Mithilfe der Praxiswertermittlung können Ärzte den Preis ermitteln, mit dem sie beim Verkauf ihrer Praxis als Grundlage rechnen können. Die gängigsten Methoden der Praxiswertermittlung sind die Ärztekammer-Methode und die modifizierte Ertragswert-Methode.
Inhaltsverzeichnis
Welche Methode gilt als Goldstandard bei der Praxiswertermittlung? Welche Kriterien werden zur Bewertung herangezogen? Mit derart gelagerten Fragen sehen sich nicht nur ruhestandsreife Praxisinhaber und ihre kreditwürdigen Nachfolger im Rahmen der Praxisübergabe konfrontiert, sondern auch entzweite Ehepartner und deren Scheidungsanwälte sowie expansionsfreudige Klinikgeschäftsführer. Dabei verfolgen diverse konfligierende Parteien naturgemäß divergente Interessen.
Gründe für eine Praxiswertermittlung
Die Motive für die monetäre Bewertung im Rahmen einer Praxisnachfolge oder Praxisübernahme können unterschiedlich sein:
- Wirtschaftliche Gründe wie der Praxisverkauf im Rahmen einer Nachfolgeregelung, der finanzielle Einstieg oder Austritt eines Gesellschafters oder die Fusion zweier Praxen
- Familiäre Gründe wie der Zugewinnausgleich bei Scheidung der ehelichen Vermögenswerte oder auch die Ermittlung der Pflichtteilsansprüche bei Erbstreitigkeiten,
- Überprüfungen der persönlichen Kreditwürdigkeit
Praxiswertermittlung – Einflussfaktoren und Kennzahlen
Aufgrund der individuellen Interessen verschiedener Konfliktparteien kann die Bezifferung des Gesellschaftswerts große Differenzen aufweisen. Prinzipiell lässt sich konstatieren: Man kann keinen neutralen und objektiven Wert für ein Praxisunternehmen ermitteln. Lediglich perspektivische Bewertungen sind möglich. Diese sind allerdings allesamt mit dem Makel der Subjektivität behaftet.
Beispielsweise sonnt sich der scheidende Internist in seinem Ruf als hervorragender Spezialist für Ultraschall-Untersuchungen. Sein Nachfolger kauft lediglich die apparative Ausstattung seines Vorgängers, nicht jedoch seinen Ruf, geschweige denn seine diagnostischen Fertigkeiten.
Dennoch profitiert der Käufer von der Reputation der Praxis und übernimmt einen über Jahrzehnte gewachsenen Patientenstamm, der dem designierten Nachfolger einen Vertrauensvorschuss einräumt. Der Käufer profitiert von der Vorarbeit des Verkäufers und nimmt lediglich ein stark reduziertes unternehmerisches Risiko auf sich, verglichen mit einer Neugründung.
Die Praxisbewertung bildet folglich eine Mischkalkulation aus den subjektiven Einzelbewertungen ab und stellt somit stets einen Kompromiss dar. Denn ein „Wert der Praxis an sich“ kann nicht ermittelt werden.
Diese komplexe Kompromissfindung wird zunächst durch zwei Teilschritte erleichtert:
Materielle Praxiswerte
Die Ermittlung der materiellen Praxiswerte (Substanzwert) ist meist besser messbar als der ideelle Wert der Gesellschaft, wenn auch nicht unstrittig. Unter dem Substanzwert werden Möbel, EDV, Immobilien und die medizintechnische Apparatur subsummiert.
Unter Voraussetzung des Fortbestandes der Praxis nach Verkauf wird nicht der vergangenheitsbezogene Zeitwert einer Ausstattungsgegenstandes (ergibt sich aus Anschaffungswert abzüglich der planmäßigen Absetzung für Abnutzung) herangezogen, sondern vielmehr ein höherer zukunftsbezogener Ausgabenersparniswert. Dadurch soll beziffert werden, welche Investitionen unter der Prämisse der Praxisfortführung vom potenziellen Käufer prolongiert oder gar vermieden werden können. Hierfür muss der Verschleiß mit in die Kalkulation einbezogen werden. Dabei setzen Käufer- und Verkäuferseite naturgemäß unterschiedliche Restnutzungsdauern für einzelne Gegenstände voraus.
- So bewertet beispielsweise der potenzielle Käufer die desolate Einrichtung als minderwertig und damit investitionsbedürftig, während der Verkäufer auf die preissteigernde Qualität und Langlebigkeit seiner Ausstattung insistiert.
- Ein Ausstattungsgegenstand würde bei einer Veräußerung im Internet allenfalls einen symbolischen Preis als Zeitwert erzielen, wenn er allerdings funktionstüchtig ist kann sein Ausgabenersparniswert um ein vielfaches höher ausfallen.
Plant der potenzielle Käufer die Praxis zu schließen, um eine neue Gesellschaft zu gründen ist der Liquidationswert zu ermitteln, d.h. jener Preis, der im Falle einer Auflösung für die einzelnen Einrichtungsgegenstände und das Equipment zu erzielen wäre. Dieser ist niedriger anzusetzen als der Ausgabenersparniswert, da bei einer Liquidation das Umsatzpotential der apparativen Ausstattung gänzlich entfällt und lediglich ihr Zeitwert verlangt werden kann.
Immaterielle Praxiswerte (Goodwill)
Bei der Bezifferung der immateriellen Praxiswerte ist zwischen persönlichem und übertragbarem Goodwill zu differenzieren. Der personenbezogene Goodwill nährt sich aus den individuellen Fertigkeiten des niedergelassenen Arztes und seinem Ruf. Diese Effekte sind bei der Praxisbewertung zu vernachlässigen. Dennoch profitiert ein potenzieller Nachfolger in der unmittelbaren Zeit nach der Geschäftsübergabe von einem sogenannten Verflüchtigungseffekt.
Der übertragbare Goodwill hingegen berechnet sich aus den wirtschaftlichen Kennzahlen des Praxisunternehmens und weiteren „weichen Faktoren“. Je nach Methode (in folgenden Abschnitten genauer erläutert) zieht man den gemittelten Umsatz oder Gewinn vergangener Jahre als Berechnungsgrundlage heran und ergänzt ihn um folgende Faktoren:
- Standort der Praxis, Standortgebundenheit
- Arztdichte (dient insbesondere bei Zahnärzten als Maß für die Konkurrenzsituation, da keine limitierten kassenärztliche Zulassungen)
- Praxisstruktur (Facharzt, Durchgangsarzt der Berufgenossenschaften, Konsiliarpraxis)
- Patientenstamm und Privatpatientenquote
- Qualitätsmanagement und Zertifizierungen
- Kooperationen (e.g. Überweisungsabkommen mit betriebsärztlichen Diensten, Belegbetten und OP-Kapazitäten in einer Klinik)
Praxiswertermittlung – Ermittlungsmethoden
Es existieren verschiedene Methoden zur Bezifferung des immateriellen Praxiswerts, alle münden sie am Ende in der Addition des materiellen und immateriellen Wertes zur Ermittlung eines Praxiswertes als Verhandlungsbasis.
Ärztekammer-Methode
Die „Richtlinie zur Bewertung von Arztpraxen“ der Ärztekammer erscheint durch eine zunehmende Öffnung des Marktes und damit einhergehende Preisbildung durch die Gesetze des freien Marktes heute als anachronistisch. Diese Methode wurde 1987 lanciert und trägt dem immateriellen Wert eines Praxisunternehmens Rechnung. Allerdings erfolgt die Ermittlung der immateriellen Werte vergangenheitsorientiert anhand der Umsätze der letzten Jahre. Eine Zukunftsorientierung wird lediglich durch wertsteigernde und wertmindernde Faktoren eingepreist, deren Effekt jedoch auf zwanzig Prozent limitiert ist. Da der Substanzwert bei der Praxiswertermittlung nach heutiger Auffassung lediglich eine untergeordnete Rolle spielt, konnten sich die Methoden der Ärztekammer nie durchsetzen und standen stets im Schatten der ertragsorientierten Verfahren.
Modifizierte Ertragswertmethode
Ertragswertmethoden gelten aktuell als Goldstandard zur Bewertung eines Praxisunternehmens.
Dabei dienen die potenziellen Gewinne als Basis für die Bewertung der Gesellschaft. Der immaterielle Praxiswert wird bei Dienstleistungsunternehmen, und eine Arztpraxis ist als solches zu betrachten, maßgeblich für den zukünftigen Gewinn angesehen, wobei die Substanz diesen mit beeinflusst. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zur Ärztekammermethode ist die Zukunftsorientierung.
- Zuvorderst wird anhand der vorliegenden Kennzahlen aus den vergangenen Jahren ein erwartbarer, nachhaltig zu erzielender Gewinn für die nächsten Jahre ermittelt. Die erzielten Gewinne bereinigt man hierfür um außerordentliche Kosten und Einkünfte, zudem kalkuliert man potentielle Risiken ein.
- Von dieser Summe wird ein kalkulatorischer Unternehmerlohn (d.h. die Opportunitätskosten, die der Käufer als angestellter Facharzt verdienen würde) abgezogen.
- Auch die persönlichen Aufwendungen für Einkommenssteuer, Altersvorsorge des Käufers sowie ein Schätzwert für jährliche Investitionen werden subtrahiert.
- Es verbleibt eine Summe, die als jener Jahresgewinn bezeichnet werden kann, für den der Käufer bereit ist, dem Verkäufer einen Preis zu bezahlen.
- Da von einem Verflüchtigungseffekt ausgegangen wird, legt man einen zukünftigen Zeitraum von 3 bis 6 Jahren zugrunde, in dem der Einfluss des ausscheidenden Arztes nachwirkt. Für den Gewinn in diesem Zeitraum soll der Käufer einen Preis bezahlen.
- Kapitalisierung der voraussichtlichen zukünftigen Erträge: Den immateriellen Wert ermittelt man, in dem man den zu investierenden Kapitalstock errechnet, der zu marktüblichen Zinsen angelegt, über den Kapitalisierungszeitraum den nachhaltig zu erzielenden Betrag abwirft.
- Dieses fiktiv anzulegende Kapital bildet nach der Ertragswertmethode den immateriellen Praxiswert ab. Dieser wird im letzten Schritt mit dem materiellen Substanzwert (Ausgabenersparniswert) zu einem Praxiswert als Verhandlungsbasis addiert.
Andere Ermittlungsverfahren
Neben diesen gängigen Verfahren existiert noch eine Vielzahl an weiteren Methoden, um den Wert eines Praxisunternehmens zu ermitteln. Dieses breite Spektrum an Möglichkeiten unterstreicht die Komplexität und Individualität des Sachverhaltes.
- das Stuttgarter Verfahren
- Umsatzmultipilkatoren
- Gewinnmultiplikatoren
- das Mittelwertverfahren
- die Methode der Übergewinnkapitalisierung
- die Methode der verkürzten Goodwillrentendauer
- die Equity-Methode
- die Entity-Methode
- das vereinfachte Ertragswertverfahren der Finanzverwaltung
Praxiswertermittlung – Wichtige Details
Letztlich stellt sich dem Käufer eines Unternehmens folgende Frage: Welchen Kaufpreis kann ich aus dem Gewinn eines Unternehmens nach Berücksichtigung seines „Unternehmerlohns“ in einem überschaubaren Zeitraum verzinsen und tilgen?
Der Verkäufer blickt auf die Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Neugründung und ein arbeitsreiches Berufsleben zurück und hofft auf einen anständigen Preis für seine Aufbauarbeit, von der sein Nachfolger zweifelsohne profitieren wird. Je nach Perspektive treten unterschiedliche Wünsche und Ansprüche auf, die sich konkret in einer breiten Varianz der Preisvorstellungen niederschlagen.
So kann man beispielsweise bei der Abzinsung des Kapitals unterschiedliche Zinssätze zugrunde legen. Der Verkäufer argumentiert, ein marktüblicher Zinssatz orientiert sich an der risikoarmen Rendite von ca. 5 %, der Käufer erwartet aufgrund des Unternehmerischen Risikos eine weitaus höhere Rendite von 10 %.
Auch der Zeitraum der Goodwill-Verflüchtigung kann unterschiedlich bemessen werden. Der Verkäufer veranschlagt sein Nachwirken mit 6 Jahren, während der Käufer nach 3 Jahren keinen Effekt mehr erwartet. Beide Seiten profitieren von einer ausgereiften Übergabestrategie, die den Nachfolger in einer Übergangsphase sukzessive in die Geschäfte einführt, während sich der Verkäufer peu à peu zurückzieht. Dadurch kann man den Patientenstamm in der Regel nahezu vollständig übernehmen, wodurch der immaterielle Praxiswert zu seiner vollen Entfaltung kommt.
Praxiswertermittlung – Beispiel
Anhand einer exemplarischen fachärztlichen Schwerpunktpraxis inmitten eines Ballungszentrums mit mehreren Gesellschaftern soll die Komplexität einer Praxisbewertung veranschaulicht werden. Die, hauptsächlich durch apparative Interventionen generierten, Umsätze belaufen sich jährlich auf siebenstellige Summen. Als fachärztliches Zentrum erfreut sich die Praxis überregionaler Bekanntheit, viele Hausärzte überweisen ihre Patienten, zudem haben die Praxisinhaber lukrative Kooperationen mit dem betriebsärztlichen Diensten großer Firmen ausgebaut; der Privatpatientenanteil ist mit 30 % weit überdurchschnittlich. Die hochwertige und zeitlos wirkende Möblierung und Einbauschränke sind inzwischen abgeschrieben, allerdings in bestem Zustand. Teure medizintechnische Apparaturen sind lediglich geleast und die ideal gelegene, infolgedessen hochpreisige Immobilie angemietet. Folglich ist der Substanzwert verglichen mit dem Umsatzpotential verschwindend gering. Für Möbel und EDV und ein altes Ultraschallgerät kann lediglich ein Ausgabenersparniswert aufgerufen werden.
Trotz spärlicher Substanzwerte könnten potenzielle Nachfolger vom ersten Tag an stattliche Erträge erwirtschaften. Dies muss sich im Goodwill niederschlagen.
Professionelle Unterstützung für die Praxiswertermittlung finden
Viele Banken und Steuerberater bieten eine objektive Gutachtertätigkeit an. Doch aufgrund der Komplexität der Angelegenheit, der prophetischen Vorhersagen von zukünftigen Kennzahlen, den widerstreitenden Methoden, werden auch professionelle Gutachten zu durchaus variablen Bewertungen für dasselbe Unternehmen führen. Einigt man sich beispielsweise im Vorfeld auf einen neutralen Gutachter und vereinbart a priori, das Ergebnis des Gutachtens als Preis für die Praxis anzunehmen, dient dies in jedem Falle der Entscheidungsfindung. Widerstreitende Gutachten hingegen sind dieser eher abträglich, da alle Akteure ihre bevorzugten Werte als objektivierbar annehmen.
Für unzählige kleinere Praxen gestaltet sich die Suche nach einem Nachfolger ohnehin schwierig. Auch ein Verkauf an eine Krankenhausgesellschaft oder ein medizinisches Versorgungszentrum sollte man als weitere Option in Erwägung ziehen.
Oft ist es zielführend, mittels verschiedener Bewertungsmethoden ein Spektrum an Praxiswerten zu ermitteln und sich gemeinsam durch kritische Analyse und Diskussion der einzelnen Urteile einem realistischen Ergebnis anzunähern, das dem Nachfolger ein kalkulierbares unternehmerisches Risiko zumutet und dem altgedienten Arzt den Ruhestand versüßt.