern sie den hohen Druck auf die einzelnen Mitarbeiter. In Zeiten des Fachkräftemangels, welcher das Gesundheitswesen massiv beeinflusst, genügen diese Bestrebungen aber nicht immer, um Personal zu finden und an sich zu binden.
Ein erfolgreiches Beispiel aus der ambulanten Pflege
Ein spannendes Beispiel, bezogen auf New Work in der Pflege, stellt „Buurtzorg“ dar. Aus dem Niederländischen übersetzt heißt Buurtzorg [sprich: bürtsorch] so viel wie „nachbarschaftliche Hilfe“. Jos de Blok, der selbst als Pflegekraft arbeitete, gründete das Unternehmen im Jahr 2007, da er im wachsenden Administrationsbedarf bei ambulanter Pflege einen Problemfaktor erkannte.
Mit Buurtzorg entwickelte er ein Konzept, bei welchem eine Pflegekraft zum Ansprechpartner für Patienten wird und sich um einen großen Teil der anfallenden Aufgaben kümmert. Dies erlaubt den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, von welcher beide Seiten profitieren. Kleine Pflegeteams organisieren ihre Arbeit weitestgehend eigenständig. Auf Grundlage dieses Konzeptes wurde Buurtzorg in den Niederlanden zum führenden Pflegedienst und ist inzwischen auch auf dem deutschen Markt tätig.
In Kliniken wiederum erscheint es schwierig, Konzepte wie jenes von Buurtzorg zu integrieren. Immerhin liegt die Anzahl der Beschäftigten hier auf besonders hohem Niveau, was eine eigenständige Organisation zur Herausforderung macht. Ein entscheidendes Werkzeug, das dem Personal einen Weg zu mehr Freiheit bieten kann, ist die Digitalisierung. Prozesse zu verschlanken und zu automatisieren, schafft freie Zeitfenster, ist jedoch noch keine Garantie für die Umsetzung jener Aspekte, welche Frithjof Bergmann für essenziell hielt.
Aktuell fehlt es noch an „Vorzeige-Häusern“, welche New Work für sich entdeckt haben und eine Integration des Konzeptes in die hauseigene Philosophie erreichen konnten. Zweifellos bleiben daher viele Fragen offen. Fest steht allerdings, dass sich Bestrebungen, um die Individualität der eigenen Mitarbeiter zu respektieren und deren Potenzialentfaltung zu fördern, sowohl intern als auch extern auszahlen können.
New Work und Employer Branding: Gekommen, um zu bleiben
Wie der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) berichtet, bleibt eine Pflegekraft in deutschen Kliniken oder Altenpflegeeinrichtungen ihrem Arbeitgeber durchschnittlich etwa acht Jahre lang erhalten. Dies weist darauf hin, dass nicht nur fehlender Nachwuchs ein Problemfaktor ist. Auch der Weggang von Personal kann zum Mangel beitragen. New Work liefert Ideen, welche die Attraktivität eines Hauses als Arbeitgeber fördern könnten.
Kliniken und Pflegeeinrichtungen sind heute mehr denn je darauf angewiesen, dass sich Mitarbeiter aus persönlicher Überzeugung für sie entscheiden. Das liegt vor allem daran, dass aufgrund des Fachkräftemangels ein Überhang an freien Stellen besteht und Bewerber zahlreiche Wahlmöglichkeiten haben. Eine solide und attraktive Unternehmensphilosophie aufzubauen, ist deswegen eine bedeutende Aufgabe.
Der New-Work-Ansatz kann als Inspiration dienen. Für Einrichtungen sind dabei Punkte von besonderer Bedeutung, wie
- Familienfreundlichkeit,
- Gender Equality,
- eigenständige Dienstplangestaltung,
- flexible Arbeitszeitmodelle,
- Weiterbildungsmöglichkeiten
- sowie verschlankte Prozesse durch Digitalisierung.
Darüber hinaus ist und bleibt es essenziell, dass sich Kliniken im Gespräch mit ihren Mitarbeitern aktiv um Feedback bemühen und Wünsche sowie Anregungen ernst nehmen. Ein Arbeitsumfeld, welches sich in Zusammenarbeit mit dem Personal wandelt und weiterentwickelt, ist attraktiv und kann einem verfrühten Weggang wichtiger Fachkräfte entgegenwirken.
Entscheidend bei New Work ist in Bezug auf die Vorbeugung von Verlusten auch, Mitarbeiter im Kontext ihrer derzeitigen Lebenssituation bzw. Lebensabschnitte zu betrachten. Wer aufgrund von Familiengründung oder Pflege innerhalb der Verwandtschaft nicht mehr mit den Strukturen des Arbeitgebers zurechtkommt, wird früher oder später gehen. Wer jedoch auf ein flexibles System trifft, in dem sich Arbeitszeiten anpassen lassen und eventuell auch Unterstützungsleistungen angeboten werden, der bleibt.
Auf diese Weise legen Kliniken und Pflegeeinrichtungen den Grundstein für langjährige Beziehungen zwischen Mitarbeiter und Arbeitgeber. Und genau diese Arbeitskräfte sind es auch, die aufgrund ihrer umfassenden Erfahrung die Umsetzung von New Work vorantreiben und zur Weiterentwicklung des Konzeptes beitragen können.
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