Viele Fachärzte/-innen entscheiden sich für die Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin, nachdem sie einige Jahre in der Klinik gearbeitet haben. Der Wunsch nach geregelten Arbeitszeiten ohne Nachtschichten und Bereitschaftsdienste lockt Fachärzte/-innen verschiedenster Fachrichtungen. Dabei handelt es sich beim Aufgabenfeld um keinen klassischen „Schreibtischjob“. Häufig erfordert die gutachterliche Tätigkeit eine intensive Beschäftigung mit dem Fall. Hierfür werden Fachgespräche mit behandelnden Ärzten/-innen und körperliche Untersuchungsbefunde der Patienten/-innen herangezogen.
Inhaltsverzeichnis
Mehr zur Zusatzweiterbildung Sozialmedizin – inklusive Voraussetzungen, Inhalte und Abschluss der Weiterbildung – sowie zum späteren Berufsbild beschreibt diese Übersicht.
Zusatzweiterbildung Sozialmedizin im Überblick
- Anzahl Fachärztinnen und -ärzte: Über 9.000 Ärzte/-innen tragen in Deutschland die beliebte Zusatzbezeichnung Sozialmedizin, wobei nur zwei Drittel der Ärzte/-innen berufstätig sind. Davon arbeiten jeweils etwa gleich viele im ambulanten und stationären Bereich, in Behörden und sonstigen Bereichen.
- Voraussetzung: Um die Zusatzweiterbildung Sozialmedizin beginnen zu dürfen, ist neben dem Medizinstudium eine Facharztanerkennung in einem beliebigen Bereich Voraussetzung.
- Dauer: Die Weiterbildung im Bereich Sozialmedizin dauert mindestens 320 Stunden. In Vollzeit beträgt dies etwa 1,5 Jahre.
Das Fachgebiet Sozialmedizin
“Die Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin umfasst in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz die Bewertung von Art und Umfang gesundheitlicher Störungen und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und die Teilhabe an Lebensbereichen unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Krankheit, Gesundheit, Individuum und Gesellschaft sowie deren Einordnung in die Rahmenbedingungen der sozialen Sicherungssysteme und die diesbezügliche Beratung der Sozialleistungsträger” lautet die Definition nach Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (MWBO).
Als relativ kleines Fach gibt es für die Sozialmedizin derzeit noch keine eigene Facharztausbildung. Stattdessen kann nach der Facharztanerkennung eine Weiterbildung bei den zuständigen Landesärztekammern erfolgen. Grundsätzlich ist die Fachrichtung der vorangegangenen Ausbildung nicht relevant. Allerdings gibt es inhaltliche Überschneidungen mit den Fachbereichen Arbeitsmedizin (Betriebsmedizin), Öffentliches Gesundheitswesen, Hygiene- und Umweltmedizin, Physikalische und Rehabilitative Medizin und Rechtsmedizin.
Während sich die klinischen Fächer mit der Gesundheit und Krankheit des Einzelnen befassen, stellt die Sozialmedizin Zusammenhänge zu den gesellschaftlichen Auswirkungen her. Sie wird unterteilt in Angewandte Sozialmedizin, Forschung und Lehre.
Angewandte Sozialmedizin
In der angewandten Sozialmedizin ist der Großteil der Ärzte/-innen als Gutachter tätig. Dabei ist ihre Aufgabe die Vermittlung zwischen Patienten/-innen, deren ärztlichen Behandlern/-innen und großen Sozialleistungsträgern. Dies können Krankenversicherungen, Rentenversicherungen, Gesundheitsämter und Rehabilitationseinrichtungen sein.
Bei der gutachterlichen Tätigkeit wird beurteilt, welche Leistungen aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen erforderlich sind. Mögliche Fragen der medizinischen Versorgung lauten dabei:
- Ist der/die Patient/in arbeitsunfähig und wie lange wird dieser Zustand voraussichtlich andauern?
- Welche Rehabitilationsleistungen sind nötig, um den Gesundheitszustand des/-r Patienten/-in zu fördern und wie lange sollen diese durchgeführt werden?
- Welcher Grad der Behinderung (GdB) liegt beim/bei der Betroffenen vor?
Auch finanzielle Fragestellungen beim Anspruch auf Arbeitslosengeld und Rente fallen in den Aufgabenbereich der sozialmedizinischen Gutachter/innen. Allerdings kann sich ein/e Sozialmediziner/in bei der Erstellung eines Gutachtens nicht nur auf bereits vorliegende Untersuchungsbefunde verlassen. Eine selbst durchgeführte körperliche Untersuchung gehört häufig dazu. Vor allem bei der gutachterlichen Tätigkeit für Arbeits- und Versorgungsämter werden praktische Tätigkeiten gefordert.
Forschung
In der Forschung sind Sozialmediziner/innen an der Erstellung neuer Konzepte der Versorgungsforschung beteiligt. In der wissenschaftlichen Forschung ist die Sozialmedizin eng mit der Epidemiologie verbunden. Aktuelle Forschungsschwerpunkte liegen in der Versorgung von Menschen mit Mehrfachbehinderung, neuen Entwicklungen bei der Versorgung chronisch kranker Menschen und der gesundheitlichen Versorgung von Flüchtlingen.
Lehre
Sozialmedizinische Fortbildungen für Fachärzte/-innen werden oft von ausgebildeten Sozialmedizinern/-innen durchgeführt. Ihre Aufgabe ist es, die gesellschaftlichen Auswirkungen von Krankheit auch Nicht-Sozialmedizinern/-innen nahe zu bringen. Auch bei der ärztlichen Ausbildung im Medizinstudium, an den medizinischen Fakultäten in ganz Deutschland, ist die Sozialmedizin als Pflichtfach integriert. An einigen Universitäten sind eigene Abteilungen und Institute zu finden. An anderen wird die Sozialmedizin durch Arbeitsmedizin, Medizinsoziologie oder andere Fächer vertreten.
Voraussetzungen und Dauer der Zusatzweiterbildung Sozialmedizin
Wer Sozialmediziner/in werden möchte, muss zuerst sein Medizinstudium erfolgreich abschließen. Daran anschließend folgt die Approbation zum/-r Arzt/Ärztin. Ist diese Hürde gemeistert, kann eine Weiterbildung zum/-r Facharzt/-ärztin erfolgen. Erst mit der Facharztanerkennung in einem beliebigen Fach kann die Zusatzweiterbildung begonnen werden.
Die Weiterbildungszeit zur Zusatzbezeichnung Sozialmedizin beträgt in Vollzeit etwa 1,5 Jahre. Wer die Zusatzweiterbildung berufsbegleitend ablegt, sollte mit einer Verlängerung rechnen. Nach der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer besteht der Lehrgang neben den Weiterbildungsinhalten unter Befugnis aus mindestens 320 Stunden in Sozialmedizin, die sich wie folgt aufteilen:
- 160 Stunden Kurs-Weiterbildung in Sozialmedizin/Rehabilitationswesen
- 160 Stunden Kurs-Weiterbildung in Sozialmedizin
Die Kurse werden als 4 Blöcke Grundkurs (A, B, C, D) und 4 Blöcke Aufbaukurs (E, F, G, H) mit je 40 Stunden angeboten. Die meisten Anbieter unterrichten zwei Blöcke direkt hintereinander mit einer Dauer von einer Woche pro Block. Einige Ausbildungsinstitute bieten auch Wochenendkurse an.
Eine Reihenfolge, in der die Kurse besucht werden sollen, ist nicht vorgegeben. Neben theoretischem Unterricht werden Betriebs- und Klinikbegehungen durchgeführt.
Als sogenanntes Brückenfach sind die theoretischen Ausbildungsinhalte stark mit nicht-medizinischen Fächern verknüpft. Soziologie, Sozialarbeit, Psychologie, Statistik, Recht und Gesundheitsökonomie sind im Curriculum enthalten und bilden neben der Medizin die Wissensgrundlage für gutachterliche Tätigkeiten.
Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin
In der Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin werden Methoden und Handlungskompetenzen erlernt. Bei der hier folgenden Auflistung handelt es sich um die Empfehlung nach Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (MWBO). Die Inhalte unterteilen sich in gemeinsame Inhalte (GI) der Zusatz-Weiterbildungen Sozialmedizin und Rehabilitationswesen und in spezifische Inhalte (SI) für Sozialmediziner/innen.
Da die einzelnen Landesärztekammern in ihren Inhalten abweichen können, sollten sich Interessierte stets bei der zuständigen Landesärztekammer informieren und absichern. Die Zahlen in Klammern stellen die jeweiligen Richtzahlen laut MWBO dar.
Übergreifende Inhalte der Zusatzweiterbildung Sozialmedizin (GI)
Kognitive und Methodenkompetenz
- Ethische und juristische Aspekte für die Tätigkeit als Sachverständiger
- Begriffsbestimmung und Konzepte der Sozial- und Rehabilitationsmedizin einschließlich der Behindertenrechtskonvention der UN
- Begriffsdefinitionen und Abgrenzung der Gesundheitsstrategien Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege
Handlungskompetenz
- Anwendung des biopsychosozialen Modells der WHO bei der Beurteilung von Funktionsfähigkeit unter Berücksichtigung von Kontextfaktoren sowie Erstellung von Funktionsdiagnosen
Soziale Sicherungssysteme und Versorgungsstrukturen (GI)
Kognitive und Methodenkompetenz
- Prinzipien des Gesundheits- und Sozialsystems und deren Interaktion
- Epidemiologie, Dokumentation, Statistik und Gesundheitsberichterstattung
- Sozialleistungsträger und ihre Aufgaben und Schnittstellen gemäß Sozialgesetzbuch
- trukturen und Aufgaben privater Versicherungen zur sozialen Absicherung
Handlungskompetenz
- Anwendung des trägerübergreifenden Teilhabebegriffs und Steuerung von trägerspezifischen und trägerübergreifenden Teilhabeleistungen
- Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und leistungsrechtlichen Begriffe im gegliederten System der sozialen Sicherung
Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation (GI)
Kognitive und Methodenkompetenz
- Leistungsarten und Leistungsformen einschließlich Modellen der Prävention und Gesundheitsförderung
- Organisationen und Institutionen in der Rehabilitation einschließlich Einrichtungen der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation
- Theoriemodelle der Rehabilitation und Grundlagen der internationalen Richtlinien und Empfehlungen zu Behinderung und Rehabilitation
Handlungskompetenz
- Begehung von Einrichtungen (6), davon
- Betriebe
- Rehabilitationseinrichtungen (2)
- Berufsförderungswerke
- Einrichtungen der sozialen Rehabilitation
Arbeitsmedizinische Grundlagen (SI)
Kognitive und Methodenkompetenz
- Grundlagen und Aufgaben der Arbeitsmedizin
- Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen
- Anforderungsprofile häufiger beruflicher Tätigkeiten
Handlungskompetenz
- Beratung von Leistungsgewandelten im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit
Sozialmedizinische Begutachtung (SI)
Kognitive und Methodenkompetenz
- Grundlagen ärztlicher Begutachtung unter Berücksichtigung sozialmedizinisch relevanter leistungsrechtlicher Begriffe und Vorgaben
- Trägerspezifische und trägerübergreifende Begutachtung
- Unterscheidung kausaler und finaler Gutachten
- Rechtliche Vorgaben bei der Erstellung von Gutachten insbesondere zum Datenschutz, Haftungsrecht, Mitwirkung des Versicherten, Aufbau und Zuständigkeit in der Sozialgerichtsbarkeit
Handlungskompetenz
- Sozialmedizinische Begutachtung und Beratung für Sozialleistungsträger sowie für Privatversicherungen im Zusammenhang mit Fragestellungen aus dem jeweiligen Rechtsgebiet, z. B. zur Arbeitsunfähigkeit, zum erwerbsbezogenen Leistungsvermögen, zu Teilhabeleistungen, zur Pflegebedürftigkeit (500), davon
- sozialmedizinische Gutachtenerstellung mit
Befragung/Untersuchung (100) - ausführlich begründete sozialmedizinische
Gutachtenerstellung nach Aktenlage (100) - sozialmedizinische Stellungnahmen (100)
- Rehabilitationsentlassungsberichte (100)
- sozialmedizinische Gutachtenerstellung mit
- Fallbezogenes Schnittstellenmanagement bei Zuständigkeitswechsel des Sozialleistungsträgers
- Eintägige Teilnahme an öffentlichen Sitzungen beim Sozialgericht oder Landessozialgericht
Beurteilungskriterien bei ausgewählten Krankheitsgruppen (SI)
Kognitive und Methodenkompetenz
- Relevante diagnostische Verfahren für die Leistungsbeurteilung bei ausgewählten Krankheitsgruppen
Handlungskompetenz
- Sozialmedizinische Beurteilung der Funktionsfähigkeit einschließlich Beratung von Versicherten und Leistungsträgern
Weiterbildungsabschluss und Logbuch
Wie alle Ärzte/-innen in Weiterbildung müssen auch diejenigen, die die Zusatzbezeichnung Sozialmedizin erlangen möchten, ein sogenanntes Logbuch über die Fortschritte ihres Lehrgangs führen. Hier werden erfüllte Anforderungen, Kurse und Lehrgänge eingetragen und von dem/der Ausbilder/in gegengezeichnet. Die Registrierung für das digital geführte eLogbuch kann man auf der Webseite der zuständigen Landesärztekammer durchführen.
Prüfung
Sind alle Weiterbildungsabschnitte erfolgreich absolviert, muss das vollständig ausgefüllte Logbuch (meist zusammen mit Arbeitszeugnissen, Approbationsurkunde, Lebenslauf und Arbeitsvertrag) zur Prüfungsanmeldung eingereicht werden. Welche Dokumente genau gefordert sind, hängt von der Landesärztekammer ab.
Bei der Prüfung selbst handelt es sich in der Regel um ein mündliches Fachgespräch, das vor einem Prüfungsausschuss stattfindet. In der Prüfungszeit, die mindestens 30 Minuten beträgt, können alle Inhalte aus der Weiterbildung abgefragt werden.
Einsatzgebiete von Sozialmediziner/innen
Im Gegensatz zur klinischen Weiterbildung, sind die Weiterbildungsbefugte für die Zusatzweiterbildung Sozialmedizin nicht ausschließlich im Krankenhaus zu finden. Folgende Einrichtungen bieten eine Ausbildung bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten an:
- ambulante Reha-Zentren
- große Krankenhäusern und Unikliniken
- Arztpraxen
- Gesundheitsämter
- der medizinische Dienst der Krankenversicherungen und Rentenversicherungen
- Versorgungsämter für Städte und Länder
- die Bundesagentur für Arbeit
Termine für Fort- und Weiterbildungen finden sich auf der Homepage der DGSMP (Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention).
Gehaltsperspektiven mit Zusatzbezeichnung Sozialmediziner/in
Die Gehälter und Arbeitsbedingungen von Jobs in der Sozialmedizin sind abhängig vom Arbeitgeber und der Berufserfahrung. In Krankenhäusern gelten die Tarifverträge für Ärzte/-innen. In den meisten Tarifverträgen ist eine Zusatz-Weiterbildung kein Anlass für eine Gehaltssteigerung. Hier zählt nur die gesamte Berufserfahrung in Jahren. Weiterbildungen verbessern allerdings die Chancen auf Leitungspositionen. Bis zum/-r Chefarzt/-ärztin schafft man es nicht ohne. In privaten Praxen und Reha-Zentren ist das Gehalt individuell verhandelbar. Das Basisgehalt von Fachärzten/-innen bewegt sich zwischen rund 6.300 und 8.100 Euro brutto im Monat. Hinzu kommen Zulagen für Schicht- und Feiertagsarbeit.