Das Vereinigte Königreich war in den vergangenen Jahren ein gesuchtes Ziel zum Leben und Arbeiten für deutsche Ärzte. 2018 beschritten 59 Mediziner den Weg auf die Insel, im Jahr zuvor waren es ähnlich viele gewesen. Nach der Schweiz und Österreich ist Großbritannien bei Ärzten das beliebteste europäische “Auswandererland” – allerdings mit deutlichem Abstand. Wie lebt und arbeitet es sich als Arzt in Großbritannien? Wir bieten Antworten.
Ärztebedarf in Großbritannien
In Großbritannien kommen im Schnitt auf 1.000 Einwohner 3,6 Ärzte, in Deutschland sind es 4,6. Bei Allgemeinmedizinern liegt die Versorgung um rund ein Drittel unter dem deutschen Niveau.
Bereits heute ist der Anteil ausländischer Ärzte im britischen Gesundheitswesen hoch. Jeder neunte Allgemeinarzt kommt aus dem EU-Raum – absolut gesehen rund 12.000. In einigen Facharztbereichen ist der Ausländeranteil noch deutlich höher.
Es herrscht Ärztemangel – dabei gibt es ähnliche Phänomene wie in Deutschland: Stadt-Land-Gefälle, Überalterung der Ärzteschaft, zu wenig einheimischer Nachwuchs. Ein starker Bedarf an ausländischen Ärzten ist auf jeden Fall da. Allerdings führt das Brexit-Chaos (s.u.) zu Unsicherheiten wegen der künftigen Arbeits- und Zugangsbedingungen.
Arztgehalt in Großbritannien
In einer internationalen Vergleichsuntersuchung der WP-Gesellschaft KPMG und des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) bewegen sich die Gehälter von britischen Klinikärzten in leitender Funktion in einer Bandbreite von 100.000 Euro bis über 200.000 Euro p.a. – und damit 20 Prozent bis 40 Prozent über dem deutschen Level.
Die Einstiegsgehälter sind dafür rund 10.000 Euro bis 16.000 Euro niedriger. Als niedergelassener Arzt kommt es wesentlich darauf an, wie gut die Praxis läuft. Das ist nicht anders als in Deutschland. Die Verdienstmöglichkeiten sind hier im Vergleich nicht schlechter, aber auch nicht signifikant besser.
Land | Durchschnittssgehalt als Einsteiger – Von | Durchschnittssgehalt als Einsteiger – Bis | Durchschnittsgehalt in leitender Funktion – Von | Durchschnittsgehalt in leitender Funktion – Bis |
---|---|---|---|---|
Großbritannien | 30.000 Euro | 46.000 Euro | 100.000 Euro | 200.000 Euro |
Deutschland | 46.000 Euro | 57.000 Euro | 80.000 Euro | 124.000 Euro |
Arbeitsbedingungen Großbritannien
Der britische National Health Service funktioniert anders als das deutsche gesetzliche Kassensystem und gilt im Vergleich zu unserem Gesundheitswesen als schlechter ausgestattet. Die Zuständigkeiten für Hausarzt-, Facharzt- und Krankenhausbehandlung sind in Großbritannien klarer abgegrenzt als bei uns.
Im Unterschied zu Deutschland findet man Fachärzte nur in Krankenhäusern. Die Klinik-Hierarchien sind im Vereinigten Königreich weniger ausgeprägt, einen “Chefarzt” kennt man dort nicht. Flachere Hierarchien, ausgeprägte Kollegialität und Teamgeist bestimmen die Zusammenarbeit. Auch werden meist gute Fortbildungsmöglichkeiten geboten. Die Arbeitszeiten werden strikter eingehalten und sind tendenziell kürzer als bei uns angelegt – insgesamt also keine schlechten Arbeitsbedingungen.
Ärzte in Großbritannien und Brexit
Am 23. Juni 2016 hat sich eine knappe Mehrheit der Briten für das Ausscheiden ihres Landes aus der EU ausgesprochen. Drei Jahre danach ist unklar, wie der Austritt sich letztlich gestalten wird, obwohl die auf den 31. Oktober 2019 verschobene Deadline sehr nahegerückt ist. Ein “harter Brexit” (ohne Abkommen) ist nicht unwahrscheinlich. Dies würde für deutsche Ärzte in Großbritannien eine Phase erheblicher Rechtsunsicherheit hinsichtlich ihres Status bedeuten. Wer schon als Arzt in Großbritannien ist, kann wohl auf “Bestandsschutz” und Rechtskontinuität hoffen. Künftig dürfte aber ein Wechsel ins Vereinigte Königreich aufwändiger und hürdenreicher werden als in der EU-Vergangenheit.
Lebensqualität Großbritannien
Nach dem sogenannten OECD-Better Life-Index verfügt Großbritannien über eine recht gute Lebensqualität, die über dem OECD-Schnitt liegt. Der Lebensstandard ist vergleichbar wie in Deutschland. In dieser Hinsicht muss man als Arzt nichts missen.
Anders als bei uns sind die sozialen Unterschiede aber größer, was sich auch in den Einkommensstrukturen ausdrückt. Ärzte gehören in der Regel zu den Bessergestellten, was positiv für die persönliche Lebensqualität ist. Wohnbedingungen sind in Großbritannien tendenziell ungünstiger. Der Großraum London gilt als sündhaft teuer.
Work-Life-Balance gelingt auf der Insel vergleichsweise schlecht – es kommt aber stets auf die persönlichen Gegebenheiten an.
Fazit
Wäre da nicht die Sache mit dem Brexit, bliebe Großbritannien sicher weiterhin bei deutschen Ärzten begehrt. Solange keine Klarheit diesbezüglich herrscht, bedeutet ein Gang auf die Insel ein Wagnis und eine Rechnung mit vielen Unbekannten.