
Fibromyalgie bedeutet übersetzt Faser-Muskel-Schmerz und beschreibt einen Zustand, in dem es zu großflächigen Schmerzen im Bereich der Muskulatur und der Sehnen kommt. Sie ist eine Erkrankung, die zwei bis vier Prozent der Bevölkerung betrifft, die meisten davon sind Frauen im Alter von 30 bis 50 Jahren. Es gibt sie in vielen unterschiedlichen Ausprägungen, von leichten Fällen bis zu schweren Erkrankungen. Typisch für die Fibromyalgie sind dauerhafte Muskelschmerzen, die die Lebensqualität und Bewegungsfreiheit der Betroffenen deutlich einschränkt. Wie sie entsteht, was mögliche Ursachen sind und wie diese Erkrankung behandelt wird – darüber wird im folgenden Artikel aufgeklärt.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Fibromyalgie?
Fibromyalgie ist ein chronisches Schmerzsyndrom, eine maximale Empfindlichkeit, bei der die Patienten über anhaltende Schmerzen in der Muskulatur, den Sehnen und Sehnenansätzen klagen. Das Weichteilgewebe tut weh, man ist sehr schmerzgeplagt und empfindet einen Ganzkörperschmerz. Dabei ist die Krankheit nicht einfach zu diagnostizieren. Denn es liegt für den Schmerz keine Gewebeschädigung, keine Entzündung oder Verletzungen vor. Dennoch meldet das Nervensystem einen Schmerz an das Gehirn. Die Fibromyalgie ist daher eine Schmerzempfindungsstörung. Grund dafür ist eine sehr niedrige Reizschwelle.
Diese abgeschwächte Reizschwelle hat dem Menschen in früherer Zeit gute Dienste geleistet. In Situationen, in denen man sich bedroht fühlt, nimmt man alle Signale viel deutlicher wahr und ist aufmerksamer. Im Fall der Fibromyalgie ist es aber so, dass bei bestimmten Stresssituationen, wie traumatischen Kindheitserlebnissen, die zu möglicherweise chronischen Stressbelastungen führen, eine Störung im Umgang mit diesen Situationen auftritt. Dadurch kommt es zu einer vermehrten Schmerzwahrnehmung im Gehirn, die dadurch entsteht, dass das gesamte System durch Situationen von Dauerstress sensibilisiert ist.
Primäre und sekundäre Fibromyalgie
Dabei unterscheidet man zwischen der primären und der sekundären Fibromyalgie. Die primäre Fibromyalgie ist ein schleichender Prozess, bei dem es keine Vorschädigungen des Bewegungsapparates gibt. Die sekundäre Fibromyalgie hingegen, die sogenannte Zweitkrankheit, kann aus einer rheumatischen und entzündlichen Vorerkrankung entstehen. Auch Störungen der Schilddrüsenhormonproduktion und Infektionen, wie Borreliose, führen zur Fibromyalgie-Entwicklung.
Schweregrade
Man unterteilt die Fibromyalgie in folgende drei Schweregrade:
- Leichte Fibromyalgie: Kaum Beeinträchtigungen in den Alltagsfunktionen, neben den Hauptsymptomen treten keine anderweitigen Begleiterscheinungen auf.
- Mittlere Fibromyalgie: Die Kernsymptome werden von weiteren seelischen und körperlichen Beschwerden begleitet (leichte Depression, Reizmagen), die zu einer geringen Alltagsbeeinträchtigung führen.
- Schwere Fibromyalgie: Die Kernsymptome gehen mit schwerwiegenden und ausgeprägten Begleiterscheinungen einher (Angststörung, schwere Depression, starke somatische Beschwerden), sodass es zu erheblichen Einschränkungen im Alltag kommt.
Fibromyalgie – Symptome
Die Fibromyalgie ist eine Erkrankung, die aus vielen verschiedenen Symptomen besteht. Die Fülle an Informationen, die Betroffenen ungefiltert in den Kopf gelangen, führen dazu, dass sie vergesslicher und unkonzentrierter werden. Doch, damit nicht genug – der Körper stellt sich auf diesen Dauerstress ein. Man ist in einem anhaltenden Kampf- oder Fluchtmodus, der Blutdruck geht hoch, Puls und Atmung werden schneller und der Magen-Darmtrakt geht in sein Notfallprogramm. So kommt es dann auch zu dieser Vielfalt an Symptomen, die sich bei der Fibromyalgie zeigt und das Leben der Erkrankten sehr erschwert.
Schmerzen
Die Schmerzen sind das vorherrschende Symptom der Fibromyalgie. Es handelt sich dabei um ziehende, stechende Schmerzen – es besteht eine hochgradige Empfindlichkeit der Muskeln, Sehnen und Sehnenansätze. Betroffene können oft gar nicht genau benennen, was ihnen wehtut, wo der Schmerz stattfindet, wie er sich anfühlt, denn er befindet sich am ganzen Körper. Dieser chronische Schmerz ist ständig vorhanden. Deutlich schlimmer werden die Schmerzen nach Kälte, Feuchtigkeit, körperlicher Belastung, Stress und einer anstrengenden Nacht mit wenig oder unruhigem Schlaf.
Müdigkeit und Schlafstörungen
Viele Betroffene leiden unter starken Schlafstörungen. Es gelingt ihnen vielleicht noch, vor lauter Erschöpfung, gut einzuschlafen, doch wachen sie relativ schnell wieder auf. Der gesamte Schlafzyklus und -prozess ist in dem Maße verändert, dass der normale Wechsel von Tiefschlaf- und Traumphasen nicht erlebt wird, sondern der Schlaf insgesamt sehr unruhig und wenig erholsam ist. Dadurch ist man morgens geschwächt und müde – nicht die beste Voraussetzung für einen aktiven Tag. Außerdem steigert Müdigkeit die Schmerzempfindung.
Psychische Symptome
Betroffene fühlen sich dünnhäutiger, abgeschlagen, depressiv, spüren eine innere Unruhe und sind andauernd erschöpft. Die Schmerzen stellen eine große Belastung dar, sie fühlen sich häufig kraft- und antriebslos. Es ist psychisch nicht leicht zu ertragen, der Umgebung immer wieder erklären zu müssen, warum Schmerzen und Probleme da sind. Oft fühlen sie sich in ihrem Leid nicht ernst genommen. Das führt zu einer zusätzlichen Frustration. Besonders eine grundlegende Müdigkeit und anhaltende Erschöpfung anderen verständlich zu machen ist oft schwierig. Der Schmerz ist von außen nicht lokalisierbar, daher diagnostizieren viele Ärzte die Patienten als gesund. Betroffene leben eine lange Zeit mit einem enormen Leidensdruck.
Somatische Symptome und Reizempfindlichkeit
Fibromyalgie-Patienten reagieren empfindlicher auf Lärm, Licht, Gerüche, aber auch auf Geschmack und besonders auf Kälte. Diese Empfindlichkeiten können sich in körperlichen Symptomen, wie Reizmagen, Reizdarm, Reizhusten zeigen. Diese gehen aber nicht mit Entzündungen oder sonstigen Veränderungen in den Organen einher – es sind funktionelle Symptome. Das Organ ist an sich gesund, aber die Funktion gestört. Hinzu kann eine Störung des Wärmehaushalts und der Wärmeregulation kommen. Den Betroffenen ist schnell kalt, dann wieder schnell zu warm. Eine erhöhte Schweißneigung, Herzklopfen und Probleme beim tiefen Durchatmen können als weitere Symptome auftreten. Beschwerden, die einzeln betrachtet, keine schweren Beeinträchtigungen darstellen, aber in der Summe zu einer enormen Einschränkung der Lebensqualität führen.
Fibromyalgie – Ursachen und Risikofaktoren
Die Fibromyalgie weist mehrere Ursachen auf, die bei jedem Patienten individuell ausgeprägter sind und zu einer niedrigeren Schmerzgrenze führen. Der Schmerz wird daher intensiver wahrgenommen. Äußere Lebensbedingungen, Vorerkrankungen, Stress im Alltag, genetische Veranlagungen, traumatische Erlebnisse und die Psyche spielen dabei eine wichtige Rolle.
Gestörte Schmerzverarbeitung
Jeder Körper trägt Millionen Sensoren in sich, wie Druck-, Kälte-, Wärme-, Berührungs- und Vibrationssensoren sowie zahlreiche Sensoren in den Muskeln, Gelenken und Sinnesorganen, die bei Erregung Informationen abgeben. Oft spürt man diese gar nicht, da sie gefiltert werden und nicht bis in das Gehirn gelangen. Das trägt dazu bei, dass man einen klaren Kopf bewahren kann. Wenn nun aber auffällige Schmerzen und andere Faktoren wie Unsicherheiten hinzukommen, dann lässt der Körper mehr Informationen in unser Gehirn durch, sodass der Schmerz auch deutlich wahrgenommen wird. Das führt dazu, dass schon der kleinste Stress eine Schmerzempfindung auslöst. Es kann auch sein, dass sich das Schmerzgedächtnis einen Schmerz, der in der Vergangenheit mal erlebt worden ist, gemerkt hat und dieser wird nun weitergehend signalisiert.
Schmerzen des Bewegungsapparates
Viele Patienten haben in der Vorgeschichte chronische Schmerzen des Bewegungssystems erlebt, z.B. einen Bandscheibenvorfall oder Schleudertrauma, die sich dann weiter entwickeln und schließlich zu einer Fibromyalgie werden. Die Erkenntnisse der Schmerzforschung gehen davon aus, dass sich eine Fibromyalgie entwickelt, wenn sich der traumatische Schmerz verselbstständigt und nicht mehr lokal, sondern am ganzen Körper verspürt wird. Das ist ein chronischer schmerzhafter Input.
Umweltfaktoren und Gene
Genetische Faktoren spielen auch eine wichtige Ursache bei der Fibromyalgie. Das Zusammenspiel von Stress, den erlernten Strategien zur Stressbewältigung und der genetischen Prädisposition ruft eine Reaktion hervor, die mit hormonellen, zentralnervösen und psychosozialen Veränderungen einhergeht und somit zu einer Störung der zentralnervösen Schmerzverarbeitung führt. Das veränderte Schmerzerleben fungiert nun als zusätzlicher Stressfaktor.
Bakterien und Viren
Bakterien und Viren sind ebenso Faktoren, die eine Fibromyalgie bestärken und auch hervorrufen können. 10 bis 25 Prozent der Borreliose-Patienten entwickeln innerhalb weniger Jahre, trotz erfolgreicher Antibiotika-Behandlung, eine Fibromyalgie.
Immunsystem
Das Immunsystem spielt bei der Entstehung und Entwicklung der Erkrankung keine unwichtige Rolle. Bei vielen Betroffenen finden sich erhöhte Konzentrationen verschiedener Antikörper, die bei gesunden Menschen eher selten beobachtet werden. Darunter sind solche gegen Serotonin und Phosphorlipide, die für die Schmerzunterdrückung wichtig sind, sie blockieren die Schmerzweiterleitung. Diese Hormone sind bei Fibromyalgie-Patienten erniedrigt. Somit kommt ein Schmerzreiz schneller an.
Psyche, Stress und Traumata
Der Blick in die Biografie des jeweiligen Patienten gibt sehr oft wichtige Indizien. Viele führten oder führen ein Leben in Stress, haben ausgeprägte Schmerzerfahrungen gemacht, die das Körper- und Nervensystem nicht verarbeitet hat. Betroffene sind mit Gewalt in Kontakt gekommen, haben sexuellen Missbrauch und traumatische Kindheitserlebnisse erlitten, Unfälle oder längere Krankenhausaufenthalte durchlebt. Daher gibt es viele unterschiedliche Gründe, warum Menschen Stresserlebnisse erlebt haben, die nicht verarbeitet werden können. Dann kommen, im Laufe des Lebens, viele belastende Situationen hinzu, mit denen man mit diesem Wohlfühlsystem nicht gut umgehen kann, weil es nie richtig gelernt wurde. So ist man diesem Schmerz andauernd hilflos ausgesetzt.
Traumata sind so tief im System abgespeichert. Die Erinnerungen daran treten bei jeder ähnlichen Situation wieder in Kraft und werden über das gesamte Nervensystem ausgeschüttet, sodass Schmerz entsteht.
Stress löst zusätzlich Verspannungen aus, die wiederum zu mehr Schmerzen führen. Patienten fühlen sich oft in ihrem Schmerzbild nicht verstanden, nicht wahrgenommen und stellen sich ständig die Frage, was mit ihnen los ist. Das ist eine zusätzliche Belastung für den Körper und das Nervensystem. Das Gehirn wird zunehmend vorsichtiger – es nimmt an, dass es besser sei, mehr Informationen zum Gehirn durchzulassen, als eine zu wenig. So gerät das System in einen Teufelskreis, denn mehr Informationen führen auch zu mehr Schmerz und Misstrauen. Der anfänglich lokale Schmerz weitet sich dann schnell aus. Während es zu Beginn zu gelegentlichem Schmerz kommt, wird dieser im Verlauf immer häufiger, bis er dann ständig vorhanden ist.
Ungesunder Lebensstil
Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung bewirken, dass die Symptome der Fibromyalgie verstärkt werden und es zu Problemen im Magen-Darm-Trakt kommt. Durch die Begleiterscheinungen, wie Müdigkeit und Erschöpfung, greift man verstärkt zu Kaffee, Schokolade und Fast Food. Wer sich besonders viel von Fertigprodukten und sauren, entzündungsfördernden Lebensmitteln wie Kaffee, Fleisch und Wurst ernährt, hat häufig mit Übelkeit, Sodbrennen, Verstopfungen, Blähungen, Durchfall und, in der Folge dessen, mit einem Reizmagen und Reizdarm zu kämpfen. Die Übersäuerung des Körpers steht in einem wichtigen Zusammenhang mit Gelenkschmerzen.
Durch einen ungesunden Lebensstil wird das Hormon Serotonin gehemmt, das besonders im Magen-Darm-Bereich gebildet wird und arbeitet. Dort finden sich auch weitere Rezeptoren, die an diesen Botenstoff andocken. Ist also die Verdauung gestört, hat das Auswirkungen auf den Serotoninhaushalt und ein Mangel führt zu bestimmten Problemen, wie depressiven Verstimmungen.
Fibromyalgie – Krankheitsverlauf und Prognose
Viele Patienten haben schon einen langen Weg hinter sich, bevor die Diagnose gestellt wird. Sie versuchen es einige Zeit mit einer erhöhten Medikamenteneinnahme, um die Schmerzen zu lindern, suchen eine Reihe unterschiedlicher Ärzte auf und entwickeln Vermeidungsstrategien in verschiedenen Lebensbereichen. Das alles führt zu einer generalisierten Störung der Schmerzverarbeitung.
Es gibt unterschiedliche Voraussetzungen und individuelle Zusatzerkrankungen – man kann Fibromyalgie-Patienten nicht miteinander vergleichen. Das ist, zum Teil, auch das Problem in der Schulmedizin, da man vergleichbare Fälle benötigt. Das ist bei der Fibromyalgie nicht möglich, da niemand das gleiche Schicksal und die gleiche Geschichte hat – es geht also sehr viel um die eigene individuelle Biografie, die den Krankheitsverlauf prägt und bestimmt. Ein langanhaltender Schmerz, der schon seit vielen Jahrzehnten besteht und oft auch sehr früh begonnen hat, ist nicht nach einigen Therapie-Wochen verschwunden. Diese Behandlung zieht sich über einen langen Zeitraum, in dem das Wohlfühlsystem wieder gestärkt wird.
Die Krankheitsverläufe sind sehr unterschiedlich. Es gibt Patienten, die sehr lange beschwerdefreie Intervalle haben, und jene, die ständig unter Schmerzen leiden. Mithilfe eines guten Therapiekonzeptes, das viele Lebensbereiche miteinbezieht, kann eine deutliche Beschwerdebesserung erreicht werden. Man sollte sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen, sondern sie als Training verstehen. So lernen und entwickeln Patienten bessere Kompetenzen, um mit den Beschwerden umzugehen.
Betroffene haben am Anfang große Sorge, dass sie sich irgendwann nicht mehr bewegen können. Diese Gefahr ist nicht gegeben. Das Schwierige ist eher, dass es durch die chronischen Schmerzen zu einem Vermeidungsverhalten kommt – viele versuchen sich zu schonen, gehen möglichst wenig hinaus, bewegen sich immer weniger, weil jede Bewegung und Berührung Schmerzen auslöst. Durch diese Schonung kommt es zum Muskelabbau und verminderter Beweglichkeit oder Knochenbrüchigkeit. Aber das Gute ist: Durch eine gute Therapie können diese Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden, die Funktionen können also wieder hergestellt werden und es kommt zu keinen langfristigen Schäden.
Ist Fibromyalgie heilbar?
Die Fibromyalgie ist bisher nur symptomatisch behandelbar, nicht gänzlich heilbar. Das eigene Körper- und Nervensystem bleibt misstrauisch und der Schmerz weiterhin vorhanden – schließlich geht es um die Wahrnehmung von potentiellen Gefahren. Wenn man nun also erneut in eine schwierige Situation kommt, in der man Schmerzen, wenig geschlafen und viel Stress hat, dann springt dieses System mit der Empfindlichkeit wieder zurück, lässt mehr Informationen durch und es treten Schmerzen auf. Dennoch kann man erlernen, wie man aus diesem Teufelskreis herauskommt – wie man das eigene System wieder erneut davon überzeugen kann, dass alles gut zu verkraften ist. Je häufiger man das schafft, desto mehr und einfacher lässt es sich mit dieser Diagnose leben.
Fibromyalgie – Untersuchungen und Diagnose
Da die Fibromyalgie eine so komplexe Erkrankung ist, untersucht man sie auch in einem holistischen Ansatz und betrachtet sie ganzheitlich. So werden verschiedene Faktoren reflektiert, die zu einer Diagnose führen. Dabei vergeht häufig sehr viel Zeit, bis die Erkrankung als Fibromylagie festgestellt ist.
Welcher Facharzt ist zuständig?
Der ärztliche Ansprechpartner ist der Allgemeinmediziner bzw. Hausarzt, aber auch Rheumatologen, Internisten und Orthopäden sind mit dem Krankheitsbild gut vertraut. Zusätzlich können Physio- und Ergotherapeuten sowie Psychologen bei der Bewältigung hinzugezogen werden. Es ist ratsam, dass zwischen Haus- und Fachärzten ein regelmäßiger Austausch stattfindet.
Patienten werden oft bei vielen verschiedenen Ärzten vorstellig, bis sie einen finden, der Fibromyalgie diagnostiziert. Jeder Spezialist konzentriert sich meist auf sein eigenes Fachgebiet und kümmert sich beispielsweise nur um den Reizmagen oder die Schlafstörung. Das Krankheitsbild als Ganzes wird oft nicht wahrgenommen, weil in den meisten Fällen nur wenig Zeit für Gespräche mit Patienten vorhanden ist.
Die klassischen Methoden, um Erkrankungen nachzuweisen, wie Röntgen oder Blutuntersuchungen, zeigen bei der Fibromyalgie keine auffälligen Befunde. Dadurch machen die Patienten häufig die Erfahrung, dass ihnen mitgeteilt wird, dass alles in Ordnung sei, obwohl es das eben nicht ist. Wichtig ist, dass man auf einen Arzt trifft, der diese Erkrankung kennt und sich ausreichend Zeit für das Untersuchungsgespräch nimmt.
Anamnese und körperliche Untersuchung
Im Erstgespräch sollte der Patient seine ganze Krankengeschichte und Vorerkrankung mitteilen. Der Arzt wird nach möglichen psychosozialen Belastungen, Schlafstörungen, chronischen Erkrankungen und Schmerzen, der mentalen und seelischen Verfassung, Konzentrationsschwierigkeiten und Reizempfindlichkeiten fragen. Für die ausführliche Erfassung aller Schmerzorte wird eine Schmerzskizze angefertigt, die die beeinträchtigenden Funktionen darstellt. Hier wird jeder Alltagsbereich mit einbezogen – Familie, Beruf, Sexualität, Freizeit. Außerdem wird geklärt, ob und welche Medikamente eingenommen werden, da eventuelle Nebenwirkungen Gelenk- und Gliederschmerzen verursachen. Daraufhin folgt eine vollständige Untersuchung des Bewegungsapparates, der inneren Organe und des Nervensystems.
Trigger Punkte / Tender Points
Diese schmerzhaften Druckpunkte haben eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit und stören aktiv das Nervensystem. Sie sind dort, wo Nervenenden auf die Muskeln treffen und für Verspannung sorgen. Wenn 11 dieser 18 Punkte über einen Zeitraum von drei Monaten schmerzhaft reagieren, liegt ein Fibromyalgie-Syndrom nahe. Folgende definierte Punkte werden abgetastet und untersucht:
- Ansatz der Nackenmuskulatur am Schädel
- Untere Halswirbelsäule seitlich auf beiden Seiten
- beidseitige Schultermuskulatur
- Kiefergelenk und Kaumuskelansatz
- Knorpel-Knochengrenze der vorderen zweiten Rippe
- Lange Biceps-Sehne am Oberarm
- Strecksehnenansatz und Epicondylus radialis des Unterarms
- Streck- und Abspreizsehnen am Daumen
- Großer Rollhügel des Oberschenkels
- Sehnenplatte der Kniescheibe
- Paravertebrale Muskulatur der Lendenwirbelsäule
- Sehnenplatte am hinteren Beckenrand
- Umgebung der Darmbein-Kreuzbeingelenke
- Laboruntersuchungen
Folgende Laboruntersuchungen können durchgeführt werden:
- kleines Blutbild – gibt Hinweise auf Entzündungen
- Kreatininkinase zur Feststellung möglicher Muskelerkrankungen
- TSH – Thyreoidea-stimulierendes Hormon zur Untersuchung einer möglichen Störung der Schilddrüsenfunktion
- Vitamin D-Spiegel
- Schmerztagebuch
Das Führen eines Schmerztagebuchs verhilft zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Schmerz und ist sowohl für den Patienten als auch den Arzt sehr hilfreich. Mithilfe einer Schmerzskala kann der Schmerz gut eingeschätzt werden und genauere Hinweise darauf geben, wie eine erfolgreiche Therapie aussehen kann. Durch das tägliche Aufzeichnen über den Schmerzverlauf gewinnt der Patient Klarheit darüber, welche bestimmten Aktivitäten, Unternehmungen und Erlebnisse ein größeres Schmerzempfinden auslösen. So kann langfristig die richtige Dosierung zwischen Bewegung, Aktivität, Pausen und Entspannung gefunden werden, um eine Selbstkontrolle in der Schmerztherapie zu erlangen.
Selbsttest
Sollte sich keine andere Schmerzursache finden lassen, keine Veränderungen im Blut, beim Röntgen oder anderen bildgebenden Verfahren, keine neurologische Erkrankung vorliegen und der Arzt keine Erklärung für die Schmerzen findet, dann liegt häufig ein Fibromyalgie-Syndrom sehr nahe. Sollten die Schmerzen länger als drei Monate anhalten, eine andauernde Erschöpfung und Müdigkeit vorherrschen und Begleitbeschwerden entstanden sein, sind das deutliche Hinweise darauf, dass eine entsprechende Erkrankung vorliegt.
Differentialdiagnose
Ganz wichtig ist die Abgrenzung von anderen Erkrankungen, die ähnlich sein können, wie Rheuma, Gelenkerkrankungen, wie Arthrose oder durch einen Unfall sowie Infektionskrankheiten. Diese haben oftmals ähnliche Symptome wie die Fibromylagie, darauf sollte man achten.
Fibromyalgie – Therapie
Bei der Behandlung der Fibromyalgie besteht die Besonderheit, dass es nicht die eine Lösung gibt, die für alle Patienten gilt. Hier setzt man auf eine multimodale, ganzheitliche Therapie, die aus vielen verschiedenen Säulen besteht und individuell ist. Die Kombination aus mehreren Behandlungsmethoden erweist sich häufig wirkungsvoller als die Anwendung einzelner Methoden. Die Basis der Behandlung besteht in einer Umstellung der eigenen Lebensgewohnheiten. Die Verantwortung für die Krankheit und die Behandlung sollte der Patient daher aktiv in die eigene Hand nehmen.
Physikalische Therapie
Wenn jemand sehr schmerzempfindlich und die Krankheit ausgeprägt ist, beginnt die Therapie mit sanften Methoden. Mithilfe von Aroma-Öl- oder Hot Stone-Massagen wird der Patient langsam an wohltuende Berührungen gewöhnt und die erhöhte Schmerzempfindlichkeit reduziert und umgewandelt. Auch Ganzkörperwärmetherapien und Thermalbäder sind ein schonender Einstieg.
Daraufhin folgt eine begleitende Krankengymnastik mit einer gezielten Schmerztherapie und Anti-Schmerzübungen. Der Körper wird dahin trainiert, dass er positive Erfahrungen mit Bewegungen und Berührungen verbindet, sich an diese regelmäßig erinnert und langfristig abspeichert.
Sport
Die körperliche Bewegung ist sehr wichtig, denn dadurch wird der Kreislauf des Schonens unterbrochen. Das Paradoxe ist nämlich: Je mehr man sich schont, desto stärker wird die Schmerzempfindlichkeit. Aus diesem Teufelskreis kommt man dann von alleine nicht mehr so leicht heraus und jede Aktivität stellt zunehmend eine Herausforderung dar. Ein sanftes Ausdauertraining wie Fahrradfahren, Schwimmen, Gehen, Wassergymnastik, Nordic Walking ist ratsam, bei dem man den schmalen Grad zwischen Über- und Unterforderung anpeilt. Man soll einen Trainingseffekt erzielen, aber sich nicht körperlich überfordern, damit man nicht sofort wieder in die Schmerzsituation zurückrutscht. Die regelmäßige Bewegung und Bewegungstherapie verhilft dazu, dass der Körper nicht an Muskeln abbaut und stark bleibt. Es gilt also: Trotz der Fibromyalgie sollten die Patienten aktiv sein und nicht den Mut verlieren.
Sport und Bewegung sind außerdem so wichtig bei der Fibromyalgie-Behandlung, da es zur Freisetzung von Neurotransmittern wie Serotonin kommt, dem sogenannten Glückshormon. Sie blockieren oder unterdrücken die Schmerzwahrnehmung und -weiterleitung.
Stressabbau und Entspannung
Stress spielt bei der Fibromyalgie eine sehr große Rolle. Verfahren wie achtsamkeitsbasierte Stressreduktion können bei der Bewältigung der Symptome helfen. Da die Erkrankung durch einen erhöhten Stresspegel hervorgerufen wird, ist ein regelmäßiges Entspannungsverfahren sehr wichtig. Geeignet hierfür sind Tai Chi, Chi Gong, Yoga, Muskelentspannungen oder autogenes Training.
Psycho- und Traumatherapie
Traumata und schmerzhafte Erlebnisse stecken tief im System und müssen bei der erfolgreichen Behandlung der Fibromyalgie betrachtet werden. In Einzel- oder Gruppentherapie erlernen Patienten Entspannungstechniken, um besser mit dem Schmerz umzugehen, besonders um psychische Probleme aufzuarbeiten. Das Ziel ist es, ungesunde und störende Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu erkennen, die in einem besonderen Maße mit den Beschwerden zusammenhängen. Durch die Mindset-Arbeit und den Aufbau positiver Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster können Schmerzen transformiert und nachhaltig gelindert werden. Patienten erlernen die gesunde Einteilung ihrer Kräfte, positive Gefühle durch Wohlbefinden und Genuss zu stärken und ein angenehmes Selbstbild zu entwickeln.
Hypnosetherapien und geführte Traumreisen werden außerdem eingesetzt, um das Wohlbefinden zu stärken und die körperliche Symptomatik anders wahrzunehmen.
Medikamentöse Therapie
Da die Fibromyalgie nichts mit Entzündungen zu tun hat, sind die gängigen, entzündungshemmenden Schmerzmittel wie Ibuprofen und Aspirin mit dem Acetylsalicylsäure relativ unwirksam. Auch Muskelrelaxantien – Medikamente, die dafür sorgen, dass Verspannungen zurückgehen – sind nicht sinnvoll, da die Fibromyalgie nicht durch Verspannungen ausgelöst wird und diese nicht die Ursache sind.
Es gibt drei Medikamentengruppen, die bei einer Fibromyalgie hilfreich sind – doch es sei erwähnt, dass Medikamente höchstens ein Baustein in einer Therapie sein können und nicht als alleinige Behandlungsmethode einsetzbar sind.
Antidepressiva
Diese Medikamente wirken im Zusammenspiel mit Neurotransmittern im zentralen Nervensystem. Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin hemmen die Schmerzweiterleitung und heben die Stimmung. Außerdem fördern sie einen gesunden Schlaf – das Arzneimittel sollte hierfür am besten 1 bis 2 Stunden vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Um eine mögliche Übelkeit zu reduzieren, sollte das Medikament mit ausreichend Flüssigkeit und während einer Mahlzeit eingenommen werden.
Antiemetika
Diese weitere Medikamentengruppe hat vordergründig nichts mit Schmerztherapie zu tun und wird häufig bei Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Es gibt ganz bestimmte Medikamente, die an den Serotonin-Rezeptor andocken, diesen blockieren – das bedeutet, dass mehr Serotonin im Blut vorhanden ist, das auch vermehrt an andere Körperstellen geht. Dies bewirkt eine Schmerzhemmung und eine verstärkte Schmerzblockierung.
Antiepileptika
Diese Arzneimittel verwendet man normalerweise zur Behandlung einer Epilepsie, doch sie reduzieren die Erregbarkeit von Nervenzellen. Das lindert Schmerzen, da die Neuronen nicht so stark im Gehirn arbeiten, den Schmerz also nicht so intensiv aufnehmen und am Prozess beteiligt sind.
Schlaf
Es ist wichtig, dass man eine wohltuende und gesunde Schlafhygiene betreibt. Kurz vor dem Schlafengehen sollte beispielsweise keine Bildschirmarbeit mehr durchgeführt oder lange ferngesehen werden. Stattdessen sollten sanfte Rituale eingeführt werden, die einem beim Einschlafen helfen. Da kann auch ein Medikament zum Einsatz kommen, um das Einschlafen zu unterstützen, wie eine leichte Dosierung eines Antidepressiva. Das ist zudem auch hilfreich, weil es die Schmerzweiterleitung unterdrückt. Präparate aus Baldrian, Hopfen und Melisse sind außerdem wirksam.
Selbsthilfegruppen
Diese können beim Informationsaustausch unter Gleichgesinnten helfen. Man bekommt Unterstützung, es werden Erfahrungen und Tipps weitergegeben und man hört ähnliche Geschichten anderer Betroffener. Das stimmt positiver.
Akupunktur
Bei der Akupunktur werden in mehreren therapeutischen Sitzungen, nach den Regeln der chinesischen Medizin, Nadeln in verschiedene, ausgewählte Akupunkturpunkte des Körpers gestochen. Dieses Verfahren lindert nachweislich Schmerzen und bessert das individuelle Wohlempfinden der Patienten.
Verfahren aus der Naturheilkunde, der chinesischen Medizin, Homöopathie und Ayurveda können kombiniert und unterstützend eingesetzt werden.
Fibromyalgie – Ernährung
Eine gesunde Ernährung, reich an Gemüse, Früchten, Fisch, Nüssen, Samen und Vollkornprodukten wirkt sich sehr positiv auf den Verlauf und die Symptomatik aus. Besonders magenberuhigende und darmstärkende Lebensmittel wie Naturjoghurt sind ratsam und sollten in den Speiseplan integriert werden. Es empfiehlt sich auch, den Verbrauch von Getreide, Zucker und Kaffee zu reduzieren.
Schmerzen werden durch eine saure und entzündungsfördernde Ernährung mit viel Fleisch und Wurst verstärkt. Daher ist es sehr wichtig, diesen Konsum zu verringern
Hilfreich ist auch therapeutisches Fasten oder Heilfasten. Beim Heilfasten wird der Selbstreinigungsprozess der Zellen angekurbelt, Schmerzen werden verringert und der Körper kann sich wieder regenerieren. Diese Therapie beginnt mit einem Entlastungstag, darauf folgt die Darmreinigung und für einige Tage der Verzicht. Bevor man jedoch eine Fastenkur beginnt, sollte man Rücksprache mit dem behandelnden Arzt halten, der den Patienten entsprechend berät.
Übrigens: Magnesium beruhigt die Muskulatur und kann auch beim Einschlafen helfen. Demnach können täglich 150 bis 300 mg Magnesium über einen Zeitraum von 4 bis 6 Wochen eingenommen werden, danach sollte man möglichst eine dreimonatige Pause einlegen.
Ähnliche Krankheiten
1. M. Thomm: Schmerzmanagement in der Pflege, Springer Medizin, 2011
2. H. Lehnert, K. Werdan: Innere Medizin – essentials, Thieme Verlag, 4. Auflage, 2006
3. Das Fibromyalgie-Syndrom, www.rheuma-liga-bw.de (Abrufdatum: 06.07.2020)
4. Fibromyalgie-Syndrom: neue Erkenntnisse zu Diagnostik und Therapie, www.rehaclinic.ch (Abrufdatum: 05.07.2020)
5. Was ist Fibromyalgie?, www.acura-kliniken.com (Abrufdatum: 03.07.2020)