Jeder fühlt sich mal müde, abgespannt oder erschöpft – nach einer schlaflosen Nacht, einer anstrengenden Arbeitswoche oder in einer besonderen Belastungs-Situation. Normalerweise dauert ein solcher Zustand nicht lange, Körper und Geist sind innerhalb kurzer Zeit wieder regeneriert. Aber was ist, wenn Erschöpfung und Müdigkeit nicht verschwinden wollen und eine klare Ursache nicht zu erkennen ist? Dann liegt vielleicht ein chronisches Erschöpfungssyndrom vor.
Inhaltsverzeichnis
Was ist das Chronische Erschöpfungssyndrom?
Es handelt sich um eine anerkannte Erkrankung, die mit dem Kürzel CFS (für Chronic Fatigue-Syndrom) bezeichnet wird. Eine andere medizinische Fachbezeichnung ist Myalgische Enzephalomyelitis (ME). Hier werden allerdings Entzündungen im Gehirn oder Rückenmark vorausgesetzt, die bei CFS nicht zwingend gegeben sein müssen. Vieles an CFS ist bisher unklar und noch nicht ausreichend erforscht. Vermutet wird, dass es sich um eine Multisystemerkrankung handelt – eine Erkrankung, die mehrere Organsysteme betrifft. Konkret berührt sind vermutlich das Stoffwechselsystem, das Nerven- und das Immunsystem.
Nach Angaben des „Bundesverbandes Chronisches Erschöpfungssyndrom“ leiden in Deutschland rund 300.000 Menschen an CFS. Die Erkrankung zeigt sich in einem länger anhaltenden Erschöpfungszustand, der das gewöhnliche Maß übersteigt und für den es keine eindeutige Erklärung gibt. Die chronische Müdigkeit und Erschöpfung reißt die Betroffenen aus ihrem gewohnten Lebenszusammenhang. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich den Aufgaben des Alltags zu stellen, fühlen sich gelähmt, antriebslos und selbst bei Kleinigkeiten überfordert. Damit einher geht die Einschränkung von Sozialkontakten und der Rückzug aus dem öffentlichen Leben – nicht selten Beginn einer Abwärtsspirale. Wie bei vielen Krankheiten findet man auch bei CFS unterschiedliche Schweregrade. Gerade bei leichteren Formen ist es nicht immer einfach, die Krankheit zutreffend zu diagnostizieren.
Chronisches Erschöpfungssyndrom – Symptome
Es gibt eine Vielzahl an Symptomen, die allerdings auch anderen Krankheiten zugeordnet werden können und nicht alle zugleich auftreten müssen. Typisch sind die folgenden Symptome:
- permanent gestörter Schlaf, fehlende Tiefschlafphasen
- Kopf- und Gliederschmerzen, Muskelverspannungen
- Herz-Kreislauf-Probleme
- Übelkeit, Magen-Darm-Probleme
- Libido-Einschränkung oder -Verlust
- grippeähnliche Symptome, Halsschmerzen, geschwollene Lymphknoten
- Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust
- Kurzatmigkeit
Chronisches Erschöpfungssyndrom – Ursachen
Bei den Ursachen von CFS herrscht noch keine Gewissheit. Vermutet wird, dass mehrere Faktoren zusammenwirken. Am Anfang steht häufig eine Infektion, eine Autoimmunerkrankung oder eine Energiestoffwechselstörung in den Mitochondrien. In den nächsten Abschnitten werden mögliche Ursachen genauer unter die Lupe genommen.
Körperliche Erkrankungen
Bei Befragungen berichten rund 80 Prozent der Patienten, dass die Erkrankung so bei ihnen begonnen habe. Verdächtigt wird oft das Epstein-Barr-Virus, das für das Pfeiffersche Drüsenfieber verantwortlich ist. Aber auch andere Viren und Keime zählen zu den möglichen Auslösern einer chronischen Erschöpfung. Selbst eine vergleichsweise harmlose Erkrankung wie Lippenherpes wird mit CFS in Verbindung gebracht.
Herpes-Viren – dazu gehört auch das Epstein-Barr-Virus – verbleiben nach einer erfolgreich überstandenen Infektion im Körper. Von Zeit zu Zeit können sie wieder aktiv werden. Auch andere Keime verlassen den Körper nicht. Eine These lautet daher, dass solche Keime und Viren entweder zu einer permanenten Infektion führen oder immer wieder reaktiviert werden. Chronische Erschöpfung ist dann Folge eines dauernden oder wiederholten Abwehrkampfes des Körpers. Bewiesen ist das allerdings nicht. In der Regel sind Patienten mit CFS nicht akut infiziert.
Neben Virus-Infektionen gibt es wahrscheinlich auch andere Auslöser oder Verstärker: zum Beispiel hormonelle Störungen, private oder berufliche Belastungen, psychische Instabilität, einseitige Ernährung und Bewegungsmangel.
Störung des Immunsystems
Eine Störung des Immunsystems wird nicht in Verbindung mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom gebracht. Selbstverständlich gibt es kleine Auffälligkeiten im Immunsystem, jedoch sind diese nicht die Ursache für das chronische Erschöpfungssyndrom.
Es gibt auch keine Anzeichen, dass Allergien eine Ursache sein könnten, auch wenn etwa 65 Prozent der Betroffenen bereits vor der Erkrankung an Allergien gelitten haben.
Psychische Belastungen
Psychischer Stress und körperliche Überbelastung verstärken womöglich die Symptome eines chronischen Erschöpfungssyndroms. Kann der Patient nicht mehr arbeiten, bekommt wenig soziale Unterstützung oder leidet an Depressionen, verschlimmert dies den Verlauf der Krankheit nur. Eine ebenfalls große psychische Belastung ist, wenn die Beschwerden von seinem Umfeld, ob auf der Arbeit, in der Familie, bei Freunden oder ganz besonders vom Arzt, nicht ernstgenommen werden.
Genetische Ursachen und Umweltfaktoren
Die Erkrankung ist möglicherweise auch genetisch bedingt oder wird durch diverse Umweltfaktoren ausgelöst. Vor allem, wenn Familienmitglieder ähnlich auf psychosozialen und körperlichen Stress reagieren oder den gleichen Umweltfaktoren ausgesetzt werden, kann es durchaus passieren, dass sie ebenfalls von dem chronischen Entzündungssyndrom betroffen sind.
Chronisches Erschöpfungssyndrom – Diagnose
Angesichts des diffusen Erscheinungsbildes und der unklaren Ursachen der chronischen Erschöpfung fällt es schwer, die Krankheit genauer zu fassen. Auch Zahlen stellen oft nur vage Schätzungen dar. Es sind wohl überwiegend Frauen – hier bevorzugt der Altersgruppe 30 bis 40 Jahre –, die zu den Betroffenen zählen. Allerdings sind Frauen gerade in diesen Jahren oft besonders gefordert, insbesondere wenn Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen sind. Chronische Erschöpfung mag daher nicht selten schierer Überlastung geschuldet sein. Kinder und ältere Menschen erkranken ebenfalls häufiger an CFS. Eine Diagnose bei dem chronischen Erschöpfungssyndrom ist schwer zu stellen und in vielen Fällen wird es auch gar nicht erst erkannt. Man kann das Syndrom nicht mit Laboruntersuchungen oder ähnlichem feststellen.
Abgrenzungen zu anderen Krankheiten
Die Diagnose erfolgt in der Regel nach dem Ausschluss-Prinzip. Der Arzt wird durch gezielte Fragen andere Ursachen für eine mögliche Erschöpfung so weit ausschließen, bis nur noch CFS übrigbleibt. Andere mögliche Erklärungen für Erschöpfungszustände sind zum Beispiel Multiple Sklerose oder Tumor-Erkrankungen.
Wichtig für die Diagnose ist die Krankengeschichte, die genau erhoben werden muss. Hier werden alle Symptome genau besprochen, sodass andere Erkrankungen, deren Beschwerden ähnlich sind, ausgeschlossen werden können. Mögliche Krankheiten mit ähnlichen Symptomen sind beispielsweise:
- Schilddrüsenerkrankung
- Herzerkrankung
- Lebererkrankung
- Blutarmut
- Diabetes mellitus, Zuckerkrankheit
- Neurologische Erkrankungen, zum Beispiel Multiple Sklerose
- Rheumatologische Erkrankungen
- Infektionskrankheiten
- Tumore
- Schwere psychische Erkrankungen
- Ausgeprägte Fettleibigkeit
- Alkoholmissbrauch
- Drogenmissbrauch
- Medikamentenmissbrauch
Damit genau diese Erkrankungen ausgeschlossen werden können, sind eine Menge an Untersuchungen nötig. Dazu gehören zum Beispiel Ultraschall- und Blutuntersuchungen.
Von der Symptomatik her besteht eine große Nähe zur Depression. Im Unterschied zur Depression, die sich eher schleichend entwickelt, tritt CFS aber plötzlich auf. Außerdem ist eine Depression in der Regel nicht mit Infektions-Erscheinungen (Grippe-Symptome) verbunden, CFS dagegen schon. Indizien für chronische Erschöpfung sind:
- mindestens seit sechs Monaten bestehender Erschöpfungszustand
- kein erholsamer Schlaf
- berufliche und private Anforderungen können nicht mehr erfüllt werden
- Begleitbeschwerden körperlicher und psychischer Art
Kanadische CFS-Kriterien
Um ein chronisches Erschöpfungssyndrom diagnostizieren zu können, gibt es die Kanadischen Konsensuskriterien, kurz CCC. Damit man die Diagnose für das Syndrom stellen kann, müssen die folgenden Symptome alle vorhanden sein:
- Fatigue: eine körperliche oder mentale Erschöpfung, die als neu aufgetreten, nicht erklärlich, anhaltend und wiederkehrend charakterisiert werden kann. Das Aktivitätslevel des Betroffenen ist enorm niedrig.
- Post-exertional Malaise und/oder Fatigue: nachdem der Betroffene belastet wurde, entstand eine ungewöhnliche Erschöpfung, ein Krankheitsgefühl sowie Schmerzen und/oder andere Symptome verstärken sich.
- Schlafstörungen: zum Beispiel: der Schlaf ist nicht erholsam, man hat einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus.
- Schmerzen: zum Beispiel: neuartige Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen.
Abgesehen davon, müssen mindestens zwei neurologische beziehungsweise kognitive Manifestationen vorhanden sein. Diese belegen beispielsweise:
- Verwirrtheit
- Konzentrationsbeeinträchtigungen
- Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis
- Störung Wörter zu finden
- Störung bei der Bewegungskoordination
Die kanadischen Kriterien geben außerdem vor, dass mindestens eines der Symptome in mindestens zwei der folgenden Kategorien zu finden ist:
- Autonome Manifestationen: zum Beispiel: Schwindel, extreme Blässe, Übelkeit, Reizdarmsyndrom, Blasenfunktionsstörung, Herzklopfen (mit oder ohne Herzrhythmusstörungen).
- Neuroendokrine Manifestationen: zum Beispiel: oft niedrige Körpertemperatur, Schweißanfälle, Appetitverlust, Appetitsteigerung, Intoleranz bei Hitze und Kälte, Gewichtsveränderung, Symptome verschlimmern sich bei Stress.
- Immunologische Manifestationen: zum Beispiel: wiederkehrende Halsschmerzen, empfindliche Lymphknoten, neue Überempfindlichkeit bei Nahrungsmitteln, Medikamenten und Chemikalien, wiederkehrende grippeähnliche Symptome.
Die Beschwerden müssen bei Erwachsenen mindestens seit sechs Monaten vorhanden sind, damit eine Diagnose gestellt werden kann. Bei Kindern sind es drei Monate.
Internationale CFS-Kriterien
Anders als bei den Kanadischen CFS-Kriterien, ist es bei den Internationalen CFS-Kriterien keine Voraussetzung, dass die Beschwerden und Symptome mindestens sechs Monate vorhanden sind. Ein CFS kann schon früher diagnostiziert und attestiert werden. Dafür muss es folgende Kriterien erfüllen:
Postexertional neuroimmune exhaustion (PENE), sprich der Betroffene strengt sich körperlich oder geistig an und die Symptome verschlechtern sich dann unverhältnismäßig. Dies kann sich in körperlicher oder geistiger Erschöpfung, Muskelschmerzen, Herzrhythmusstörungen etc. äußern. Diese Symptome halten dann bis zu einem Tag an und auch Schlaf ist keine Hilfe. PENE ist das Kardinalsymptom, welches bei einem chronischen Erschöpfungssyndrom vorhanden sein muss.
Mindestens ein Symptom muss zu der Kategorie neurologische Beeinträchtigung gehören. Dazu gehören Schmerzen, Schlafstörungen, Muskelschwäche, Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, Störungen der Bewegungskoordination, Empfindlichkeit bei Gerüchen, Geräuschen, Licht oder Berührung.
Mindestens ein Symptom muss aus der Kategorie immunologische, gastrointestinale und urogenitale Beeinträchtigung sein. Folgende Symptome sind hier möglich: erhöhte Infektanfälligkeit, chronische Atemwegsinfekt, Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln, Störungen des Wasserlassens, Reizdarm.
Mindestens ein Symptom muss aus der Kategorie Störung von Energieproduktion und Ionentransport sein. Mögliche Symptome sind Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, niedriger Blutdruck, Schwindel, Kreislauf passt sich nicht aufrechten Körperpositionen an, Kurzatmigkeit, Schweißausbrüche, Unverträglichkeit bei Hitze, Kälte und starken Temperaturschwankungen.
Selbsttest
Es gibt auch die Möglichkeit online einen Selbsttest durchzuführen. Die Tests orientieren sich an den oben erwähnten Kanadischen CFS-Kriterien. Damit können die Symptome eines chronischen Erschöpfungssyndroms überprüft werden – allerdings entspricht dies selbstverständlich keiner ärztlichen Diagnose. Dauerhafte und starke Beschwerden sollten unbedingt mit einem Arzt, einer Ärztin, abgeklärt werden.
Chronische Erschöpfung – Therapie
Eine spezielle CFS-Therapie mit nachgewiesenem Erfolg gibt es bisher noch nicht. Deshalb erfolgt häufig nur Symptombekämpfung – vor allem mit Medikamenten, die die negativen Begleiterscheinungen von CFS abmildern. Auch zur Verhaltenstherapie wird geraten. Abgesehen davon empfiehlt man Betroffenen einen geregelten Tagesablauf und darauf zu achten, keine Überanstrengungen und emotionale Belastungen zu erleben. Außerdem können schon kleine Dinge, wie Entspannungsübungen und eine Ernährungsumstellung, helfen.
Verhaltenstherapie
In einer Verhaltenstherapie erlernen Betroffene neue Verhaltensweisen. So können sie mehr oder weniger ohne Beschwerden den Alltag verbringen, indem psychische und physische Belastungen vermieden werden. Bei der Verhaltenstherapie orientieren sich Ärzte an einem mehrstufigen Vorgehen. Hier dreht es sich darum, das Leistungsvermögen der Patienten immer weiter zu steigern, sodass sie sich wieder in den Alltag integrieren können.
Die kognitive Verhaltenstherapie beinhaltet zusätzlich die Psychotherapie, wenn auch nur für eine kurze Phase. Das Ziel ist es hier, verdrängte Gedanken, die für Betroffene entmutigend sind, aufzugreifen und mit einer positiven Einstellung und Erholung auszutauschen.
Ausdauersport
Eine weitere therapeutische Möglichkeit ist Ausdauersport, da lange Bettruhe und Phasen mit Inaktivität die Symptome von dem chronischen Erschöpfungssyndroms verschlimmern können. Es empfehlen sich regelmäßige Ausdauersportarten wie Walking, Jogging, Schwimmen und Radfahren. Die Erschöpfung kann sich vermindern und die Körperfunktionen verbessern sich. Diese Sportarten sollte man jedoch unter strenger medizinischer Aufsicht tätigen und wenn man zuvor längere Zeit nicht sportlich aktiv war, ist es wichtig, sich erst einmal langsam an die Sportarten heranzutasten.
Abgesehen vom Ausdauersport helfen auch Entspannungsübungen. Hier kann man zum Beispiel Autogenes Training oder Meditation praktizieren. Sie helfen bei Schlafstörungen und haben ebenfalls positive Effekte auf die Körperfunktionen.
Medikamentöse Behandlung
Es gibt keine zielgerechte Medikation gegen das Chronische Erschöpfungssyndrom. Eine medikamentöse Behandlung ist jedoch symptombedingt hilfreich. Beispielsweise bei Schmerzen in den Gelenken und im Kopf, können Schmerzmittel eingesetzt werden. Treten Depressionen auf, könnte Antidepressiva nicht nur hilfreich, sondern nötig werden. Auch wenn eine Infektion auftritt, muss diese gezielt, beispielsweise mit Antibiotika, behandelt werden. Viele Betroffene haben auch einen Mangel an verschiedenen Vitaminen oder Mineralstoffen. Dieser Defizit muss mit Präparaten ausgeglichen werden.
Chronische Erschöpfung – was kann man selbst tun?
Man sollte aber nicht nur einfach warten und auf Hilfe von außen hoffen, sondern selbst etwas dafür tun, um dem Kreislauf von Erschöpfung und Passivität zu entkommen. Regelmäßige Bewegung (ohne Überanstrengung), systematische Entspannung (mittels Entspannungsverfahren) und eine ausgewogene Ernährung können schon viel zur Heilung beitragen. Wichtig ist auch eine geregelte Tagesstruktur, an die man sich hält – selbst, wenn es manchmal schwerfällt. Natürlich geht es nicht ohne eine gute Portion Geduld. Heilung braucht Zeit – auch bei CFS.
Depression und Burnout
1. Müdigkeit, Fatigue, Chronisches Müdigkeitssyndrom − viele Namen, wenig Klarheit, www.patientenberatung.de (Abrufdatum: 10.06.2020)
2. Burn-out und Chronische Erschöpfung, www.deister-weser-kliniken.de (Abrufdatum: 09.06.2020)
3. ME/CFS Onlinetest, www.fatigatio.de (Abrufdatum: 10.06.2020)
4. Müdigkeit als Dauerzustand – das Chronisches Erschöpfungssyndrom, www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org (Abrufdatum: 10.06.2020)