
Ärztinnen und Ärzte mit Zusatz-Weiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie liefern einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen der jungen Bevölkerung. Orthopädische Krankheitsbilder sind nicht nur im gehobenen Alter häufig auftretende Phänomene, die massive Einschränkungen in der Bewältigung des Alltages mit sich bringen können. Schon im Kindes- und Jugendalter können diese auftreten.
Inhaltsverzeichnis
Seit dem Jahr 2005 können in Deutschland Fachärzte/-innen bestimmter Gebiete der Humanmedizin die Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie absolvieren und im Rahmen dieser Weiterbildung die wichtigsten Kompetenzen zur Behandlung und Beurteilung von kinder- und jugendorthopädischen Krankheitsbildern erlernen. Im folgenden Artikel werden die wichtigsten Informationen der Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie zusammengefasst.
Kinder- und Jugend-Orthopädie im Überblick
- Deutschlandweit haben sich in den letzten 50 Jahren die Haltungsschäden unter Kinder und Jugendlichen von 20 auf knapp 40 Prozent verdoppelt.
- Deutschland verfügt laut aktuellem Stand über rund 600 Fachärzte/-innen mit abgeschlossener Zusatz-Weiterbildung Kinder-Orthopädie.
Die Bedeutung des Fachgebiets Kinder- und Jugend-Orthopädie
Die Kinder- und Jugend-Orthopädie ist ein spezialisiertes Fachgebiet, da das Wachstum und die Entwicklung des Skelettsystems während der Kindheit und Adoleszenz besondere Aufmerksamkeit erfordern. Der Körper eines Kindes unterliegt einem dynamischen Prozess des Wachstums und der Reifung, der sich auf die Behandlungsmöglichkeiten und -strategien auswirkt.
Während der Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie erfolgt eine Spezialisierung auf die Erkennung, Vorbeugung und Behandlung von Erkrankungen, Verletzungsfolgen, Formveränderungen (erworben bzw. angeboren), Fehlbildungen und Verletzungen höherer Schwierigkeitsgrade des Stütz- und/oder Bewegungsapparates im Kindes- und Jugendalter.
Einige der häufigen orthopädischen Probleme, mit denen sich Kinder- und Jugend-Orthopäden befassen, sind beispielsweise Hüftdysplasie, Klumpfuß, Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung), Knie- und Fußdeformitäten, Wachstumsstörungen, Knocheninfektionen und Sportverletzungen.
Die Behandlung in der Kinder- und Jugend-Orthopädie kann konservativ oder operativ erfolgen, abhängig von der Art und Schwere der Erkrankung. Orthopäden/-innen arbeiten oft eng mit anderen medizinischen Fachkräften wie Physiotherapeuten/-innen, Ergotherapeuten/-innen und Rehabilitationsspezialisten zusammen, um eine umfassende Versorgung für junge Patienten/-innen zu gewährleisten.
Die Kinder- und Jugend-Orthopädie spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Wachstums und der Entwicklung von Kindern, um sicherzustellen, dass sie ein aktives und gesundes Leben führen können. Durch eine frühzeitige Diagnose und geeignete Behandlung können langfristige Auswirkungen und Komplikationen minimiert werden.
Voraussetzungen für die Zusatz-Weiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie
Um die Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie absolvieren zu können, bedarf es nach dem Medizinstudium einer Facharztweiterbildung. Die Zusatz-Weiterbildung setzt eine der beiden folgenden Facharztausbildungen voraus:
- Facharzt/-ärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie
- Facharzt/-ärztin für Kinder- und Jugendchirurgie
Dauer der Zusatz-Weiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie
Die Dauer der Zusatzweiterbildung umfasst einen Zeitraum von 18 Monaten in Vollzeit und muss an einer hierfür befugten Weiterbildungsstätte (gemäß § 6, Abs. 1, Satz 1 der Musterweiterbildungsordnung) absolviert werden.
Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie
Im Rahmen der Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie erfolgt gemäß Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (MWBO) eine Unterscheidung zwischen zu vermittelnden Handlungskompetenzen (Fertigkeiten und Erfahrungen), sowie kognitiven Kompetenzen und Methodenkompetenzen (Kenntnisse).
Unterschiede je nach zuständiger Ärztekammer
Die MWBO bietet den Länderkammern eine Orientierung zur Gestaltung der Weiterbildungen. Sie sind aber nicht verpflichtet diese umzusetzen. So können sich u.a. Voraussetzungen und Inhalte je nach Bundesland unterscheiden. Daher empfehlen wir eine individuelle Anfrage zu den spezifischen Anforderungen über die für die entsprechende Weiterbildung zuständige Landesärztekammer.
Die Weiterbildungsinhalte der Zusatzweiterbildung Kinderorthopädie lauten wie folgt:
Übergreifende Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie
- Biomechanik der Bewegungsorgane bei Kindern und Jugendliche
- Normales und pathologisches Wachstum, Entwicklung der Körperproportionen und Meilensteine der Entwicklung
Akut- und notfallmedizinische Versorgung
- Erkennung und Behandlung von kinder- und jugendorthopädischen Erkrankungen mit höchster zeitlicher Therapiepriorität, z. B. akute Osteomyelitis und septische Arthritis, Epiphysiolysis capitis femoris, pathologische Frakturen (Richtzahl: 25)
- Besonderheiten der Verletzungen am wachsenden Skelett, einschließlich Abschätzung von Wachstumsstörungen und remodelling potentials
- Therapie von Folgezuständen nach Verletzungen am wachsenden Bewegungsapparat, davon operative Korrekturen (Richtzahl: 10)
- Erkennung von Kindswohlgefährdung, Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch sowie Einleitung von Maßnahmen
- Konservative und operative Therapie von Weichteilverletzungen
- Konservative und operative Therapie von Frakturen bei Kindern und Jugendlichen
- Versorgung von Gelenkluxationen (Richtzahl: 10)
- Knochenbiopsie bei pathologischen Frakturen (Richtzahl: 10)
- Operative Therapie von pathologischen Frakturen (Richtzahl: 10)
Entzündungen/Infektionen
- Leitsymptome, Grundlagen der Diagnostik und systemischen Therapie
- Erkennung und Behandlung von entzündlichen und infektiösen Erkrankungen des Bewegungsorgans bei Kindern und Jugendlichen, z. B. juvenile rheumatoide Arthritis, transiente Synovitiden, chronische Osteomyelitis/chronische rekurrierende multifokale Osteomyelitis, Spondylitis und Spondylodiszitis
- Therapeutische intraartikuläre Injektionen (Richtzahl: 10)
Endokrine und metabolische Störungen
- Erkennung und Behandlung von endokrinen und metabolischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, z. B. Rachitis, Osteogenesis imperfecta
Muskuloskelettale Tumore
- Tumore maligner und benigner Genese sowie konservative und operative Behandlungsalgorithmen bei Tumoren
- Erkennung, Diagnostik und konservative Therapie von benignen muskuloskelettalen Tumoren bei Kindern und Jugendlichen, z. B. juvenile Knochenzyste, cartilaginäre Exostosen, fibröse Dysplasie, Osteoidosteom
- Operative Therapie benigner muskuloskelettaler Tumore, z. B. Biopsie, Kurettage, Resektion, Stabilisation (Richtzahl: 10)
- Differenzialdiagnostik und Therapiestrategie bei malignen muskuloskelettalen Tumoren bei Kindern und Jugendlichen, auch in interdisziplinärer Zusammenarbeit, z. B. Osteosarkom, Ewing-Sarkom
Primäre bis tertiäre Prävention
- Einleitung und Überwachung von Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen
- Beratung zur kindgerechten Ernährung und sicheren Spiel- und Lebensumgebung einschließlich Unfallprävention
- Beurteilung von Belastung und Belastbarkeit des kindlichen Bewegungsapparates, insbesondere beim Leistungssport
- Konservative Interventionsmöglichkeiten bei Adipositas, motorischen Defiziten, Wirbelsäulen- und Fußfehlhaltungen, Überlastungserscheinungen
Diagnostische Verfahren
- Sonografien im Wachstumsalter (Richtzahl: 250), davon an der Säuglingshüfte (Richtzahl: 200)
- Radiologische Ausmessung der Beingeometrie (Richtzahl: 10)
- Radiologische Ausmessung von Wirbelsäulendeformitäten (Richtzahl: 10)
- Indikationsstellung, Durchführung und Befundinterpretation der Bewegungsanalyse
- Indikationsstellung und Befundinterpretation weiterer bildgebender radiologischer Verfahren
Erkrankungen des Hüftgelenkes
- Erkennung und Diagnostik von Erkrankungen des Hüftgelenkes bei Kindern und Jugendlichen, z. B. kongenitale Hüftdysplasie und Luxation
- Konservative Therapie bei Erkrankungen des Hüftgelenkes (Richtzahl: 100), davon
Dysplasiebehandlung (Richtzahl: 25) - Operative Eingriffe, davon
- offene Hüftrepositionen (Richtzahl: 10)
- Beckenosteotomien (Richtzahl: 10)
- Femurosteotomien (Richtzahl: 10)
Erkrankungen des Fußes
- Erkennung und Diagnostik von Erkrankungen des Fußes bei Kindern und Jugendlichen, z. B. kongenitaler Klumpfuß
- Therapie des angeborenen Klumpfußes und Plattfußes mit der Ponseti-Methode oder der reversen Ponseti-Methode einschließlich der Beratung der Bezugspersonen
- Konservative Therapie bei Erkrankungen des Fußes (Richtzahl: 100), davon
Klumpfußbehandlung (Richtzahl: 25) - Operative Eingriffe, davon
Korrektureingriffe bei Fußdeformitäten (Richtzahl: 10)
Erkrankungen des Kniegelenkes
- Erkennung und Diagnostik von Erkrankungen des Kniegelenkes bei Kindern und Jugendlichen
- Konservative Therapie bei Erkrankungen des Kniegelenkes
- Arthroskopische und offene Kniegelenkeingriffe (Richtzahl: 20)
Beinlängendifferenzen und Beinachsen
- Erkennung und Diagnostik von Beinlängendifferenzen und Beinachsabweichungen bei Kindern und Jugendlichen
- Vermessung von Beinlängendifferenzen einschließlich der prognostischen Einschätzung
- Konservativer Beinlängenausgleich Bestimmung von Beinachsabweichungen
- Operative Eingriffe an den unteren Extremitäten (Richtzahl: 50), davon Osteosyntheseverfahren bei Korrektureingriffen und Umstellungsosteotomien, Frakturen, Knochenverlängerungen, Tumoren (Richtzahl: 20)
Erkrankungen der Wirbelsäule
- Erkennung und Diagnostik von Erkrankungen der Wirbelsäule bei Kindern und Jugendlichen, z. B. angeborener Schiefhals
- Grundlagen der Anfertigung von Korsetten zur Korrektur und/oder Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen oder Wirbelsäulendeformitäten
- Konservative Therapie bei Erkrankungen der Wirbelsäule (Richtzahl: 25)
- Operative Eingriffe an der Wirbelsäule (Richtzahl: 20), davon
erste Assistenzen bei Deformitätenkorrekturen (Richtzahl: 10)
Erkrankungen der oberen Extremität
- Erkennung, Diagnostik und konservative Therapie von Erkrankungen der oberen Extremitäten, z. B. radio-ulnare Synostose
- Operative Eingriffe an den oberen Extremitäten (Richtzahl: 25)
Kongenitale Gliedmaßendefekte
- Erkennung und Behandlung von kongenitalen Gliedmaßendefekten, z. B. Radiusaplasie
- Deformitäten-spezifische Indikation von Orthesen
- Orthoprothesen und Prothesen der oberen und unteren Extremitäten
- Planung und Überwachung der Anpassung von Orthesen und Prothesen im Wachstumsalter (Richtzahl: 10)
Neuroorthopädische Erkrankungen
- Erkennung und Behandlung von neuroorthopädischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen
- Grundlagen der Bestimmung des Schweregrades neuroorthopädischer Krankheitsbilder, z. B. Level der Gross Motor Function Classification
- Einleitung und Überwachung von orthopädischen Rehabilitations- und Behandlungsverfahren bei neuroorthopädischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen (Richtzahl: 10)
Syndromale Erkrankungen
- Erkennung und Behandlung von syndromalen Erkrankungen, z. B. Down-Syndrom
- Hereditäre Faktoren und diagnostische genetische Beratungsmöglichkeiten bei syndromalen Erkrankungen
- Therapieplanung und Therapieüberwachung konservativer und operativer Maßnahmen bei syndromalen Krankheitsbildern (Richtzahl: 10)
Skelettdysplasien
- Erkennung und Behandlung von Skelettdysplasien, z. B. Achondroplasie, epi- und metaphysäre Chondrodysplasie
- Hereditäre Faktoren und diagnostische genetische Beratungsmöglichkeiten bei Skelettdysplasien
- Therapieplanung und Therapieüberwachung konservativer und operativer Maßnahmen bei Skelettdysplasien (Richtzahl: 10)
Weiterbildungsabschluss
Die Abschlussprüfung erfolgt kommissionell und darf einen Zeitraum von 30 Minuten nicht unterschreiten. Im Zuge der Prüfung werden, wie auch bei der Facharztprüfung, sowohl theoretisch als auch praktisch erlernte Inhalte abgeprüft.
Keine Anmeldung ohne Logbuch
Eine Anmeldung zur Prüfung ist nur dann möglich, wenn das vollständig ausgefüllte Logbuch bei der jeweiligen Landesärztekammer vorgelegt wird. Das Logbuch stellt einen integralen Bestandteil der Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie dar. Wie auch während der Facharztausbildung dient es der Dokumentation sämtlich erworbener Weiterbildungsinhalte, sowie der erbrachten Richtzahlen (Leistungszahlen). Erst wenn das Logbuch zur Gänze ausgefüllt ist, kann die Anmeldung zur Schwerpunktprüfung erfolgen. Anmeldung zur meist digitalen Version (eLogbuch) ist über die Onlineportale der Landesärztekammern möglich:
Karriere und Gehalt mit Zusatzbezeichnung
Im Berufsleben als Arzt/Ärztin gehört der Aufbau neuer Kompetenzen zu den Alltagsaufgaben. Nach dem Erwerb des Facharzttitels sollte man als Fachärztin und Facharzt für zusätzliche Weiterbildungen offen sein, um die eigene Karriere voranzutreiben. Wird eine Laufbahn als Oberarzt/-ärztin oder gar Chefarzt/-ärztin angestrebt, führt an Zusatz-Weiterbildungen oft kein Weg vorbei. Durch die höhere Position wartet auch ein besseres Gehalt. Alles zu Arztgehältern findet sich in unserem Karrierebereich.
Von dieser Weiterbildung profitieren auch Ärzte/-innen mit eigener Praxis, da hierdurch ein noch größerer Patientenkreis angesprochen wird und weitere Leistungen abgerechnet werden können. Der zu erwartende Praxisertrag steigt.
Häufige Fragen zu Kinder- und Jugend-Orthopädie
- Was ist Kinder- und Jugend-Orthopädie?
- Wie erhält man die Zusatzbezeichnung Kinder- und Jugend-Orthopäde/-in?
- Wie lange dauert die Zusatz-Weiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie?
Kinder- und Jugend-Orthopädie ist ein Spezialgebiet der Humanmedizin, das sich mit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates von Kindern und Jugendlichen befasst. Fachärzte/-innen für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Kinderchirurgen/-innen sind befähigt, die Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie als Zusatz zur erworbenen Facharztkompetenz zu absolvieren.
Nach abgeschlossener Facharztausbildung in einem der Bereiche Orthopädie und Unfallchirurgie oder Kinder- und Jugendchirurgie kann ergänzend die Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie zur Erweiterung der Kompetenzen absolviert werden.
Die Zusatzweiterbildung Kinder- und Jugend-Orthopädie umfasst einen Zeitraum von 18 Monaten in Vollzeit.