
Ein Blind Date für den Job? Anonyme Bewerbungen sollen Chancengleichheit fördern und versprechen eine Effizienzsteigerung im Einstellungsprozess auf Arbeitgeberseite. Wie es mit der Umsetzung aussieht, sowie welche Vor- und Nachteile das „Blind Recruiting“ für Kliniken bietet, behandelt dieser Artikel.
Warum die anonyme Bewerbung in der Klinik einen Test wert ist
Geschlecht, Herkunft, Alter – verschiedene Studien zeigen: Diese persönlichen Merkmale führen häufig zu Voreingenommenheit im Entscheidungsprozess. Und das ist nicht nur für die Bewerberinnen und Bewerber ein Nachteil. Auch Personalentscheider können sich im Einstellungsverfahren besser auf wichtige Anforderungsmerkmale fokussieren, wenn für das Aufgabenprofil irrelevante Merkmale zunächst ausgeblendet werden können.
Geschlecht als Diskriminierungsfaktor
Diskriminierungen finden dabei meist unbewusst statt, haben aber dennoch großen Einfluss auf Bewerberauswahlprozesse. Eine Studie zeigte in diesem Zusammenhang auf, dass Frauen in Führungspositionen von den Versuchsteilnehmern oft mit männlichen Eigenschaften in Verbindung gebracht sowie eher negativ beurteilt wurden.
Einfluss der Bewerberherkunft
Wie sich die ethnische Zugehörigkeit von Bewerbern auf Personalentscheidungen auswirkt, ist in einer Studie der Universität Konstanz untersucht worden. Die Forscher hatten mehr als 1.000 inhaltlich identische Bewerbungen an über 500 deutsche Unternehmen versendet, die sich lediglich in einer Variation des Namens (deutsch vs. türkisch) unterschieden. Bewerber mit deutschen Namen erhielten bis zu 24 Prozent mehr Einladungen für ein Vorstellungsgespräch.
Alter beeinflusst die Bewerberbeurteilung
Auch das Alter kann sich laut einer amerikanischen Studie negativ auf eine Bewerbereinschätzung auswirken. Ältere Jobinteressenten wurden vor allem dann aufgrund ihres Alters diskriminiert, wenn die beurteilende Person jünger war und gleichzeitig jüngere und ältere Bewerber beurteilt werden mussten.
Die Vermeidung unbewusster Diskriminierung und die Umsetzung von Chancengleichheit sind gute Gründe für eine Umstellung auf ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren. Doch wenn persönliche Merkmale in den Bewerbungsunterlagen fehlen – welche Informationen enthalten anonyme Bewerbungen dann eigentlich?
Welche Daten anonyme Bewerbungen enthalten – und welche nicht
Datenschützer und viele Forscher befürworten anonymisierte Bewerbungen, weil sie den Einfluss von Vorurteilen zumindest in der ersten Stufe des Bewerbungsverfahrens verhindern können. Spätestens im Vorstellungsgespräch sitzt man sich schließlich ohnehin persönlich gegenüber. Und da liegt der springende Punkt.
Wenn Bewerberunterlagen etwa nur aufgrund eines nicht-deutschen Namens aussortiert werden und nicht auf Basis von Erfahrung und Qualifikation, entgehen dem Arbeitgeber möglicherweise viele passende Kandidaten, bei denen sich ein „Kennenlernen“ lohnen würde.
Diese Angaben enthalten anonyme Bewerbungen in der Regel nicht:
- Foto
- Name
- Alter und Geburtsdatum
- Geschlecht
- Adresse
- Religion und Herkunft
- Familienstand
Dadurch soll sichergestellt werden, dass das im Mittelpunkt steht, was in den Mittelpunkt gehört: die beruflichen Fähigkeiten und Qualifikationen der Kandidatinnen und Kandidaten. Auch zusätzliche Informationen, wie z.B. Angaben zur Motivation für die Bewerbung sowie Details zu Ausbildung und Berufserfahrung dürfen in einer anonymen Bewerbung enthalten sein.
Vor- und Nachteile anonymisierter Bewerbungsverfahren in der Klinik
Der Fachkräftemangel im Gesundheitssystem „entschärft (…) das Problem der Diskriminierungsverfahren“, versichert Dr. Ulf Rinne vom Institut zur Zukunft der Arbeit. Trotzdem ist „Blind Recruiting“ auch für Kliniken ein lohnender Ansatz.
Die anonymisierte Bewerbung in anderen Ländern
Da bereits ein Bewerbungsfoto ausreichen kann, um Chancengleichheit im Keim zu ersticken, gehört es in vielen Ländern schlicht nicht in eine Bewerbung. In den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Schweden sind Fotos im Lebenslauf ausdrücklich nicht erwünscht. Gleiches gilt für England und Irland.
Auch in den USA, Australien und Kanada wird auf Fotos im C.V. verzichtet. Aufgrund der dortigen Antidiskriminierungsgesetze gehören des Weiteren jegliche Angaben zu persönlichen Daten wie Geschlecht, Religion, Familienstand, Geburtsdatum und ethnische Herkunft nicht in eine Bewerbung.
Der professionelle Werdegang, Berufserfahrung und akademische Qualifikationen rücken somit in den Fokus. Eine Sonderstellung nehmen außerdem Referenzen ein (besonders in den USA). Das können ehemalige Professoren oder Arbeitgeber sein, die ein positives Urteil über den Bewerber abgeben können. Diese Kontaktpersonen werden oft auch tatsächlich angerufen.
Der deutsche Weg: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Oft als Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet, soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eine unvoreingenommene Auswahlentscheidung bei Einstellungsprozessen ermöglichen. Aussehen, Geschlecht und Alter, sowie Staatsangehörigkeit und Religion, aber auch Familienstand und Kinderanzahl dürfen somit keinen Grund für eine Benachteiligung bei der Stellenauswahl darstellen.
Deshalb sind diese persönlichen Angaben aus rechtlicher Sicht ohnehin nicht mehr verpflichtend – anonyme Bewerbung hin oder her. Tatsache ist aber, dass die meisten Bewerber diese Informationen über sich trotzdem freiwillig angeben und viele Arbeitgeber sie letztendlich auch erwarten. Ein weiterer Grund, sich mit anonymisierten Bewerbungsverfahren bewusst als innovativer Arbeitgeber zu positionieren.
Deshalb ist Diversity Management wichtig für Kliniken
Diversity Management zielt darauf ab, durch eine Atmosphäre von Akzeptanz und Toleranz soziale Diskriminierung zu verhindern und Chancengleichheit zu ermöglichen. Gerade im Gesundheitswesen treffen täglich Menschen mit den verschiedensten Hintergründen aufeinander: Patienten, Ärzte und Pflegekräfte symbolisieren schließlich die ganze Vielfalt unserer Gesellschaft.
Und gerade darin liegt das Erfolgspotenzial von Diversität. Verständnis für Patienten und Kollegen aus anderen Kulturen, sowie das Erschließen neuer Ideen, Kompetenzen und Wissensfelder aus unterschiedlichen Kontexten sind gute Gründe, Diversity Management noch stärker in die Agenda einzubinden.
Dieser Meinung sind auch die unterzeichnenden Unternehmen der 2006 gegründeten Initiative Charta der Vielfalt. Aus dem Kliniksektor gehören unter anderem die Kliniken der Stadt Köln zu den Unterzeichnern. Die Vielfalt der Belegschaft zeigt sich dabei ebenso vorteilhaft für Patienten, die sich somit kulturell, religiös oder sprachlich besser verstanden fühlen, als auch für die Klinik selbst: gelebte Diversität macht die Kliniken zu einem attraktiven Arbeitgeber für Bewerber.
Fazit: Anonyme Bewerbung in der Klinik als gelebte Diversity
Unbewusste Vorurteile und Vorbehalte, sowie die Tendenz zur sozialen Homophilie (dem Bevorzugen von Individuen, die uns in Geschlecht, Herkunft, Ethnie und Religion ähnlich sind) können erst entstehen, wenn die dazu nötigen Informationen vorhanden sind.
Eine anonyme Bewerbung lässt dieses Problem gar nicht erst auftreten. Konzentriert sich der Bewerberauswahlprozess zunächst ausschließlich auf fachliche Qualifikationen und Kompetenzen, ist das nicht nur ein klares Statement für Diversität und Chancengleichheit, sondern steigert auch die Arbeitgeberattraktivität bei Bewerbern.