Im Gegensatz zum Alter der Patienten/-innen ist die Geriatrie eine vergleichsweise junge medizinische Fachrichtung. Nachdem sich die Kinderheilkunde (Pädiatrie) schon wesentlich früher aus der Inneren Medizin herauslöste, gibt es eine Zusatz-Weiterbildung Geriatrie (Altersheilkunde) erst seit wenigen Jahrzehnten. Ein/e Geriater/in befasst sich mit den speziellen Anforderungen und Problemstellungen der ältesten Bevölkerungsschicht. Dazu gehören die Diagnose und Behandlung von akuten und chronischen Erkrankungen. Auch Prävention und Rehabilitation sowie psychologische und soziale Faktoren werden hier berücksichtigt. Das interdisziplinäre Fach beinhaltet hauptsächlich Aspekte der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Psychiatrie, Orthopädie und Neurologie.
Inhaltsverzeichnis
Geritatrie im Überblick
- Anzahl der Ärzte: 3124 Fachärzte/-innen mit Zusatzbezeichnung Geriatrie sind in Deutschland laut Ärztestatistik 12/2022 berufstätig. Davon arbeiten 805 ambulant (545 davon ambulant), 2185 stationär, 46 bei Körperschaften.
- Kapazitäten: Im Jahr 2019 gab es insgesamt 358 Krankenhäuser mit geriatrischen Abteilungen und einer Gesamtkapazität von 19.137 Krankenhausbetten.
- Dauer der Weiterbildung: 18 Monate Weiterbildung unter Befugnis an Weiterbildungsstätten
Bedeutung der Geriatrie
Der Bedarf an Geriatern/-innen in der Medizin ist sehr hoch und die Chancen auf eine Stelle sind dementsprechend gut. Demnach wird die Alterskohorte über 70 Jahren in den nächsten Jahren bis 2035 auf 17,2 Millionen um 30,5 Prozent anwachsen. Der daraus entstehende Bedarf an konkreten Behandlungskapazitäten muss sinnvoll geplant werden. Dank des medizinisch-technischen Fortschritts sind so auch zunehmend bei älteren Patienten/-innen Operationen und Therapien möglich, die bis vor wenigen Jahren nicht möglich waren.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden gibt es in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt neben der Zusatzweiterbildung Geriatrie auch eine eigene Facharztausbildung im Gebiet Innere Medizin und Geriatrie. Innerhalb von 6 Jahren werden alle relevanten Ausbildungsinhalte der Geriatrie und der interdisziplinär verknüpften Fächern erworben. Alle anderen Bundesländer bieten die Zusatz-Weiterbildung Geriatrie an.
Voraussetzungen für die Zusatz-Weiterbildung Geriatrie
Die Voraussetzungen für den Erwerb der Zusatzbezeichnung Geriatrie sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Das liegt an den für die ärztlichen Weiterbildungen verantwortlichen Länderkammern. Wir konzentrieren uns in unserer Darstellung auf die Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (MWBO). Während in den meisten Ländern lediglich eine abgeschlossene Facharztausbildung erforderlich ist, fordern die Ärztekammern in Bayern und Niedersachen eine Ausbildung in speziellen Fachrichtungen.
In Bayern ist die Weiterbildung mit diesen Facharztausbildungen möglich:
- Weiterbildung Facharzt/-ärztin Allgemeinmedizin (oder „Facharzt für Allgemeinmedizin“ nach bisherigem Recht)
- Weiterbildung Fachharzt/-ärztin Innere Medizin
- Weiterbildung Facharzt/-ärztin Neurologie
- Weiterbildung Fachharzt/-ärztin Physikalische und Rehabilitative Medizin
- Weiterbildung Fachharzt/-ärztin Psychiatrie und Psychotherapie (oder „Facharzt für Nervenheilkunde“ nach bisherigem Recht)
Niedersachsen ermöglicht die Geriatrie-Weiterbildungen Ärzten/-innen nach diesen Facharzt-Weiterbildungen in diesen Fachgebieten:
- Innere Medizin
- Allgemeinmedizin
- Neurologie
- Physikalische und Rehabilitative Medizin
- Psychiatrie und Psychotherapie (oder Facharzt für Nervenheilkunde nach bisherigem Recht )
In Hessen ist dagegen eine Facharztausbildung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung (UPV) nötig.
Dauer der Zusatz-Weiterbildung Geriatrie
Für die Vergabe der Zusatzbezeichnung Geriatrie wird folgende Weiterbildungszeit benötigt:
- 18 Monate ärztliche Tätigkeit bei einem Weiterbildungsermächtigten für Geriatrie
Eine Liste mit zu der Zusatz-Weiterbildung befugten Ärzten/-innen sind online bei den jeweiligen Ärztekammern und bei der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie e.V. zu finden.
Inhalte der Zusatz-Weiterbildung Geriatrie
Folgende Inhalte sind in der Weiterbildung zum/-r Facharzt/-ärztin mit der Zusatzbezeichnung Geriatrie laut MWBO zu durchlaufen (bei den Zahlen in Klammern handelt es sich um Richtzahlen laut Muster-Weiterbildungsordnung).
Übergreifende Inhalte der Zusatzweiterbildung Geriatrie
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Demographie und Altersepidemiologie
- Biologische, psychologische, soziologische Aspekte des Alterns
- Demographie und Altersepidemiologie
- Biologische, psychologische, soziologische Aspekte des Alterns
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Management der Komplexität bei Multimorbidität
- Ernährungsberatung und Ernährungstherapie
Geriatrisches Team
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie
- Multiprofessionelle Therapiekonzepte, z. B. physio- und ergotherapeutische sowie logopädische Maßnahmen
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Anleitung eines interdisziplinären und interprofessionellen Teams bei geriatrischen Fragestellungen
Diagnostische Verfahren
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Dopplersonographie der hirnversorgenden und peripheren Arterien und Venen
- Echokardiographie
- Endoskopische Verfahren, z. B. fiberoptische endoskopische Schluckdiagnostik und Anlage der perkutanen endoskopischen Gastrostomie
- Spezielle neuropsychologische Testverfahren
- Konventionelle Röntgendiagnostik des Thorax, des Abdomens und des Skelettsystems
- Schnittbilddiagnostik
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Geriatrische Screeningverfahren
- Geriatrisches Assessment zur Erfassung und Verlaufsbeurteilung organischer, motorischer, funktioneller, emotioneller und kognitiver Funktionseinschränkungen (300)
- Tests zur Beurteilung der Mobilität und des Sturzrisikos
- Tests zur Beurteilung der Funktionalität und Performance (ATL, iATL)
- Tests zur Beurteilung der Muskelfunktion und Muskelkraft
- Tests zur Beurteilung der Kognition
- Tests zur Erfassung eines Delirs
- Tests zur Beurteilung der Emotion
- Tests zur Beurteilung des Ernährungszustandes
- Beurteilung der sozialen Situation
- standardisierte Schmerzerfassung, auch bei kognitiv eingeschränkten Patienten
- EKG (200)
- Langzeit-EKG (50)
- Langzeit-Blutdruckmessung (50)
- Orthostase-Tests (50)
- Richtungsweisende B-Modus-Sonographie des Abdomen und Retroperitoneum einschließlich Nieren und Blase
- Richtungsweisende B-Modus-Sonographie der Halsweichteile
- Durchführung von Punktionen, z. B. Pleura, Aszites, Liquor
- Einfache Lungenfunktionsdiagnostik
Behandlung von Gesundheitsstörungen und Krankheiten
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Sensorische Einschränkungen
- Kardiologische und angiologische Erkrankungen im Alter
- Lungenerkrankungen im Alter
- Gastroenterologische Erkrankungen im Alter
- Infektiologische Erkrankungen im Alter
- Nephrologische und urologische Krankheiten im Alter
- Hämatologische und onkologische Krankheiten im Alter
- Endokrinologische Krankheiten und Diabetes im Alter
- Rheumatologische Krankheiten im Alter
- Neurologische Erkrankungen im Alter
- Psychiatrische Erkrankungen im Alter
- Alterstypische traumatologische und orthopädische Erkrankungen
- Zahnmedizinische und kieferorthopädische Aspekte einschließlich Zahnprothetik
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Prophylaxe, Diagnostik, prognostische Einschätzung und Therapie bei geriatrischen Syndromen
- Ernährungsstörungen und Sarkopenie einschließlich „Sarcopenic Obesity“
- Gebrechlichkeit (Frailty)
- lokomotorische Probleme und Stürze
- verzögerte Remobilität/Immobilität und Dekubitus
- Harn- und Stuhlinkontinenz
- kognitiv-neuropsychologische Störungen einschließlich Delir, Depression und Demenz
- metabolische Instabilität einschließlich Altersdiabetes und Anämie
- Multimorbidität, Polypharmazie und verzögerte Rekonvaleszenz
- Exsikkose und Elektrolytstörung
- chronische Schmerzen
- Erstmaßnahmen und Indikationsstellung zur weiterführenden Therapie bei typischen Notfällen im Alter, z. B. Herzinfarkt, Lungenembolie, akute Blutung, Synkope, Schlaganfall, Epilepsie, Delir, Sturz, Fraktur
- Transurethraler und/oder suprapubischer Katheter
- Behandlung chronischer Wunden, Wundversorgung, Indikationsstellung zur weiterführenden Therapie bei Wundheilungsstörungen
Pharmakotherapie
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Spezielle Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter unter Berücksichtigung von Multimorbidität und Multimedikation
- Psychopharmakotherapie
- Faktoren der Pharmakoadhärenz im Alter
- Typische Arzneimittelinteraktionen
- Antikoagulation geriatrischer Patienten
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Management von Multimedikation, z. B. Priorisierung, „Deprescribing“
- Schmerztherapie im Alter
Rehabilitative Aspekte der Therapie
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Sozialrechtliche Aspekte, z. B. Akuttherapie, Frührehabilitation, Rehabilitation unter Berücksichtigung ambulanter, teilstationärer und stationärer Leistungsangebote
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Beurteilung von Potentialen und Behinderungen nach der International Classification of Functioning, Disability and Health
- Rehabilitationsplanung und Therapieorganisation
- Beantragung von Rehabilitationsleistungen
- Einleitung von Reintegrationsmaßnahmen einschließlich Nutzung externer Hilfen
Ethische und palliativmedizinische Aspekte
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Gesetzliche Regelungen zur Durchsetzung des Patientenwillens einschließlich Betreuungsrecht, insbesondere Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Zwangsbehandlung
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Beratung zum Willen des Patienten, auch unter Berücksichtigung kognitiv-neuropsychologischer Einschränkungen
- Priorisierung evidenzbasierter Verfahren hinsichtlich Prognose, Praktikabilität und Patientenwunsch
- Symptomkontrolle bei Palliativpatienten im Alter
Konsile und Beratungen
Kognitive- und Methodenkompetenz: Kenntnisse
- Gerontotechnologie
Handlungskompetenz: Erfahrungen und Fertigkeiten
- Hygieneberatung
- Inkontinenzberatung
- Sturzprophylaxe
- Beratung bezüglich besonderer Aspekte der Heil- und Hilfsmittelversorgung
- Durchführung geriatrischer Konsile
Prüfung für Geriater/innern
Ärzte und Ärztinnen, die die Zusatzweiterbildung Geriatrie absolvieren möchten, müssen am Ende der Weiterbildung eine Prüfung ablegen, um ihre erworbenen Kompetenzen und Fertigkeiten in dem Bereich der Geriatrie zu beweisen. Die Prüfung im Rahmen eines mündlichen Fachgesprächs besteht aus der Präsentation eines eigenen Falls, welcher im Anschluss von einem Prüfungsausschuss diskutiert wird. Bei der Präsentation durch die zu prüfende Person wird vornehmlich auf fachliche Kompetenz, diagnostischen Fähigkeiten sowie auf Therapieentscheidungen geachtet. Es können auch praktische Aufgaben anfallen. Da die Prüfungsanfordungen je nach Bundesland variabel sind, empfiehlt es sich, sich bei der zuständigen Ärztekammer nach den genauen Anforderungen und Prüfungsmodalitäten zu erkundigen. Die Bundesärztekammer gibt eine Mindestdauer von 30 Minuten vor.
Das verpflichtende Logbuch
Im Rahmen dieser Weiterbildung müssen Ärzte/-innen ein sogenanntes Logbuch führen. In diesem Logbuch werden die erworbenen Weiterbildungsinhalte und die erbrachten Leistungszahlen dokumentiert. Das Logbuch dient nicht nur der persönlichen Dokumentation, sondern auch als Nachweis für die Weiterbildungsbehörden und medizinischen Organisationen über die erworbenen Fähigkeiten und den Fortschritt des/der Arztes/Ärztin in der Geriatrie. Es muss fortlaufend aktualisiert und von einem/-r Weiterbildungsbefugten überprüft werden. Sobald das Logbuch vollständig ausgefüllt ist, kann sich der Arzt oder die Ärztin für die abschließende Prüfung anmelden.
Karrieremöglichkeiten mit Zusatzbezeichnung Geriatrie
Ärzte/-innen mit einer Weiterbildung in der Geriatrie stehen viele Optionen offen:
- Arbeiten als Spezialist/in in Klinik oder Krankenhaus
- Arbeiten in (eigener) Praxis, Altersheim oder Pflegeeinrichtung
- Entwicklung neuer Diagnose- und Therapieverfahren
- Tätigkeit als Dozent/-in oder Ausbilder/in
Geriatrie-Ärzte/-innen können sich auf die palliative Betreuung älterer Menschen spezialisieren. Die Palliativmedizin konzentriert sich auf die Linderung von Symptomen und die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten/-innen mit schweren Erkrankungen. Wichtig zu wissen: Jede Weiterbildung erweitert die Fertigkeiten und Kompetenzen, die für eine mögliche Karriere als Oberarzt/-ärztin oder mehr unabdingbar sind. Wer hier aufsteigt, kann auch deutlich mehr verdienen.
Gehaltsperspektiven mit Zusatzbezeichnung Geriatrie
Das Durchschnittsgehalt eines Facharztes oder einer Fachärztin in der Geriatrie liegt bei etwa 92.300 Euro im Jahr. Mit der Weiterbildung in der Geriatrie können Absolventen/-innen mit einem höheren Gehalt rechnen als Mediziner/innen ohne die entsprechende Spezialisierung. Diese Aussage ist aber auch zu relativieren. Wer als angestellte/r Facharzt/-ärztin arbeitet, erhält sein Facharzt-Gehalt entsprechend der Einstufung nach Karrierelevel und Berufserfahrung in dem für den Arbeitgeber maßgeblichen Tarifvertrag. Die Zusatz-Weiterbildung ändert hier erstmal nichts. Da aber mit Weiterbildungen die Chancen auf einen Oberarzt-Karriere besser sind, ist auch die Gehaltsperspektive besser.
Anders sieht das für Ärzte/innen mit eigener Praxis aus, da durch die Zusatz-Weiterbildung eine breitere Patientenklientel angesprochen bzw. zusätzliche abrechnungsfähige Leistungen angeboten werden können, ist dadurch der Praxisreinertrag steigerbar und damit auch erwartbar das eigene Gehalt.
Häufige Fragen zu Geriatrie
- Was ist die Geriatrie?
- Wie erhält man die Zusatzbezeichnung Infektiologie?
- Wie lange dauert die Zusatz-Weiterbildung Infektiologie?
Die Geriatrie ist ein medizinisches Fachgebiet, das sich auf die Diagnosestellung, Behandlung und Betreuung älterer Menschen mit altersbedingten Erkrankungen und spezifischen medizinischen Bedürfnissen konzentriert.
Um die Zusatzbezeichnung Geriatrie zu erhalten, braucht es je nach Bundesland einen Facharzttitel und die zugehörige Weiterbildung. In den meisten Bundesländern ist sie für alle Facharztrichtungen möglich. Ausnahmen gibt es in Hessen, Bayern und Niedersachsen.
Es muss eine 18-monatige Weiterbildung in Geriatrie an einer befugten Weiterbildungsstätte erfolgen.